Kapitel 79

Bogotá, Kolumbien
16. April 2011

Amonite wartete nicht gern, schon gar nicht auf einen falschen Hund wie diesen Evans. Nicht genug dass er mit ihrer Lieferung Black Coke verschwunden war, kam er doch tatsächlich winselnd wieder angekrochen und bat um ein Treffen. Sie stand gegen die Flanke eines Lagerhauses gelehnt. Es gehörte zu einem Mitte der 1990er-Jahre aufgelösten Gewerbegebiet. Durch Löcher im Wellblechdach tropfte der Regen; die Wände waren mit obszönen Graffiti beschmiert. Metallschrott stapelte sich bis unters Dach. In einer Ecke standen die ausgebrannten Wracks dreier Trucks. Die ganze Halle stank nach Abfall und Öl.

»Schon eine Spur von ihnen?«, fragte Amonite das Mikro unter ihrem Kragen.

»Bisher nicht, Boss«, antwortete Dex auf die für ihn typische knappe Art.

»Pünktlich ist er auch nicht. Kein Wunder, dass die ganze Insel den Bach runtergeht.«

Sie widmete sich wieder dem Gedanken, wie sehr sie diesen Elijah Evans hasste. Er hatte sie bis auf die Knochen blamiert. El Patrón war nicht zufrieden mit ihr. So etwas war nicht zu verzeihen.

Das Brummen mehrerer Motoren war zu hören.

»Wartet auf mein Signal«, sagte Amonite.

Sie steckte den Ohrhörer in die Tasche und trat an das Tor des Lagerhauses. Ein Konvoi aus vier schwarzen SUVs kam schliddernd auf dem Parkplatz vor der Halle zum Stehen. Vier Jamaikaner mit Mac 10-Maschinenpistolen sprangen aus dem ersten, zweiten und vierten der Fahrzeuge. Elijah humpelte aus dem dritten, eine Kalaschnikow über den gebeugten Schultern.

»Amonite, schön dich zu sehen«, murmelte er, die Brauen gefaltet, während er ihr seine knorrige Hand entgegenhielt.

»Gleichfalls.«

Amonite zeigte ihm ihr breitestes, freundlichstes Grinsen, ignorierte jedoch seine Hand. Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter und bugsierte ihn in die Lagerhalle.

Elijah warf ihr einen Seitenblick zu. »Wir hatten da einige Probleme.«

»Tatsächlich?«

»Die Haitianer waren zu spät dran.«

»Wie unprofessionell.«

Elijah warf einen Blick über die Schulter auf seine Männer in der Tür.

»Sie sind über uns hergefallen.«

»Ich hoffe, es ist niemand zu Schaden gekommen.«

»In der Hauptsache die Haitianer.«

»Sind welche davongekommen?« Amonite legte etwas mehr Stahl in ihre Stimme. Es tat ihr gut zu sehen, wie Elijah sich wand.

»Das wissen wir nicht.« Elijah wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Amonite, wie schon am Telefon gesagt, das Black Coke ist verkauft. Ich habe dreißig Millionen Mücken im Kofferraum von meinem Wagen.«

»In deinem?«

»Mhm. Ich habe den Stoff in Miami verkauft. Über mein Netz. Die Kundschaft schreit nach mehr.«

»Ach ja? Aber nach allem, was man so hört, hat die DEA dein Netz zerschlagen.«

»Ich habe neue Dealer, und dann habe ich einige DEA-Leute geschmiert. Gib mir so viel Black Coke, wie du nur kannst, ich schlage den Stoff los, bevor auch nur einer dahinterkommt, was da läuft. Da sind Millionen drin. Milliarden. Überleg mal.«

Amonite musterte Elijah. Er sah wirklich jämmerlich aus mit diesem hungrigen Blick in den Augen, den sie bei so vielen Drogenschmugglern gesehen hatte, die vom Gedanken an den großen Reichtum gebannt waren.

»Komm mal mit.« Sie zog Elijah in den hinteren Teil der Lagerhalle, hinter die ausgebrannten Trucks. »Ich werde die Haitianer zur Strecke bringen. Hast du verstanden?«

Elijah nickte überstürzt.

Amonite klopfte ihm auf die Schulter und ließ ihre Hand darauf liegen.

»Was sind denn das für Flecken in deinen Augen?«, fragte sie.

