Kapitel 62

Bogotá, Kolumbien
14. April 2011

Nathan und Lucia gingen zurück ins Hotel, um dort zu warten. Nathan setzte sich an den Sekretär und presste die Hände aneinander, damit sie zu zittern aufhörten. Er konnte noch immer kaum glauben, diesem Alptraum lebend entronnen zu sein. Ein Bild des toten Junkies kam ihm in den Sinn. Unmittelbar darauf sah er den anderen brennen. Ihre erbärmliche Existenz hatte ein tragisches Ende gefunden. Die Front hatte sie beide zerstört.

Lucia sank auf eines der Betten und lehnte sich gegen die Wand. Sie wirkte noch besorgter als zuvor. Immer wieder sah sie ihn aus dem Augenwinkel heraus an.

»Meinst du, wir schaffen das?«, fragte sie nach eine Weile.

»Was?«

»Na, der Front das Handwerk zu legen?«

Nathan fixierte seine Finger. Er hatte noch immer Dreck unter den Nägeln. Er gab sich alle Mühe, sich von der Größe ihrer Aufgabe nicht entmutigen zu lassen: drei Leute gegen eines der großen Drogenkartelle der Welt.

»Wir haben keine andere Wahl«, sagte er. »Wenn wir es nicht versuchen, wer sonst?«

»Wir könnten die DEA um Hilfe angehen.«

»Glaubst du wirklich, die würden helfen?«

»Wahrscheinlich nicht.«

Nathan hatte mit der DEA gearbeitet. Typisch Amerikaner setzten sie darauf, etwas aus allen Rohren feuernd anzugehen. So überraschte es denn auch nicht weiter, dass ihre Resultate weit hinter ihren Zielen zurückblieben. Man konnte sagen, je mehr Geld sie in den Krieg gegen Drogen pumpten, desto schlimmer wurde er.

»Warum bist du eigentlich bei der SOCA?«, fragte Lucia.

»Bin ich doch nicht mehr.«

»Na schön, warum hast du angeheuert? Glaubst du wirklich, der Krieg gegen die Drogen bringt was?«

Nathan zuckte die Achseln.

»Tut er nämlich nicht«, schob Lucia mit rotem Hals nach. »Ganz im Gegenteil. Alles, was man mit Drogen assoziiert – AIDS, Kriminalität, Gewalt, Knast, Tod – ist eine Folge des Verbots, nicht umgekehrt.«

Nathan sagte nichts. Er hatte keine Lust auf eine große Debatte. Im Grunde seines Herzens war er ja ihrer Meinung, auch wenn er es nicht offen zugeben wollte. Damit hätte er eingestanden, dass die letzten Jahre bei der SOCA reine Zeitverschwendung gewesen waren.

»Siehst du das anders?«, fragte sie.

»Wie sieht denn die Alternative aus?«

»Legalisierung.«

»Das wäre doch Anarchie. Würden sich doch alle nur noch zuknallen.«

»Nein, das würden sie nicht. Was trinkst du?«

»Wie bitte?«

»Alkohol. Was magst du?«

»Bier.«

»Keine harten Sachen?«

»Mag ich nicht.«

»Genau!« Lucia breitete die Hände aus. »So ist das doch auch mit Drogen. Nicht jeder mag sie. Ich habe Kokain mal probiert. Ich war völlig fuschelig danach. Konnte nicht schlafen. Hat mir völlig genügt.«

Nathan nickte.

»Na also.« Lucia rutschte an die Bettkante. »Letztlich ist alles Hype. Je mehr wir das alles unterdrücken, desto schlimmer wird es. Aber wie auch immer, damit, Drogen einfach zu legalisieren, ist es natürlich nicht getan. Das wäre wirklich Anarchie.«

»Was würdest du denn machen?«

»Wir sollten Drogen nicht kriminalisieren, sondern als Problem als solches sehen, gesundheitlich wie gesellschaftlich. Im Augenblick werden Drogen von Gruppen wie die Front 154 und korrupten Polizisten kontrolliert. Sie verdienen Milliarden. Legalisieren wir Drogen, könnte man sie in der Apotheke kaufen, zusammen mit einer Warnung vor den Risiken. Anstatt schmuddeliger Untergrundlabors im Dschungel würden sie börsennotierte Konzerne herstellen, unter sterilen Bedingungen. Man könnte Drogen besteuern und damit das Gesundheitswesen finanzieren.«

»Davon sind wir Lichtjahre entfernt.«

»Ich wäre mir da nicht so sicher.« Lucias Augen leuchteten auf. »Die Legalisierungsbewegung ist stärker, als den meisten klar ist.«

Nathan warf einen Blick auf die Uhr. Noch eine halbe Stunde bis zu ihrem Treff mit Manuel. Er begann, seine nächsten Schritte zu planen. Die meisten großen Drogenkartelle hatten ein Hauptquartier, wo man das Equipment versteckte, wo man Drogen und Geld lagerte. Er musste das Hauptquartier der Front finden.

Aber wie?

Ihm kam eine Idee. Hatte Sir George sein Amt als britischer Botschafter in Kolumbien bereits angetreten? Wenn ja, wäre er womöglich der Weg in die Reihen der Front?

Nathan blickte auf. Lucia musterte ihn.

»Du hast mir meine Frage nicht beantwortet«, sagte sie.

»Welche?«

»Warum du zur SOCA gegangen bist.«

»Aus demselben Grund wie die meisten meiner Kollegen. Um etwas zu bewegen.«

»Und? Habt ihr was bewegt?«

»Keine Ahnung. Und ich möchte im Augenblick auch nicht drüber nachdenken.« Er trat ans Fenster. »Wir sollten die Augen offen halten. Manuel müsste jeden Augenblick hier sein.«

Schwarzer Koks
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