Kapitel 74

Bogotá, Kolumbien
15. April 2011

Amonite und Dex verließen die Wohnung. Die Tür fiel mit einer Endgültigkeit hinter ihnen zu, die Lucia schaudern ließ. Sie versuchte sich die Tränen zu verbeißen. Sie starrte Rudolph an, der sie mit triumphierendem Grinsen maß. Er trat auf sie zu, zog sie bei den Haaren hoch und zerrte sie ins Schlafzimmer. Sie versuchte sich ihm zu entwinden, aber er war zu stark. Sie trat nach seinen Schienbeinen. Er stieß ein grobes Lachen aus und ohrfeigte sie. Sie schrie auf.

»Sei still«, sagte Rudolph. »Sonst jage ich dir eine Kugel durch den Kopf wie deiner Freundin da draußen.«

Er warf sie aufs Bett. Sie versuchte davonzukrabbeln, aber er bekam einen ihrer Knöchel zu fassen und zog sie auf sich zu. Während er Hemd und Hose öffnete, ragte er über ihr auf. Seine Gier nach ihr machte sein Gesicht zur Grimasse. Seine Unterhose beulte sich vor ihm aus. Als er sie auszog, sprang ein erigiertes Glied heraus, das er mit einer Hand zu massieren begann.

Lucia konnte es nicht glauben: zwei Vergewaltigungsversuche in zwei Tagen! Sie stürzte sich auf die Nachttischlampe, aber mit den Händen auf dem Rücken bekam sie sie nicht zu fassen. Rudolph zerrte sie herum. Dann schlug er sie wiederholt.

»Leg dich hin, du Luder!«

Lucia wand sich unter ihm, aber er saß nun mit dem ganzen Gewicht auf ihr. Mit der linken Hand drückte er sie in die Matratze, während er ihr mit der rechten den Morgenmantel öffnete. Lucia biss ihm in den Hals. Er stieß sie zweimal mit der Stirn. Sie sah Sterne. Sie verlor das Bewusstsein.

Als sie wieder zu sich kam, war er dabei, ihr die Unterwäsche vom Körper zu reißen. Lucia trat ihm gegen die Brust. Er kippte um, geriet an der Bettkante ins Wanken, verlor vollends die Balance und fiel zu Boden. Sein Hinterkopf schlug gegen die Wand.

»Du Schlampe!«

Mit schmalen Augen kam er wieder auf die Beine. Lucia fiel auf der anderen Seite vom Bett, raffte sich auf und rannte zur Tür. Er stürzte hinter ihr her, griff nach ihrem Knöchel und zog. Sie fiel der Länge nach hin und schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf. Rudolph sprang ihr auf den Rücken, pinnte sie mit dem Gesicht nach unten auf die Fliesen. Er packte sie an den Haaren und riss ihren Kopf nach oben.

»So was von stur«, sagte er.

Sie verdrehte den Kopf so, dass sie ihn aus dem Augenwinkel sehen konnte. Er griff nach seiner Hose, die hinter ihm vom Bett hing, und zog sie auf sich zu. Er fummelte daran herum und brachte dann ein Messer zum Vorschein, das er aus einer Scheide am Gürtel zog.

Lucia schluckte. Schlimmer konnte es nicht mehr kommen. Gefoltert, vergewaltigt und umgebracht von einem deutschen Söldner, einem Psychopathen. Sie atmete tief ein und wappnete sich gegen den Schmerz. Sie nahm es als Strafe für ihre Mitschuld an Joannas Tod.

»Siehst du das?« Er hielt ihr das Messer vor die Augen. Sie sah eine scharfe Klinge mit Zähnen auf dem Rücken. »Das ist für dich.«

Er packte sie bei der Schulter und versuchte sie auf den Rücken zu zerren. Als er sich dazu erhob, geriet er aus dem Gleichgewicht. Er ließ das Messer fallen und stützte sich mit einer Hand auf den Fliesen ab.

Lucia ergriff ihre Chance. Mit einem Ruck wälzte sie sich auf den Rücken, stieß sich mit den Händen vom Boden ab, was Rudolph weiter ins Wanken geraten ließ.

»He, du kleines Luder!«, rief er aus, als er seitwärts wegkippte. Sie zog das rechte Bein an und trat ihm ins Gesicht. Aufheulend riss er die Hände hoch, um sich zu schützen. Sie trat ihn noch einmal, diesmal in den Schritt. Fluchend, die Hände an den Weichteilen, wälzte er sich zur Seite.