»Das ist nichts.«

»Sieht gar nicht gut aus. Solltest du mal nachsehen lassen.«

»Ich bin in Ordnung.«

»Okay, jetzt hör mir mal zu.« Amonite wurde so leise, dass Elijah den Kopf neigen musste, um sie zu verstehen. »Die Front hat es gar nicht gern, wenn man sie abzieht, du falscher jamaikanischer Strolch.«

»Bitte, Amonite, du musst das verstehen.«

»Verstehen? Was muss ich verstehen? Dass du mit meinem Stoff verschwindest und dann angekrochen kommst, um noch mehr abzustauben?«

»Das ist doch nicht, was–«

Bevor er den Satz beenden konnte, hatte Amonite Elijah eine Hand um den Nacken gelegt. Er versuchte sich ihr zu entziehen, aber sie riss ihn auf sich zu und stieß ihm die Stirn mit solcher Wucht gegen die seine, dass sie seinen Schädel knacken hörte. Er brach auf dem Boden zusammen.

»Auf geht’s, Jungs!«, sagte sie ins Mikrofon.

Amonites Leute begannen zu schießen. Sie spähte über die Motorhaube des Trucks. Die Jamaikaner schossen wie wild zurück, ihre Kugeln prallten von den Metallwänden der Halle. Zwei von ihnen lagen bereits mit dem Gesicht nach unten in wachsenden Lachen ihres eigenen Bluts.

Amonite trat Elijah gegen die Schläfe, nur um sicherzugehen, dass er das Bewusstsein nicht gleich wieder erlangte. Sie nahm sein Sturmgewehr auf und hielt auf einen der Jamaikaner an. Mit einem ausgestanzten Loch dort, wo eben noch sein Gesicht gewesen war, fiel er um. Die noch lebenden Jamaikaner stürzten auf ihre Fahrzeuge zu.

Amonite steckte sich den Schmalzbohrer wieder ins Ohr. »Feuer einstellen!«

Die Jamaikaner sahen sich um und gaben den einen oder anderen Feuerstoß ab, während sie die Türen der Fahrzeuge aufrissen. Sie sprangen hinein.

»Achtung«, sagte Amonite.

»Alles bereit«, sagte Dex.

»Dass mir keiner den Wagen des Reverends anrührt. Da ist das Geld drin.«

»Alles klar.«

Die Türen der Fahrzeuge fielen zu.

»Auf mein Kommando«, sagte Amonite.

Der Motor des ersten Wagens sprang an.

»Jetzt!«

Sie spürte einen Luftzug, als die ersten beiden Fahrzeuge sich in metallspuckende Feuerkugeln verwandelten. In einem großen Satz hoben sie ab, dann schlugen sie wieder auf. Die anderen beiden SUVs hatten den Rückwärtsgang eingelegt. Das vierte ging in die Luft. Die Granate tötete die Insassen auf der Stelle. Das dritte von Elijahs SUVs saß zwischen den brennenden Wracks der anderen fest. Dutzende von Front-Leuten kamen aus ihren Verstecken und stürmten auf das Fahrzeug zu. Sie rissen die Tür auf, zogen die drei Insassen heraus, warfen sie zu Boden und schlugen sie mit den Kolben ihrer Gewehre bewusstlos. Ohne weiter auf die tosenden Flammen der brennenden Fahrzeuge zu achten, hob Amonite Elijah an den Achseln auf und zerrte ihn in die Mitte der Halle.

»Was machen wir mit denen hier?«, fragte Dex und wies auf die drei auf der Erde.

»Lasst sie verschwinden. Dann schaff deine Leute hier weg. Sorg dafür, dass mir hier keine Bullen antanzen.«

Sie wandte sich ab und ignorierte die Salve, die für die Exekution der drei Jamaikaner stand. Sie waren entbehrlich, Fußvolk in diesem brutalen Krieg.

Nachdem ihre Arbeit erledigt war, zogen die Killer der Front wieder ab. Ihre Waffen über der Schulter, rissen sie Witze, als hätten sie nur einen weiteren Arbeitstag hinter sich. Amonite wies auf einen rostigen Metallstuhl an der Wand.

»Dex, bring den doch mal her, ja? Bind Elijah darauf fest.«

Mit Kabelbindern band Dex Elijahs Hand- und Fußgelenke an den Stuhl. Amonite sah sich um, nur um sicherzugehen, dass die Frontleute gegangen waren.

»Kümmern wir uns um das dumme Stück Scheiße hier.«

Sie ohrfeigte Elijah, bis er blinzelnd die Augen aufschlug. Schreiend versuchte er sich zu befreien.

»Völlig zwecklos«, sagte Amonite und trat einen Schritt zurück. Elijah sah sich mit großen starren Augen um. Er entdeckte die brennenden Wracks hinter Amonite, die Leichen seiner Leute rundum.

