Kapitel 72

Bogotá, Kolumbien
15. April 2011

Lucia kam wieder zu Bewusstsein. Ihre Arme und Beine schmerzten; ihre Lippen pochten. Sie bewegte die Finger, um die Zirkulation anzuregen, die durch die Plastikfesseln gehemmt war. Sie schnitten ihr in die Handgelenke. Mit Mühe stemmte sie sich auf die Ellbogen auf und sah sich mit Schmerztränen in den Augen um.

Der Baseballschläger lag auf dem Teppich neben der Kapuze und dem Knebel.

Sie schwang die Beine von der Couch und setzte sich auf. Sie taumelte Richtung Bad. Sie blickte dabei in die Schlafzimmer und in die Küche. Es war niemand da.

Sie hatten sie bewusstlos geschlagen. Aber jetzt waren sie fort. Obwohl sie womöglich zurückkamen.

Sie ging ins Bad, verrichtete ihre Notdurft, taumelte dann wieder zurück. Sie musste sich konzentrieren, um Hilfe rufen.

Aber wen?

Ihre Handtasche lag unter dem Couchtisch. Sie kniete nieder und drehte sich so, dass sie mit den Händen drin kramen konnte. Sie fiel hintüber, fluchte, stemmte sich wieder auf und versuchte es noch einmal. Wo zum Teufel war ihr Telefon? Nicht in der Innentasche. Die war voller Stifte, Münzen, Karten, Notizen und Quittungen. Nicht in der Seitentasche, die ihren Kalender enthielt.

Sie sah sich im Wohnzimmer um. Wo konnte es nur sein?

Sie leerte die Handtasche aus. Mit den tauben Händen ließ sich kaum etwas spüren. Sie tastete sich mit den Füßen durch ihren Kram.

Da war es. Unter ihrem Kalender.

Sie hörte das ding des Aufzugs im Korridor. Es hörte sich an, als kündigte er eine Preisverleihung an.

Lucia kniete nieder, hob das Telefon auf und drehte sich so, dass sie das Display sehen konnte. Sie tippte ihr Passwort ein und fummelte sich durch die Nummern auf der Suche nach der von Nathans neuem Handy.

Die Aufzugtüren öffneten sich.

Das Display des Telefons blitzte auf. Ein Anruf kam herein.

Nathan rief an…

Schritte auf dem Flur.

In ihrer Panik ließ sie das Telefon fallen. Ein Schlüssel klapperte in der Wohnungstür.

Das Telefon fiel unter die Couch. Lucia warf sich hinterher, rollte herum und versuchte es mit den gefesselten Händen zu erwischen.

Die Tür ging auf.

»Was zum Teufel machst du denn da?«, rief Amonite, ging zu ihr hinüber und trat sie ins Kreuz. Lucia rollte sich ein.

»Steh auf, du Miststück!«, bellte Amonite.

Mit Müh und Not richtete Lucia sich auf. Dex und Rudolph kamen herein. Die beiden trugen eine Frau.

»Du!«, sagte Lucia.

Rudolph grinste. Die Tür schlug zu. Sie warfen die Frau auf die Couch. Lucia erkannte den schlanken Körper auf den ersten Blick, das lange blonde Haar.

»Joanna!«, rief Lucia.

Sie stürzte sich mit dem Kopf voran auf Amonite, die sie beiseite wischte wie eine Fliege. Lucia taumelte zurück, fiel gegen die Wand. Hilflosigkeit und Angst brachen über sie herein.

»Wenn Sie ihr was tun«, murmelte Lucia. »Dann werde ich–«

»Wirst du was?«, lachte Amonite. »Uns umbringen?«

Rudolph starrte Lucia mit lüsternen Blicken an.

»Keine Bange, Sportsfreund«, sagte Amonite zu ihm. »Du kriegst deinen Spaß.«

Rudolphs Lächeln jagte Lucia einen eisigen Schauer über den Rücken. Er zog sich in eine Ecke zurück und stellte sich mit finsterer Miene, die Arme über Kreuz gelegt, neben Dex.

