IV.
Vor fünfhundert Jahren
Seine Hände zitterten wieder. Dies taten sie immer, wenn er an seinen Vater dachte. »Bete ein Vaterunser und noch eins. Sprich mit ruhiger Stimme und höre verdammt noch mal auf zu zittern!« Und mit jedem Gebet sauste die Peitsche auf seinen nackten Rücken nieder. Er kniete mit durchgescheuerten Hosen vor dem Hausaltar und hoffte, dass Gott ihn doch erhören und erlösen würde, doch das tat er nie. Seit er sich erinnern konnte, wurde er von seinem Vater geschlagen. Jeden Tag musste er stündlich beten und jede Stunde sauste die Peitsche auf ihn nieder. Manchmal war es auch ein Knüppel, und als er älter wurde, hatte die Peitsche kleine spitze Metalleinsätze am Leder. Sein Rücken war voller Narben und längst war jedes Gefühl aus dieser Haut entwichen. Der Vorteil war, dass die Narben stärker waren, als die ursprüngliche zarte Jungenhaut. Sie zerriss nicht mehr sofort und blutete auch erst viel später. Einmal fiel er nach vorne, weil seine Knie so wund waren, dass er sich nicht mehr auf ihnen halten konnte. Da nahm sein Vater einen dicken mit Eisennägeln beschlagenen Knüppel und schlug so heftig auf sein linkes Bein, dass er seitdem humpelte. Dies tat seinem Vater wohl irgendwie leid oder es lag daran, dass er nicht mehr so viel auf dem Feld arbeiten konnte, jedenfalls benutzte er seit diesem Tag keine Knüppel mehr. Doch die Prügelei ging weiter und Gott erhörte sein verzweifeltes Flehen nach einem anderen Leben nicht. Am Ende hatte nicht Gott, sondern die Pest ihn erlöst und seinen alten Vater innerhalb von drei Tagen aus seinem sadistischen Leben gerissen. Da war er 15 Jahre alt. Seine Mutter starb bereits bei seiner Geburt und so war er zeitlebens seinem brutalen Vater hilflos ausgeliefert. Für ihn gab es keine Liebe und nie war jemand da, der ihn in seiner Angst und Verzweiflung trösten konnte. Aber er rächte sich schon früh. Wenn er Gott schon nicht dafür bestrafen konnte, dass er in dieses erbärmliche Leben hineingeboren wurde, mit einem Teufel als Vater, dann konnte er sich wenigstens an Gottes Geschöpfen rächen. Mal sehen, ob der liebe Gott sich erweichen und einen von ihnen vor seinen Taten retten konnte, aber es geschah niemals. Erst tötete er kleine Vögel. Er konnte sich noch sehr gut an seinen ersten Spatzen erinnern. Im Winter hatte er ihn mit ein paar Körnchen ins Haus gelockt, sich dann auf ihn gestürzt und ihm mit einem Ruck den Hals umgedreht. Er tat dies so heftig, dass der Kopf des kleinen Spatzen dabei abriss und er in der einen Hand den Kopf und in der anderen den erschlafften Körper hielt. Dies gab ihm ein ganz wunderbares Gefühl von Macht. Endlich hatte er einmal die Kontrolle. Die Herrschaft über Leben und Tod lag nun im wahrsten Sinne des Wortes in seiner Hand. Es folgten eine Reihe weiterer Vögel, doch irgendwann ging ihm das Machtgefühl verloren. Deshalb fing er an, sich größere Tiere zu suchen. Eine Katze ging ihm auf den Leim und er quälte sie erst mehrere Tage lang, bevor er sie dann endlich umbrachte. Er wartete darauf, dass Gott sie erlösen würde, doch er tat es nicht. Gott ließ ihn gewähren. Vielleicht war dies ja seine Bestimmung. Der Grund, warum er so viel leiden musste, war andere leiden zu lassen. Dadurch wurde sein Schmerz gelindert. Er fing an zu glauben, dass Gott vielleicht doch die ganze Zeit bei ihm war und einfach nur wollte, dass er ein harter und starker Krieger wird. Jemand, der keine Angst mehr hatte und vor Nichts zurückschrecken würde. Er betete regelmäßig und begann sich dabei selbst zu geißeln. Mit der Zeit war er fest überzeugt davon, dass Gott bei ihm und er ein auserwählter Krieger des Herrn geworden war.