»Ich habe dich nicht hintergangen«, sagte er. »Ich schwöre es beim Grab meiner Mutter.«

»Was ist auf der Insel passiert?«

»Sie haben uns angegriffen.«

»Seien wir doch vernünftig.« Amonite beugte ihr Gesicht so nahe an das von Elijah, dass sie seinen keuchenden Atem spürte. »Wir sind doch beide vernünftige Leute, oder?«

Elijah nickte inbrünstig.

»Alles rein geschäftlich«, sagte Amonite, »ja?«

»Alles rein geschäftlich.«

»Gut.« Amonite richtete sich auf. »Im Geschäftsleben bezahlt der Verlierer.«

Elijahs Adamsapfel tat einen Satz.

»Augenblick«, sagte sie.

Ein Ausdruck der Erleichterung legte sich über Elijahs Gesicht, als sie auf die andere Seite der Halle ging. Sie stöberte in einem Haufen rostigen Schrotts. Da war sie, genau dort, wo sie sie versteckt hatte: eine lange, kräftige Axt, die Art von Axt, mit der Holzfäller große Bäume fällten. Sachte ließ sie das Blatt in die offene Hand fallen und wandte sich wieder Elijah zu. Sie lachte laut auf, als sie die Angst auf Elijahs Gesicht sah.

»Amonite, mach das nicht.« Elijahs Stimme bebte.

Amonite baute sich vor Elijah auf, die Axt über einer Achsel, die Beine in Schulterweite gespreizt.

»Also, mein guter Reverend, was ist wirklich passiert?«

»Es war unsere Schuld!«, rief er. »Mein Cousin Wes, er ist durchgedreht. Er wollte den Koks für sich. Ich konnte ihn nicht–«

»Wieso hast du mich angelogen?« Sie hob die Axt hoch über den Kopf. »Weißt du nicht, wie die Front so etwas bestraft?«

»Glaub mir«, schrie Elijah. »Bitte!«

»Ich höre dich nicht«, rief Amonite.

Die Axt sauste herab und grub sich in den Boden direkt vor Elijahs Füßen. Kreischend, wie unter einem Elektroschock, fuhr er zusammen.

»Was hast du sonst noch angestellt?«, rief Amonite. Sie hob die Axt wieder an.

»Belville! Belville!«

Amonite wollte die Axt eben wieder herabsausen lassen, als Dex ihr in den Arm fiel.

»Warte, Boss, war das nicht eben ein Name?«

Amonite ließ die Axt sinken. »Sprich deutlicher, du jamaikanisches Schwein.«

»Cedric. Belville. Ein englischer Bulle. Er will sich mit mir treffen. Morgen.«

»Du Bastard.« Amonite hob die Axt wieder an. »Nach allem, was ich für dich getan habe, wolltest du mich verraten.«

Elijah schrie vor Entsetzen auf, was Amonite nur noch wütender machte. Aber dann senkte sie die Axt. Sie hatte ihn hierherbestellt, um ihm eine Lektion zu erteilen, nicht um ihn umzubringen. Sie wischte sich über die Stirn. Elijahs Kopf war nach vorne gekippt; er war in Ohnmacht gefallen.

Amonite ging zu ihrem Wagen, der hinter der Lagerhalle versteckt stand. Sie holte einen Kanister Wasser heraus und ging wieder zu Elijah zurück. Sie übergoss ihn mit dem Wasser. Prustend schüttelte er den Kopf. Die Wassertropfen flogen in alle Richtungen.

»Amonite, bitte!«

Er sah so was von jämmerlich aus mit seinen mageren Hängeschultern, der zerrissenen Kleidung, den eingefallenen Backen, den spillerigen Armen und Beinen und den schwarzen Flecken über den Knöcheln. Aber er war nicht dumm. Immerhin hatte er den schwarzen Koks durch die Karibik nach Miami geschafft und binnen Stunden an den Mann gebracht, auch wenn dabei die Hälfte seiner Gang in Miami geschnappt worden war. Amonite hatte einfach keine Zeit, einen neuen Schmuggler aufzutreiben, schon gar einen so kompetenten wie Elijah. Die Haitianer waren zu nichts zu gebrauchen. Die Mexikaner hatten seit Don Camplones’ Tod Probleme mit ihr. Und ihre Kolumbianer hatten auch so schon genug um die Ohren.

»Was wollte Belville denn von dir?«

»Er hat mir Straffreiheit angeboten, wenn ich dich verpfeife.«

»Und?«

»Niemals, Amonite! Ich schwör’s beim Grab meiner Mutter.«

»Ich gebe dir noch eine letzte Chance«, sagte Amonite.

Elijahs Augen leuchteten auf.

»Hör zu.« Amonite beugte sich vor. »Du machst jetzt folgendes.«

Schwarzer Koks
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