Kapitel 67
Miami,
USA
15. April 2011
Elijah hielt den Atem an. Das weiße Polizeiboot, das da draußen die Wellen durchschnitt, kam direkt auf ihn zu. Er sah das Blitzen der Abendsonne auf seinem Rumpf. Ein Polizist stand am Bug, einen Feldstecher vor den Augen, der direkt auf Elijah gerichtet war. Hinter ihm ragte Miamis glitzernde Skyline in den klaren blauen Himmel.
»Errette mich, mein Gott, von meinen Feinden«, murmelte Elijah. »Psalm 59, Vers 1.«
Das Polizeiboot glitt längsseits von Elijahs Jacht. Der Polizist sprang an Bord und verband beide Fahrzeuge mit einer Leine. Er war ein schmaler Kerl mit kurzen Haaren, verspiegelter Sonnenbrille und sauber gestutztem Bart. Ein zweiter Polizist, ein kleiner, stämmiger Typ mit einem Schnellfeuergewehr, blieb auf dem Polizeiboot. Er ließ Elijah nicht einen Augenblick aus den Augen.
Elijah fluchte. In kaum einer Stunde würde er die Ware nördlich von Miami seinen jamaikanischen Kontakten übergeben. Kam überhaupt nicht in Frage, dass er sich jetzt von ein paar Bullen aufhalten ließ.
»Was führt Sie denn zu uns?«, fragte der Polizist, der eben auf Elijah zukam.
»Schön, Sie zu sehen, Officer…«, Elijah warf einen Blick auf das Namensschild, »Jones.« Dann sah er ihm in die Augen.
Jones ging nicht darauf ein. »Ich habe Sie was gefragt.«
»Ich bin Tourist.«
»Wohin soll’s denn gehen?«
»Miami.«
»Schiffspapiere, Pass, Visum?«
»Ich geh sie mal schnell holen«, sagte Elijah und überlegte fieberhaft, wie er sich da herauslügen könnte.
»Ich schau mich mal um.«
»Machen Sie nur.«
Elijah stieg in die Kabine hinab. Er nahm jede Stufe einzeln wegen der Schmerzen in seinen Knien. Er tat, als suche er, öffnete lautstark einige Schubladen und knallte sie wieder zu, ging Papiere durch. Dann ging er wieder nach oben.
»Das ist mir furchtbar peinlich, Officer Jones, aber es sieht fast so aus, als könnte ich meine Papiere nicht finden.«
»Keine Papiere, keine Einreise.«
Elijah fluchte innerlich. Verdammte Bullen! So was von stur. Na, dann haben sie selber Schuld. Er ging wieder hinab in die Kabine und holte seine Waffe unter der Koje hervor. Er war kein gewalttätiger Mann, aber die Cops hatten sich das selbst zuzuschreiben. Genau wie Patrice gesagt hatte. Er hörte jemanden rufen. Er steckte die Pistole in den Schub und humpelte nach oben.
»He.« Jones musterte die Kabinenwand. »Was ist das denn.«
»Was?«
»Na, das Loch hier.«
»Ach das.« Elijah versuchte sich an einem Lächeln. »Eine der Harpunen ging versehentlich los. Nichts Ernstes.«
Jones zuckte die Achseln und wandte sich ab. Elijah warf einen Blick auf das Loch, um zu sehen, ob nicht womöglich etwas getrocknetes Blut daran war. Er war heilfroh, die Stelle in einem lichten Augenblick tüchtig geschrubbt zu haben, nachdem er Patrices Leiche über Bord geworfen hatte.
»He.« Jones beugte sich über die Bordkante. »Was ist denn da unten?«
»Wie bitte?«
»Da klebt was am Rumpf. Was ist das denn.«
»Könnt ich nicht sagen.« Mit rasenden Gedanken beugte Elijah sich über die Reling. Hatte der verdammte Bulle so gute Augen, dass er die Pakete sah, die unten am Rumpf festgemacht waren?
