Kapitel 48
Bogotá,
Kolumbien
14. April 2011
»Sie sehen umwerfend aus«, sagte die Verkäuferin, die manikürten Hände in die üppigen Hüften gestemmt; die blonde Dauerwelle wippte, als sie einen Schritt zurücktrat, um Lucia in dem Ganzkörperspiegel zu bewundern. »Ihr Mann wird Sie absolut unwiderstehlich finden.«
Lucia zog an dem weißen Bandeautop, um es nach oben zu ziehen. Sie hatte das Gefühl, ihre Brüste würden jeden Augenblick herausplatzen wie Champagnerkorken, so eng wie es war.
»Ich komme mir total lächerlich vor«, stammelte sie. »Ich könnte genauso gut nackt rumlaufen.«
»Nicht doch!« Die Verkäuferin schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Das wäre denn doch etwas unschicklich.«
»Und das hier nicht? Netzstrümpfe, Strapse, schwarzer Minirock, man sieht ja fast meinen Slip. Und die Absätze… Ich habe das Gefühl, auf Stelzen zu gehen.«
»Sie haben sich das ausgesucht, Señorita, nicht ich.«
»Na, ich weiß nicht.« Lucia wandte sich wieder ihrem Spiegelbild zu. »Ich sehe aus wie eine Nutte aus Santa Fe.«
»Eher wie Esperanza Gomez.«
»Wer?«
»Na, unser Pornostar. Die, die Miss Playboy TV gewonnen hat.«
»Ich sehe aus wie die?«, fragte Lucia, mehr denn je davon überzeugt, sie sollte der Verkäuferin mit der hübschen kleinen Larve die Zähne einhauen.
»Nur nicht so ordinär, natürlich.«
»Natürlich.«
»Wofür ist es denn gedacht, wenn man fragen darf? Eine Party mit Freunden? Ein romantisches Tête-a-tête? Eine Disco-Nacht?«
Lucia drehte sich zur Seite und warf einen prüfenden Blick auf ihre Figur. Sie konnte nicht anders, aber sie fand sich unglaublich sexy.
»Für die Disco ist das okay«, sagte die Verkäuferin. »Für ein Abendessen weniger.«
Eine Gruppe junger Männer vor dem Fenster stieß anerkennende Pfiffe aus.
»Sehen Sie?«, sagte die Verkäuferin und warf den Männern winkend Kusshändchen zu. »Die stehen drauf.«
»Offensichtlich.« Lucia bedachte die Kerle mit einem Blick, der sie auf der Stelle verstummen ließ. »Na dann. Ich nehme alles.«
Sie hielt auf die sichere Festung der Umkleide zu. Sie seufzte erleichtert, als sie in Jeans und Bluse stieg und den vertrauten Stoff auf der Haut spürte. Sie schnürte sich die Sneakers und starrte dann auf die Sachen, die vor ihr am Haken hingen. War das wirklich eine so gute Idee?
Was würde Nathan sagen? Nathan…
Sie stand auf. Eine ruhige Entschlossenheit machte sich in ihr breit. Sie musste einfach eine Möglichkeit finden, die Front zu infiltrieren und Nathan zu finden. Manuel hatte sich noch immer nicht gemeldet. Trotzdem, vulgärer jedenfalls ging es wirklich nicht. Sie trat an die Kasse, legte die Kleidungsstücke auf den Tisch und bezahlte in bar. Die Verkäuferin zwinkerte ihr zu, als sie Lucia die Tasche mit ihren Sachen gab.
»Also, wenn Sie mit dem Outfit nicht landen, dann kommen Sie wieder«, sagte die Verkäuferin und strich sich das Haar zurecht. »Ich gebe Ihnen Ihr Geld zurück.«
»Das tut’s schon. Hoffe ich mal.«
Lucia trat aus dem Laden, ignorierte die Kerle, die sie immer noch anstarrten. Sie verließ die Andino Mall, ein Einkaufszentrum aus rotem Backstein im trendigen Zona Rosa-Bezirk in der Nordstadt von Bogotá.
Es war Zeit, ins Hotel zurückzugehen und sich umzuziehen.