75

Sie stand nur etwa drei Meter von ihm entfernt und hatte eine seltsam aussehende Waffe in Händen - einer Art Pistole mit Schalldämpfer und ausklappbarem Schaft. Ihr Bein schien intakt, und es gab auch sonst keine sichtbaren Verletzungen, die von einem 90-Meter-Fall herrühren konnten. Sie sah ihn an, als ob er ein Fremder wäre, und machte auch keinerlei Anstalten, ihn zu umarmen oder gar zu küssen. Er wusste nicht einmal, ob sie sich überhaupt freute, ihn zu sehen.

»Aber … aber ich hab deinen Körper doch gesehen«, sagte Jonathan. »In der Gletscherspalte.«

»Du dachtest, du hättest meinen Körper gesehen.«

»Das Blut … die Blutspur im Schnee … dein Bein war gebrochen. Ich hab’s doch mit eigenen Augen gesehen.«

»Was du gesehen hast, war nicht mein Knochen. Es war alles unglaublich stümperhaft. Ich musste sehr schnell reagieren. Als ich herausfand …«

»Emma«, sagte er.

»…, dass es schon für dieses Wochenende geplant war, habe ich …«

»Emma!«, schrie er. »Ist das überhaupt dein Name?«

Ohne zu antworten, drehte sie sich um und rannte in leichtem Laufschritt den Abhang hinunter.

Jonathan blieb wie angewurzelt stehen, aufgewühlt von den unterschiedlichsten Empfindungen: Verwunderung, Wut, Freude und Verbitterung. Jedes dieser Gefühle stürzte auf ihn ein und versuchte, die Oberhand zu gewinnen. Er brauchte ein paar Sekunden, um der Sache Herr zu werden. Immer noch zutiefst verwundert, folgte er ihr die Straße hinunter zu der Stelle, an der sie ihr Auto geparkt hatte, zwei Kurven unterhalb der Stelle, an der Simones Wagen stand. Es war ein VW-Golf, der schon bessere Tage gesehen hatte. Er ging auf die Fahrerseite zu, doch sie stand bereits dort, öffnete die Tür und setzte sich hinters Steuer. Als er schließlich auf dem Beifahrersitz saß, hatte sie bereits den Wagen gestartet, den Gang eingelegt und fuhr los.

»Ich hab mich im Krankenhaus in Penzance nach dir erkundigt«, sagte er. »Die Schwester dort hat mir erzählt, dass ein dort geborenes Mädchen mit Namen Emma Everett Rose zwei Wochen nach der Geburt bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist.«

»Später«, sagte sie. »Ich werde dir alles später erklären.«

»Ich will gar nicht, dass du mir alles erklärst. Ich möchte nur die Wahrheit hören.«

»Dann eben die Wahrheit«, sagte sie. »Aber im Augenblick muss ich erst mal wissen, was du herausgefunden hast. Jinns USB-Stick. Du hast ihn doch noch, oder? Ich meine, du hast ihn doch nicht wirklich in die Schlucht geworfen?«

Jonathan holte den anderen USB-Stick aus seiner Tasche. »Nein«, sagte er. »Ich habe deinen USB-Stick in die Schlucht geworfen.«

Emma nahm ihm den Datenträger aus der Hand. »Ich verzeihe dir«, sagte sie. »Dieses Mal jedenfalls.«

Sie raste den Berg hinunter, als hätte sie eine Rallye zu gewinnen, beschleunigte auf den geraden Abschnitten, bremste scharf vor den Kurven ab und fuhr halsbrecherisch durch die Kurven. Emma, die ums Verrecken nicht mit einer manuellen Gangschaltung umgehen konnte.

