Kapitel 27

Bogotá, Kolumbien
11. April 2011

»Aber handeln Sie da nicht einfach unverantwortlich?«, fragte Sylvia Lituni, die stark geschminkte Nachrichtensprecherin mit der Dauerwelle, den strahlend grünen Augen und dem passenden grünen Kostüm mit den wattierten Schultern im Stil der Achtziger-Jahre. Sie fixierte Lucia Carlisla mit Medusenblick; als sollte ihr Gegenüber zu Stein erstarren. Eine Fülle von Düften ging von ihr aus. Ein Kosmetiksalon hätte nicht besser duften können als das Studio von Caracol TV.

Lucia sah sich um; sie wäre lieber weiß Gott wo gewesen. Kameramann, Toningenieur, Nachrichtenchef – alle schienen den Atem anzuhalten.

»Plan Colombia«, begann sie, »ist ein Desaster. Die Begasung vernichtet die legalen wie die illegalen Feldfrüchte und sorgt für eine ökologische Katastrophe. Die Barrios quellen über vor arbeitslosen Bauern. Die Front 154 wird von Tag zu Tag stärker und massakriert mittlerweile ganze Dörfer. Aber weder Amerikaner noch Briten, von unserer eigenen Regierung ganz zu schweigen, machen Anstalten, ihre Strategie zu ändern. Ganz im Gegenteil. Ihre Rhetorik ist die von schießwütigen Haudraufs à la Rambo. Also ich nenne das unverantwortlich.«

»Aber wenn Sie Kokain legalisieren würden, würde es doch jeder nehmen«, sagte Sylvia. »Es käme zu einer nationalen Epidemie, die sich über die ganze Welt ausbreiten würde.«

»Ha! Die haben wir doch längst. Passen Sie auf, eine Legalisierung bedeutete das Ende unseres Bürgerkriegs. Kein Geld mehr für die Front, die Rebellen, die Kartelle.« Lucia legte eine dramatische Pause ein. »Oder den Staat, wenn wir schon dabei sind.«

Das Publikum im Studio schnappte hörbar nach Luft.

»Ich finde nicht, dass man die Front und den Staat in ein und denselben Topf werfen sollte.«

»Und genau da liegen Sie falsch.« Lucia lächelte, bis ihr klar wurde, dass sie zu selbstgefällig rüberkam. Sie griff nach einem Blatt Papier vor sich. »Ich habe hier einen Artikel der New York Times. In dem heißt es, und ich zitiere: ›Die Front 154 ist, laut einer hochrangigen Quelle in der kolumbianischen Regierung, durch implizites Einverständnis mit gewissen Elementen innerhalb der Behörden zu ihrer derzeitigen Macht gelangt‹.«

Sie nahm einen anderen Zettel zur Hand. »Und was ist damit? ›Die jüngste Politik des kolumbianischen Präsidenten des totalen Kriegs gegen die Front 154 wird von seinem eigenen Geheimdienst unterminiert.‹« Sie blickte auf. »Das stammt immerhin aus dem Wall Street Journal.« Sie lehnte sich in ihren Stuhl zurück. »Sehen wir es doch, wie es ist: Die Front 154 ist nicht einfach aus dem Nichts auf der Weltbühne erschienen. Unsere eigenen Nachforschungen in die Verbindungen zwischen der Agency for Security and Intelligence und der Front haben ergeben, dass–«

Sylvia schnitt Lucia mit einer Handbewegung das Wort ab. »Sir George Lloyd-Wanless«, sagte sie mit einer Geste auf den überaus elegant gekleideten Herrn auf ihrer anderen Seite, »als eben ernannter britischer Botschafter in unserem Land, wie sehen Sie das Vorgehen unserer Regierung gegen Drogen und bewaffnete Gruppen?«

Lucia stöhnte innerlich. Als wenn dieser britische Aristokrat mit seinem Plastikgesicht hier eine ehrliche Meinung vortragen würde. Sie warf Joanna, ihrer PR-Managerin, einen Blick zu. Die stand in einer Ecke des Fernsehstudios in ihrem adretten grauen Rock und der cremefarbenen Bluse, ein Klemmbrettchen vor der üppigen Brust. Wie so oft überschattete ihr hübsches kleines Gesicht eine gefurchte Stirn.