Amonite wies auf den Sessel. »Setz dich, Lucia. Wir müssen miteinander reden.«

Lucia blieb stehen.

»Okay, wie du willst.« Amonite warf sich selbst in den ächzenden Sessel und schlug die Beine übereinander, als wäre sie auf einen Plausch vorbeigekommen. »Sag mir, wo Nathan hin ist, und ich schenke dem Mädel hier das Leben.«

»Ich weiß nicht, wo er ist.«

»Du lügst.« Amonite stand wieder auf, hob den Baseballschläger vom Boden auf und schlug Joanna damit in den Bauch. Joanna stöhnte. Blinzelnd schlug sie die Augen auf, ihr Blick nicht ganz scharf.

Als hätte sie Lucias Gedanken gelesen, sagte Amonite: »Sie ist bis an die Halskrause voll mit Black Coke. Die spürt nichts.« Sie tätschelte den Schläger mit der flachen Hand. »Also, hörst du jetzt auf zu lügen, du Miststück? Oder muss ich erst jeden Knochen in ihrem hübschen kleinen Körper zerschlagen?«

Lucia ließ die Schultern hängen. »Er ist in Ciudad Bolivar.«

»Seht ihr.« Amonite grinste Dex und Rudolph an. »Man muss ihr nur gut zureden.« Sie wandte sich wieder Lucia zu: »Was will er da?«

»Das hat er nicht gesagt«

»Nun stell dich nicht so an.«

»Ich schwöre es.«

»Weiß sonst noch jemand davon?«

Lucia schüttelte den Kopf.

»Bullshit!«, sagte Amonite.

Der Schläger landete auf Joannas Brust. Ihre Rippen brachen wie Zweige. Joanna wand sich unter dem Schlag.

»Er sucht nach ihrer Operationsbasis!« Lucia fiel auf die Knie. »Das ist alles, was ich weiß.«

»Weiß er, wo sie ist?«

Lucia schüttelte den Kopf.

Wieder landete der Schläger auf Joannas Körper. Weitere Rippen brachen. Joanna riss die Augen auf. Ihr entfuhr ein langgezogenes Seufzen. Sie begann wie wild um sich zu schlagen. Amonite schlug sie auf den Kopf. Darauf lag sie reglos da.

»Ich frage dich jetzt zum letzten Mal.« Amonite hob den Schläger. »Wer sonst noch?« Den Kopf zu einer Ramme gesenkt, stürzte Lucia sich auf Amonite. Amonite ließ den Schläger fallen. Unter der Wucht von Lucias Attacke verlor sie die Balance. Mit einer rasenden Wut im Leib stieß Lucia sie zu Boden, versuchte sie zu beißen, stieß mit der Stirn auf sie ein, drosch Amonite die Schultern ins Gesicht. Schließlich zerrten ein Paar kräftige Arme sie von der Frau und schleuderten sie in die Ecke, wo sie sich wieder einrollte. Amonite kam auf die Beine. Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Kleidung. Sie griff unter die Jacke und brachte eine Pistole und ein langes Rohr zum Vorschein, das sie an den Lauf schraubte.

Sie richtete die Waffe auf Lucia, die die Augen schloss. War es also so weit. Ihr letzter Augenblick war gekommen. Abgeknallt wie ein Hund. In einem Hotelzimmer. Von der Organisation, die zu Fall zu bringen, sie gelobt hatte.

»He, du hast mir was versprochen!«, protestierte Rudolph.

»Von mir aus.«

Lucia öffnete die Augen. Amonite drehte sich um und richtete die Waffe auf Joannas Kopf.

»Nein!«, schrie Lucia und versuchte auf sie zuzukriechen.

Amonite drückte zweimal ab. Die Waffe spuckte zweimal. Joannas Körper zuckte, wie unter einem Elektroschock.

Lucia drehte sich der Kopf. Schluchzend brach sie zusammen.

Amonite schraubte das Rohr wieder von der Waffe und steckte beides weg. Mit einem Blick auf Rudolph wies sie auf Lucia.

»Wir gehen dann mal«, sagte sie. »Viel Spaß mit ihr.«

Schwarzer Koks
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