Bis zu diesem Augenblick hatte er ihre zwei Persönlichkeiten getrennt voneinander betrachtet. Da war Emma Ransom, seine Ehefrau, und auf der anderen Seite Eva Krüger, die Geheimdienstagentin. Er hatte sich eingeredet, dass Emma ihre wahre Identität gewesen war - ihr wahres Ich - und dass Eva nur eine Tarnung war. Als er sie nun so beim Autofahren beobachtete, wusste er, dass er sich getäuscht hatte. Zum ersten Mal sah er etwas von der wahren Emma, erblickte jene Seite, die sie immer vor ihm verborgen gehalten hatte. Und plötzlich war ihm, als ob er diese Frau überhaupt nicht kannte.

»Ich hätte nie gedacht, dass du so viel herausbekommen würdest«, sagte sie, als sie im Tal angelangt waren und in westlicher Richtung nach Davos und Zürich fuhren.

»Was hast du denn von mir erwartet?«

»Ich hatte befürchtet, dass du alles hinschmeißen und für einige Jahre in die Berge abtauchen würdest. Den einsamen Forscher spielst und so.«

»Vielleicht hätte ich das auch getan, wenn mir nicht diese Aufbewahrungsscheine in die Hände gefallen wären. Nachdem ich die Gepäckstücke abgeholt hatte, ging alles drunter und drüber. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu fliehen, nachdem ich den Polizeibeamten getötet hatte. Nur so konnte ich Beweise für meine Unschuld finden. Simone versuchte, mich dazu zu überreden, das Land zu verlassen, aber als ich herausfand, was in den Gepäckstücken war, konnte ich nicht einfach weglaufen. Ich musste die Wahrheit herausfinden.«

»Und das alles nur, weil der Zug das Gepäck nicht pünktlich abgeliefert hat«, sagte sie mit einem Kopfschütteln. »Ich denke, ich hab dich falsch eingeschätzt, als ich glaubte, du würdest dich im Gebirge verschanzen.«

»Ich verzeihe dir«, sagte er. »Dieses Mal jedenfalls.«

Sie lachte über seine Worte, aber ihr Lachen wirkte wie ein Zugeständnis und klang irgendwie hohl.

»Und nun«, sagte er, »bist du an der Reihe. Ich werde es dir leicht machen. Fang mit dem Unfall auf dem Berg an. Was genau habe ich da unten eigentlich gesehen?«

Ein Schatten legte sich auf ihr Gesicht. Mit ihrer Stimmung schien auch die Temperatur im Wagen merklich abzufallen. »Deine Bergwachtjacke natürlich. Eine Perücke. Eine Skihose. Und Kunstblut.«

»Wie bist du ganz allein die Gletscherspalte hinuntergekommen? Es war viel zu gefährlich für eine einzelne Person.«

»Ich bin gar nicht von oben hineingekommen.«

»Was soll das heißen?«, fuhr er sie an.

»Ich bin auf dem Grund der Spalte bis zu der entsprechenden Stelle gegangen. Du hast mir den Weg doch selbst gezeigt, und zwar in dem Sommer nach unserer Hochzeit.«

Jonathan schloss die Augen, als ihm alles wieder einfiel. Sie waren über das Wochenende nach Davos gereist, um ein wenig zu wandern, und hatten einen Nachmittag damit verbracht, die unzähligen Höhlen und Felsspalten auszukundschaften, die den Gletscher durchzogen. »Aber diese Höhlen sind nur im Sommer zugänglich. Im Winter kommt niemand dorthinein, geschweige denn in einem Schneesturm.«

Emma machte eine schnelle Bewegung mit dem Kopf, so wie sie es immer getan hatte, wenn sie ihm zu verstehen geben wollte, dass er sich irrte. »Ich bin letzten Freitag nicht bei dem Treffen in Amsterdam gewesen. Stattdessen war ich hier, um herauszufinden, ob mein Plan durchführbar war.«

»›Durchführbar‹? Sagt man das so unter Spionen?«

Emma ignorierte seine Bemerkung. »Wie sich herausstellte, sind die Höhlen von einem bestimmten Punkt am Fuß des Gletschers zugänglich. Ich hab ein mobiles Navigationssystem auf diese Stelle programmiert und den Weg bergauf und zurück so markiert, dass ich mich bei starkem Schneefall nicht verirren konnte.«

»Deshalb hast du auch darauf bestanden, dass wir nach Arosa und nicht nach Zermatt fahren«, sagte Jonathan und fühlte sich fast wie ein Komplize.