»So ganz neu bin ich nun auch wieder nicht«, sagte Sir George. »Ich nehme an, Miss Carlisla war damals noch im Kindergarten, sie wird sich also nicht daran erinnern, dass ich bereits einmal hier Botschafter war, zu Beginn der Neunzigerjahre. Zu Zeiten von Pablo Escobar höchstpersönlich.«

»Ich nehme an, es ist Ihre ungeheure Erfahrung auf diesem Gebiet, die Ihre Regierung zu Ihrer erneuten Ernennung bewogen hat, Sir George?«

»Ganz richtig.«

»Wie sieht denn Ihre Meinung zur Front 154 aus?«

Sir George starrte direkt in die Kamera, als versuchte er sie zu hypnotisieren. Die dunklen Augen schwebten über dem Schlackensteinblock seines Kinns.

»Die Legalisierung ist ein verabscheuenswürdiges Konzept. Sie würde den Drogenkartellen die Zügel freigeben, international zu expandieren. Sehen Sie sich nur die Situation in den Niederlanden an.«

»Was reden Sie denn da?«, fiel Lucia ihm mit einem verächtlichen Lachen ins Wort. »Wenn wir Kokain legalisieren, wird es keine Kartelle mehr geben. Die Front wird ihren Laden zumachen. Das Ganze wird eine regulierte und auch sicherere Industrie.« Sie nahm ein weiteres Blatt Papier zur Hand. »Hören Sie sich das an: ›Die Aufhebung des Drogenverbots ist die einzige Möglichkeit, der Gewalt in Lateinamerika ein Ende zu machen.‹ Das stand im Guardian. Und was ist damit–«

Sylvia hob wieder die Hand. »Miss Carlisla, bitte, lassen Sie Sir George doch zu Ende sprechen.«

Lucia seufzte.

Sir George hob wieder an. »Was die Front 154 anbelangt, so ist die Situation unter Kontrolle. Die Befürchtungen hinsichtlich ihres Einflusses sind maßlos übertrieben. Nichtsdestoweniger kann ich hier zu meiner Befriedigung bekanntgeben, dass meine Regierung Kolumbien weitere einhundert Millionen Pfund für den Kampf gegen Drogen, Terrorismus, Kriminalität und, selbstverständlich, auch die Front 154 bewilligt hat. Wir stehen damit, was Militärhilfe für Kolumbien anbelangt, an zweiter Stelle. Dies bedeutet eine bessere Ausbildung für Spezialkräfte, mehr Begasungsprogramme, einen verstärkten Kampf gegen die Kartelle, mehr–«

»Ach, nun hören Sie doch auf! Das ist doch gequirlte Scheiße!« Lucia schlug mit der Faust auf den Tisch. »Können Sie nicht akzeptieren, dass Sie versagt haben? Dass dieser ganze Krieg gegen die Drogen zu einem einzigen Schlamassel geraten ist?« Schweigen legte sich über das Studio. Sylvia machte große Augen.

Lucia stand auf. Sie hatte jetzt aller Aufmerksamkeit. Und sie hatte die Absicht, das auszunutzen. Zum Teufel mit den Konsequenzen.

»Hat Escobars Tod auch nur das Geringste gebracht?«, fragte sie. »Hat die Begasung halb Kolumbiens etwas gebracht? Haben die Massaker an zehntausenden von Campesinos etwas gebracht? Halten Sie uns für Idioten?«

Lucia legte eine Atempause ein. Sir Georges Augen waren zu Schlitzen geworden. Joanna war leichenblass. Sylvia sah aus wie kurz vor dem Herzanfall.