»Das da.« Jones wies mit dem Finger.
Elijah unterdrückte ein erleichtertes Seufzen. Es war irgendwelcher Müll, der sich am Boot verfangen hatte.
»Da hab ich wohl irgendwas aufgeschnappt.«
»Ja, schon gut.« Jones wandte sich ihm zu. »Was haben Sie denn an den Augen?«
»Nichts.«
»Aber die schwarzen Flecken.«
»Das ist doch nichts.«
»Sehr gesund sieht das nicht aus.« Jones schob die Hände in die Taschen. »Was ist denn nun mit den Papieren?«
Vielleicht ließ er sich bestechen. Aber dann fiel Elijah ein, dass er hier nicht in Jamaika war sondern in den USA.
»Vielleicht wollen Sie ja mal mitsuchen, Officer«, sagte Elijah.
»Da pass ich mal lieber, Kamerad. He, ist das Ihr Funkgerät? Wieso ist das denn so zugerichtet?« Er beugte sich vor. »Sind das Einschusslöcher?« Jones richtete sich auf und legte den rechten Handballen auf sein Holster. »Treten Sie mal zurück, Kamerad. Sie sind doch kein Tourist.«
»Bitte, nicht doch.« Elijah breitete die Hände aus. »Ich habe da was zu beichten.«
»Ach ja?«, grinste Jones. »Wir sind doch hier nicht bei den Katholiken.«
»Ich arbeite für die DEA.«
»Schauen Sie mal.« Jones wies auf seine Stirn. »Steht da Trottel drauf.«
»Sie können es nachprüfen. Rufen Sie die Sonderagentin Amonite Victor an, von der DEA Bogotá.«
»Und was machen Sie dann hier.«
»Ich bin undercover. Ich bin hinter Drogenschmugglern aus Kolumbien her.«
»Schmugglern, eh?«
»Setzen Sie sich mit der Agentin Victor in Verbindung.«
Jones musterte Elijah argwöhnisch. Zum Glück für Elijah schien Jones nicht der Hellste. Er sprang wieder an Bord des Polizeiboots und unterhielt sich mit seinem Kollegen. Elijahs Hände waren schweißnass. Er war froh, die letzten Stunden die Finger von dem schwarzen Koks gelassen zu haben. Er dachte daran, nach unten zu gehen und die Waffe zu holen.
»Kommen Sie mal rüber«, sagte Jones und winkte Elijah zu. »Aber keine falsche Bewegung.«
Elijah rutschte das Herz in die Hose. Jetzt würden sie ihn festnehmen. Jetzt war es aus mit ihm.
»Gehen Sie mal mit Al.« Jones wies mit dem Daumen auf seinen Kollegen. »Er wird sich für Sie mit der DEA in Verbindung setzen.«
Al verschwand in der Kajüte. Jones musterte die Jacht. Noch im Sprung auf das andere Boot überlegte Elijah, wie Al sich wohl austricksen ließ.
»Sagen Sie mal, ihr Boot liegt ziemlich tief im Wasser«, sagte Jones. »Schauen sie. Weit unter der Linie. »Was haben Sie denn ge–«
Noch bevor er den Satz zu Ende sprechen konnte, sprang Elijah ihn an.
»He, was zum–«, rief Jones und versuchte ihn wegzustoßen. Elijah warf Jones gegen die Reling und versuchte ihn über Bord zu stoßen. Jones griff nach seiner Waffe. Elijah versetzte ihm einen Kopfstoß und stieß ihn mit beiden Händen nach hinten, bis Jones gefährlich weit über den Bordkante hing. Jones versuchte, die Beine um Elijah zu schlingen. Elijah stieß ihn von sich weg. Jones griff nach der Reling, rutschte ab, griff noch einmal danach, bekam sie zu fassen, versuchte sich wieder auf die andere Seite zu ziehen. Elijah drosch Jones wiederholt mit der Faust auf die Hand.