»Dafür gab es viele gute Gründe. Es war so etwas wie ein Jahrestag. Wir haben hier vor acht Jahren unsere erste Klettertour zusammen gemacht.«

»›Ein Jahrestag‹. Ich verstehe.« Er wusste nun, dass sie ihn auch im Hinblick auf den Wetterbericht angelogen und sein Funkgerät manipuliert hatte. »Und woher wusstest du, dass wir nicht bis zum Grund der Gletscherspalte kommen und versuchen würden, dich hochzuziehen?«

»Das konnte ich nicht wissen«, gab sie zu. »Ich hab gehofft, dass Steiner und sein Team in der Annahme auf den Berg kommen, dass dort eine Frau mit gebrochenem Bein liegt, und nicht davon ausgehen, dass sie diese Frau aus einer neunzig Meter tiefen Gletscherspalte bergen müssen. Sicherheitsseile haben ein ganz schönes Gewicht. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie mehr als unbedingt notwendig davon mit sich herumschleppen. Ich war überrascht, dass sie tatsächlich so viel Seil dabeihatten.«

»Steiner … du kennst seinen Namen.« Er sah aus dem Fenster. Die neuen Informationen trafen ihn wie Fausthiebe.

»Ich musste eine Weile in Davos bleiben, um sicherzustellen, dass alles nach Plan verlief. Ich hab seine Anrufe und Funkgespräche abgehört. Sieh mich nicht so überrascht an. Es ist ein Kinderspiel, Handygespräche abzuhören.«

»Und wie ging es weiter? Hättest du dir nicht denken können, dass ich versuchen würde, an die Gepäckstücke heranzukommen?«

»Ich hatte gehofft, dass du die Belege gar nicht zu Gesicht bekommst. Ich wollte die Sachen ja selbst in Landquart abholen, aber das Risiko war zu groß. Nachdem mich alle für tot hielten, musste ich mich auch tot stellen.«

Jonathan fuhr in seinem Sitz herum. »Du warst da? Du hast den Vorfall am Bahnhof beobachtet? Du hast gesehen, was diese Polizisten mir angetan haben?«

Emma nickte. »Es tut mir leid, Jonathan. Ich wollte dir wirklich helfen.«

Er ließ sich sprachlos in seinen Sitz zurückfallen.

Sie redete weiter. »Danach bin ich dir zum Hotel zurück gefolgt, aber ich kam zu spät. Einige unserer Leute hatten bereits das Zimmer durchsucht. Du bist kurz nach ihnen dort gewesen. Ich hatte keine Zeit, ins Zimmer zu kommen. Einmal habe ich sogar gedacht, du hättest mich entdeckt. In dem Wäldchen hinter dem Hotel.«

Jonathan erinnerte sich, dass er sich umgesehen und das Gefühl gehabt hatte, verfolgt zu werden.

Plötzlich hatte er von all dem die Nase voll. Das »Wer, Was und Wann« interessierte ihn nicht mehr. Es war ohnehin nur Augenwischerei. Er wollte wissen, warum. »Worum geht’s hier eigentlich, Em?«, fragte er leise. »In was für eine Sache bist du verwickelt?«

»Es geht um das Übliche«, sagte sie, den Blick noch immer fest auf die Straße gerichtet.

