XVI.
Vor fünfhundert Jahren
Es war fast Mitternacht. Bastian fühlte sich leicht schwindelig und versuchte, sich so langsam wie möglich zu bewegen. Neben ihm saß Wernhart. Er wirkte genauso angespannt wie Bastian. Die Nacht war eiskalt und glasklar. Es war Vollmond. Es war genau die Nacht, in der Dietrich Hellenbroich sein nächstes Opfer töten wollte. Doch diesmal waren sie auf ihn vorbereitet.
Die Mädchen waren sicher in der Kirche untergebracht. Vor jedem Eingang standen zwei Wachen. Die Stadttore waren ebenfalls doppelt gesichert. Auf jedem der Zonser Türme wurde ein weiterer Wachsoldat postiert. Bastian veranlasste zudem, dass bereits am Tag vorher jeder Besucher der Stadt Zons an den Eingangstoren der Stadt registriert wurde. Jeder, der nach Zons hinein kam, musste seinen Namen nennen und jeder, der die Stadt verließ ebenfalls. Bastian engagierte sogar vier Schreiber, für jedes Stadttor einen, welche die Namen auf dicken Papierrollen ordentlich mit Tinte und Feder eintrugen. Eigentlich gab es kein Schlupfloch mehr, durch das Dietrich Hellenbroich in die Stadt hätte eindringen können. Bastian ging im Geiste noch einmal alle Sicherungsmaßnahmen durch. Nein, er war sich ziemlich sicher, dass er an alles gedacht hatte.
Er blickte nach oben in den Himmel. Der Vollmond schien hell. Tausende Sterne blinkten strahlend vom Nachthimmel herab. Es war ein atemberaubender Anblick. Er hätte diesen Anblick gerne in trauter Zweisamkeit mit Marie genossen. In letzter Zeit sahen sie sich nicht so oft wie früher. Seit der erste Mord in Zons geschah, war Bastian ständig unterwegs. Selbst wenn er mit Marie zusammen war, war er mit seinen Gedanken beim Mörder Dietrich Hellenbroich. Er erinnerte sich an Maries angstvolle Augen nach seinem Sturz vom Zollturm. Sie waren voller Angst um ihn gewesen und er konnte ihre Liebe aus ihnen erkennen. Wenn dieser Alptraum hier vorbei war, würde er sich wieder mehr um Marie kümmern. Sie verdiente es wirklich nicht, so von ihm vernachlässigt zu werden. Er wollte, dass sie glücklich mit ihm war. Wernhart riss ihn leise stöhnend aus seinen Gedanken.
»Verdammt, mein Bein ist eingeschlafen.«
Wernhart rieb sich seinen rechten Unterschenkel und bewegte mit verzerrtem Gesicht den Fuß hoch und runter. »Was meinst du, wie spät es ist?«, fragte er Bastian.
»Es müsste kurz nach Mitternacht sein«, erwiderte dieser und begann ebenfalls seine steifen Glieder zu strecken. Sie hatten sich in einer kleinen Gasse vor der Kirche postiert und verbrachten jetzt schon fast sechs Stunden ohne Bewegung an diesem Ort. Es würde noch eine lange und unbequeme Nacht werden. Aber Bastian selbst hatte veranlasst, dass die Soldaten ihre Wachposten erst mit Beginn der Morgendämmerung verlassen durften. Diesmal durfte nichts schiefgehen!