Kapitel 45
Turks- und
Caicosinseln
13. April 2011
»Du hast Shaun umgebracht.«
»Shaun?«, murmelte Elijah, erleichtert, dass er Patrice wieder verstand.
»Amonite hat es mir bei der Beerdigung gesagt.«
»Shaun?« Elijah suchte Halt an der Kabinenwand. »Was hat Shaun mit all dem hier zu tun?«
»Er hat niemandem was getan?«
»Du hast mich mit Shaun betrogen?«
»Er hat mich geliebt.«
»Niemand betrügt mich.« Elijah hob die rechte Hand, aber sie war leer. In seinem Kopf drehte sich alles; er sah sich um. Wo hatte er denn die Pistole hin?
Das Messer gehoben, trat Patrice einen Schritt auf ihn zu.
»Patrice, mein Junge. Patrice, Patrice.« Elijah wich zurück. Wieder griffen seine Hände nach Halt. »Ich vergebe dir.«
»Wofür?«
»Für deinen Verrat.« Elijahs Finger ertastete ein Stück Metall an der Wand. Er griff danach und fuhr herum.
Patrice stürzte sich auf ihn.
Elijah drückte ab. Schwirrend schoss die Harpune aus der Halterung, bohrte sich in Patrices Magengrube, stieß den Jungen nach hinten und spießte ihn an die Wand.
»Nein…« Patrices braune Augen, für gewöhnlich so aufgeweckt, weiteten sich vor Entsetzen. Aus seinem Blick sprach die Verwirrung ob dieses Verrats. Sein Messer fiel klappernd zu Boden. Seine schlanken Finger umklammerten die Harpune. Er zog daran, prüfend, ängstlich, dann wie im Wahn, aber sie saß zu tief.
Elijah taumelte auf ihn zu. Die Harpune glänzte in der Nachmittagssonne. Eine Möwe landete auf der Reling.
Elijah geriet ins Schwanken; nur am Rande war er sich seines eigenen Lachens bewusst. Urplötzlich griff Patrice mit unnatürlich kräftiger Hand nach seinem Hemd und zerrte Elijah an sich heran.
»Du Teufel«, röchelte er. Unter einem Gurgeln folgte ein Schwall von Blut. »Brat in der Hölle.«
Elijah schlug Patrice mit der Abschussvorrichtung für die Harpune ins Gesicht. Der Kopf des Jungen kippte seitlich weg.
»Mein Gott, Patrice.« Er wich zurück. Eine Welle von Übelkeit überkam ihn. »Was habe ich getan?«
Töte ihn.
»Nein!« Elijah schüttelte sich und senkte den Kopf. »Ich will das nicht!«
Er hatte hinter deinem Rücken etwas mit Shaun.
Elijah blickte auf. Patrices Mund stand offen. Seine Augen waren blutunterlaufen, sein Gesicht teigig und blass. Genau wie Shauns, bevor er ihn angezündet hatte.
»Was hat dir Amonite sonst noch gesagt?«, fragte Elijah.
Patrice entfuhr ein gedehntes Stöhnen. Sein starrer Blick machte Elijah Angst. Er hatte gehört, dass es Stunden dauern konnte, bis man an einer Bauchwunde starb.
Er hat dich an die Haitianer verraten.
Elijah ließ die Abschussvorrichtung fallen und hob das Messer auf. Er wog es in seiner Hand.
»Was haben dir die Haitianer für den Verrat an mir bezahlt?« Elijah trat einen Schritt vor. »Wie viel? Antworte mir, du kleiner Arschficker. Was haben die dir über das Black Coke gesagt?« Er schlug Patrice ins Gesicht. »Haben die gedacht, sie könnten mich austricksen? Haben sie dir das gesagt?«
Patrice spuckte Elijah ins Gesicht. Statt des Speichels kam ein Schwall Blut.
Mit einem zornigen Schrei stieß Elijah Patrice das Messer in die Brust. Patrice stöhnte auf, dann stieß er ein Kreischen von so entsetzlicher Intensität aus, dass Elijah vollends den Verstand verlor. Immer und immer wieder stach er auf Patrice ein, spürte das Messer in den Körper fahren, bis nur noch eine Masse rohes Fleisch übrig war. Dennoch stach er weiter zu, heulend, rasend vor Zorn, geifernd vor Abscheu, getrieben von einem tückischen Verlangen nach Rache an Patrice, Amonite, Shaun, seinem Vater, seiner Mutter, seiner Gemeinde, Jesus, Gott und der ganzen verdammten Welt. Alle hatten sie ihn verraten. Im Stich gelassen. Gehasst.
Die Möwe kreischte.
Elijah taumelte rücklings weg. Das Messer stak noch in dem, was von Patrices Brust übrig war. Elijah sackte zu Boden. Seine Hände und sein cremefarbener Anzug waren voll Blut. Er legte den Kopf zurück. Er schloss die Augen. Er zitterte am ganzen Leib.
Was hast du getan?
Tränen strömten ihm übers Gesicht, als die Trauer um Patrice nach ihm griff, den einzigen Menschen, den er je geliebt hatte. Immer wieder bat er Gott um Gehör. Während er betete, beruhigte er sich. Die Stimme verschwand. Sein Herzschlag verlangsamte sich. Er betete lauter, kühner. Bis endlich Vergebung am Rand seiner Seele rührte, erst zaghaft, dann beherzter, um schließlich zu einer mächtigen Welle zu werden, die Befreiung und Erlösung versprach.
Gott verstand, warum er das getan hatte. Es ging um sein Überleben, um die Zukunft von Gottes Kirche. Elijah funkelte Patrice an. Es war alles seine Schuld und er hatte dafür mit dem Leben bezahlt. Er war es, der jetzt in der Hölle braten würde, nicht Elijah.
Er zog sich auf die Beine. Er rief Gott an und pries ihn mit erhobenen Armen.
Die Möwe flatterte davon.
Mit einem ungestümen Lachen wandte er sich dem Steuerrad zu und stellte den Kurs auf Nord. Eine bittere Entschlossenheit erfüllte ihn. Er würde den schwarzen Koks verkaufen, ein Vermögen verdienen und damit das größte Drogenimperium aufbauen, das die Welt je gesehen hatte.