»Drogen sind eine Geisel«, sagte Sir George geradezu drohend leise. »Wir müssen sie mit allen zu Gebote stehenden Mitteln ausmerzen. Und ein Haufen liberaler Hippie-Aktivisten wird uns nun sicher nicht aus diesem Schlamassel herausführen.«

»Sie Dummkopf!« Lucia richtete einen Finger auf Sir George. »Glauben Sie wirklich, Sie können–«

Sylvia hob beide Hände. »Ich danke unseren beiden Gästen für die lebhafte Debatte.« Und an Lucia gewandt: »Setzen Sie sich.«

Lucia verstummte, ihr ganzer Schwung schlagartig dahin. Joanna nickte ihr vehement zu.

»Ich sagte, Sie sollen sich setzen«, wiederholte Sylvia.

Rauchend vor Zorn sank Lucia auf ihren Stuhl zurück. Sir George grinste. Sylvia wandte sich der Kamera zu. »Und jetzt zum Sport.« Lucia riss sich das Mikrofon von der Brust und stürmte vom Nachrichtenset.

»Denk ja nicht, dass wir dich nochmal vor Publikum lassen«, sagte Joanna, die eben aus der Studioecke trat. Ihr langes blondes Haar und der schlanke Körper brachten ihr anerkennende Blicke seitens der Kameracrew ein. »Der Vorstand dreht durch, wenn er das sieht.«

»Der Vorstand kann mir gestohlen bleiben.«

»Man verliert nicht vor laufender Kamera die Fassung«, fuhr Joanna mit finsterem Blick fort. »Damit drängst du das Publikum doch automatisch auf die Gegenseite.«

»Aber dieser Typ ist so ein Trottel!«

»Egal, du musst ruhig bleiben, besonnen. Du bist die Stimme der Vernunft, kein durchgeknalltes, campesinoküssendes, kommunistisch-subversives Guerilla-Groupie, das endlich ihre geliebten Drogen legalisiert sehen will.«

»Hab ich mich denn so angehört?«

»Das weißt du ganz genau.«

Einer aus der Crew tippte Joanna auf die Schulter und nahm sie auf ein paar Worte zur Seite. Wahrscheinlich um sie anzumachen, dachte Lucia mit einem Anflug von Eifersucht.

Lucia sah sich um. Einen zornigen Ausdruck auf dem künstlich gebräunten Gesicht, schritt Sir George auf sie zu. Sie wandte sich ab, aber es war zu spät.

»Glauben Sie ja nicht, dass Sie mir damit davonkommen«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »Ihre alberne kleine Kampagne mag im Augenblick auf einer Erfolgswelle schwimmen, aber halten wird sie sich nicht.«

»Ach ja? Wer sagt das?«

»Jemand, der weit mächtiger ist, als Sie sich das in Ihrem hübschen kleinen Köpfchen vorstellen können.«

»Soll das eine Drohung sein?«

»Nehmen Sie es als sachte Warnung.«

Lucia stieß Sir George so heftig mit dem Zeigefinger vor die Brust, dass er überrascht zurückwich. »Jetzt hören Sie mir mal zu, Mister. Ihre mächtigen Freunde sind mir genauso scheißegal, wie dass Sie hier mit Ihrer Rambo-Rhetorik auf dicke Hose machen. Sagen Sie Ihrer Regierung, wo sie sich ihre Drogenpolitik hinstecken kann. Der Krieg gegen Drogen ist verloren. Finden Sie sich damit ab.«

»Es ist nicht meine Regierung, vor der Sie sich in Acht nehmen sollen, junge Dame. Hören Sie auf meinen Rat. Geben Sie Ruhe, bevor es zu spät ist.« Er drehte sich auf dem Absatz um und marschierte davon wie ein Soldat bei einer Parade.

»Was war denn hier los?«, wollte Joanna wissen, als sie wieder auf Lucia zutrat. »Du machst mir doch nicht etwa den Feind an.«

»Wohl kaum.«

»Was wollte der denn?«

»Hat sich nur verabschiedet.«

»Und schon sind wir dem nächsten großen Tier auf den Schlips getreten.« Sie reichte Lucia ihre Lederjacke. »Na komm, gehen wir, bevor du noch eine Szene machst.«

Schwarzer Koks
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