»He, Al! Hilf mir!«
Jones baumelte jetzt über der Bordkante, er hing nur noch mit den Kniekehlen an der Reling. Elijah spähte hinüber. Jones griff nach der Waffe in seinem Holster. Elijah begann an einem von Jones’ Beinen zu zerren.
»Nein! Nicht doch! He, bitte!«
Elijah bekam das andere Bein hoch. Jones landete im Wasser, wo er prustend und schreiend um sich zu schlagen begann.
Al kam aus der Kajüte geschossen. Elijah sprang auf ihn zu. Noch bevor Al seine Waffe aus dem Holster bekam, stieß Elijah ihn vor die Brust. Al fing sich noch mal, drehte sich um, stieß seinerseits Elijah, der nach hinten umkippte, ihn aber gerade noch zu fassen bekam. Zusammen gingen sie zu Boden. Der vierschrötige Cop landete auf Elijah und begann auf sein Gesicht einzuschlagen. Al griff nach seiner Waffe.
»Na warte, du Strolch«, sagte Al. »Dir werd ich–«
Elijah packte Al an den Schultern und begann heftig zu zerren. Er brachte den Mann aus dem Gleichgewicht und stieß ihn zur Seite weg. Al kippte um wie ein Sack Mais. Schließlich lag er auf dem Rücken und fummelte an seinem Holster herum. Elijah kletterte auf ihn, schlug ihm die Klauen ins Auge, biss ihm in den Hals. Er hörte den Mann vor Schmerzen schreien. Immer wieder schlug er ihm ins Gesicht, zerschmetterte ihm den Kiefer. Die Schockwellen der Schläge, die ihm durch Fäuste, Arme und Brust fuhren, erfüllten ihn mit einem berauschenden Gefühl von Macht.
»Habt ihr gedacht, ihr könnt den großen Elijah Evans aufhalten?«
Er stieß Al die Stirn gegen die Nase. Sofort schoss das Blut heraus.
»Wer ist hier ein Strolch?«, rief Elijah.
Al stöhnte. Sein Kopf kippte von einer Seite auf die andere. Elijah stand auf und trat ihm gegen die Schläfe. Sein Kopf knackte seitwärts weg.
»Hast du verstanden?«
Immer wieder trat Elijah zu. Bis der Kopf des Cops nur noch ein blutiger Klumpen war. Dann kniete er nieder und zog ihm die Waffe aus dem Holster. Er zielte sorgfältig, sich des Zitterns in seinen Armen bewusst, und schoss dem Polizisten zweimal in den Kopf.
Elijah trat wieder an die Reling. Er beugte sich über Bord. Jones war dabei, um den Rumpf herum auf die Leiter zuzuschwimmen, die am Heck des Boots ins Wasser hing. Elijah schoss auf ihn, bis das Magazin leer war. Er sah zu, wie Jones unter ihm zu versinken begann.
Die Cops hatten ihn wertvolle Zeit gekostet. Für diese Sünde hatte sie die gerechte Strafe Gottes ereilt.
Er warf die Pistole über Bord und wandte sich der Leiche zu. Er zerrte sie herum, begann die Schmerzen in seinen Gelenken zu spüren, jetzt, wo nach dem Kampf der Adrenalinspiegel wieder sank. Er hob die Leiche auf, zerrte sie an die Bordkante und warf sie ins Meer. Er löste die Leinen und sprang wieder auf seine Jacht. Er ging in die Kabine. Er trank ein großes Glas Rum und nagte an seinem Würfel Black Coke. Dann stieg er wieder hinauf an Deck.
Die Leiche des Cops verschwand eben im Meer. Elijah murmelte ein Bestattungsgebet.
Er sah durch den Feldstecher und führte ihn Miamis schimmernde Skyline entlang.
Mit einem lautlosen Lachen ließ er den Motor an. Die Menschen in Miami hatten keine Ahnung, was da auf sie zukam.