Lucia sprang auf die Beine. Ihr Herz schlug so heftig, dass ihr Brustkorb zu beben begann. Sie rannte ins Wohnzimmer und stürzte auf die Wohnungstür zu. Sie war verschlossen. Ihr Blick durchschweifte den Raum nach den Schlüsseln, aber es waren keine zu sehen. Sie lief in die Küche, griff rücklings nach der Schere und konnte sich von dem Kabelbinder befreien.

Sie lief zurück ins Wohnzimmer. Der Baseballschläger lag noch neben dem Sofa. Dex musste ihn Rudolph dagelassen haben. Sie stürzte sich darauf, als Rudolph hereingestürmt kam. Er hatte das Messer in der rechten Hand.

»Du Hure!«

Sie hatte den Schläger bereits in der Hand, als Rudolph sie erreichte. Und Rudolph hatte viel zu viel Schwung und keine Gelegenheit mehr, die Hände schützend vor den Kopf zu nehmen, als Lucia ihn auch schon gegen die Schläfe traf. Er blieb wie angewurzelt stehen, taumelte, das Messer fiel ihm aus der Hand.

Fest entschlossen, ihm den Rest zu geben, holte Lucia gleich noch einmal aus. Es krachte dumpf, als der Schläger auf seinem Schädel aufschlug. Rudolph sackte in sich zusammen. Blut lief ihm von der Schläfe. Sie trat einen Schritt zurück und sah ihn einen Augenblick an. Er wälzte sich auf den Rücken und schlug die glasigen Augen auf. Seine Hand tappte nach dem Messer. Er schüttelte den Kopf, als versuchte er einen klaren Gedanken zu fassen. Den Schläger in der Hand, als wollte sie sich daran festhalten, stand Lucia da. Wie hypnotisiert starrte sie den Mann an. Etwas in ihr rief ihr zu, davonzulaufen, solange er hilflos war. Eine andere Stimme drängte sie, sich zu rächen. Gib ihm den Rest.

Rudolphs Finger krümmten sich um das Heft des Messers. Seine Augen blitzten. Dennoch bewegte Lucia sich nicht. Sie war ein einziges Knäuel aus Verwirrung und Angst. Grinsend stützte Rudolph sich auf die Ellbogen auf, als wüsste er genau, was in ihr vorging. Langsam, voll Selbstvertrauen kam er in die Hocke und wollte eben aufstehen, als bei Lucia der Groschen fiel.

Einmal mehr drosch sie ihm den Schläger gegen den Kopf. Rudolph riss die Augen auf vor Überraschung. Sie schlug gleich noch einmal zu, spürte diesmal, wie sein Schädel nachgab. Rudolph geriet ins Wanken. Das Messer landete einmal mehr auf dem Boden. Sie schlug ein drittes Mal zu, brach ihm den Kiefer. Er kippte um und rührte sich nicht mehr.

Sie ließ den Schläger fallen und kniete neben ihm nieder. Sie fühlte nach seiner Halsschlagader.

Kein Puls.

Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und sank in den Sessel. Sie hatte einige Mühe, Joannas Leiche nicht anzustarren. Ein heftiges Schluchzen erfasste sie. Sie raffte sich auf und ging schwankend ins Bad. Sie zog sich etwas über. Sie musste da raus.

Sie hatte keine Zeit, sich ihrem Schock zu überlassen. Sie hatte keine Zeit für Angst. Keine Zeit für Selbstmitleid.

Amonite würde sich über kurz oder lang mit Rudolph in Verbindung setzen. Sie würde Verdacht schöpfen, wenn er sich nicht meldete. Sie würde zurückkommen. Und machte dann Jagd auf sie.

Lucia ging zurück ins Wohnzimmer und hob Rudolphs Messer auf. Sie warf es in ihre Tasche, zusammen mit all dem anderen Kram, den sie zuvor ausgekippt hatte. Sie fand die Schlüssel unter dem Couchtisch, nur ihr Telefon war nirgendwo zu sehen. Sie ging in die Küche und stürzte ein großes Glas Wasser in sich hinein. Sie packte Brot und Käse zusammen und verstaute das Paket in ihrer Tasche. Sie zog das Laken vom Bett und breitete es über Joannas Leiche; kaum dass sie ihr entstelltes Gesicht anzusehen wagte. Es war ihre Schuld, dass Joanna hatte sterben müssen. Ihre Schuld, dass man sie gefoltert hatte.

Alles war ihre Schuld.

Sie verließ die Wohnung. Sie erhaschte einen Blick auf ein verängstigtes Gesicht, das durch einen Spalt in der Wohnungstür von nebenan spähte. Sofort fiel die Tür zu.

Sie musste sich einen Ort suchen, wo sie sicher war, wo sie aufatmen, sich mit Nathan in Verbindung setzen konnte. Wo sie überlegen konnte, was zu tun war.

Schwarzer Koks
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