»Ihr habt Parvez Jinn mit streng kontrollierten technischen Bauteilen zur Anreicherung von Uran versorgt. Das fällt für mich nicht unter ›das Übliche‹.«

»Früher oder später wäre er auch ohne uns an diese Dinge gekommen.«

»Lass das, bitte.«

»Was denn?«

»Diesen Zynismus. Tu nicht so, als ob dir das alles egal wäre.«

»Eben weil mir nicht alles egal ist, tue ich genau das, was ich tue.«

»Was genau tust du denn? Für wen arbeitest du? Für die CIA? Die Briten?«

»Die CIA? Du lieber Himmel, nein. Ich arbeite für das Verteidigungsministerium. Das Pentagon. In einer Einheit namens Division.«

»Aber Simone sagte, dass sie für die CIA arbeitet.«

Emma dachte darüber nach und strich sich mit dem Finger über ihre Wange. »Wirklich? Ehrlich gesagt, habe ich bis heute nichts davon gewusst.«

»Warum würde die CIA jemanden töten wollen, der für das Pentagon arbeitet? Wir sind doch beide auf derselben Seite, oder nicht?«

»Es geht um Macht. Die CIA will sie. Wir haben sie. Dieses Tauziehen um die Macht dauert nun schon einige Jahre an.«

»Aber ich dachte, du verachtest die amerikanische Regierung.«

Das dünne Lächeln auf ihren Lippen ließ ihn erkennen, dass er sich wieder mal geirrt hatte. Eine weitere Illusion löste sich in Luft auf.

»Du bist also Amerikanerin?«, fragte er.

»Gott, ich wollte noch warten, bevor ich dir alles erkläre. Es ist so verdammt kompliziert.« Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ja, Jonathan, ich bin Amerikanerin. Falls du dich über meinen Akzent wunderst, der ist echt. Ich bin in der Nähe von London aufgewachsen. Mein Vater war bei der US-Luftwaffe, die in Lakenheath stationiert war.«

»War er derjenige, der dich zu alldem überredet hat?«

»Am Anfang hab ich’s wahrscheinlich schon der Familie zuliebe getan. Wegen meines Papas, der beim Militär war und so weiter. Doch geblieben bin ich, weil ich wirklich gut bin. Weil ich etwas vorantreibe, von dem ich ehrlich überzeugt bin. Weil es mir einfach gefällt. Ich bleibe aus denselben Gründen dabei, aus denen du nie aufhörst, Arzt zu sein. Weil wir mit Leib und Seele sind, was wir tun - und alles andere ist unwichtig.«

»Hast du mich aus diesen Gründen … ausgesucht?«

»Zuerst schon.«

»Du meinst, es hat sich etwas geändert?«

»Du weißt genau, was sich geändert hat. Wir haben uns ineinander verliebt.«

»Ich habe mich in dich verliebt«, sagte Jonathan. »Ich bin mir allerdings nicht mehr sicher, ob das umgekehrt genauso war.«

Emma warf ihm einen kurzen Blick zu. »Ich hätte nicht bei dir bleiben müssen. Niemand hat mich dazu gezwungen, dich zu heiraten.«

»Sie haben dich aber auch nicht davon abgehalten. Wer hätte dir eine bessere Tarnung für deine Operationen bieten können, als ein Arzt, der sogar noch ganz erpicht darauf ist, sich an die schlimmsten Krisenherde der Welt versetzen zu lassen? Was genau hast du eigentlich an all diesen Orten gemacht? Hast du Menschen umgebracht? Bist du auch so eine Auftragskillerin wie dieser Kerl, den du da oben erschossen hast?«

»Natürlich nicht«, sagte Emma so empört, als hätte sie noch nie zuvor eine Waffe abgefeuert, ganz zu schweigen von der Ermordung zweier Menschen innerhalb der letzten halben Stunde.

»Was hast du dann gemacht?«

»Das kann ich dir nicht erzählen.«

»Du hast zusammen mit Blitz und Hoffmann technisches Gerät zur Urananreicherung an den Iran verkauft. Jinn war fest davon überzeugt, dass ihr das Zeug nur deshalb verkauft habt, um einen Grund für eine Kriegserklärung zu haben. Er hat mir gesagt, dass die USA den Fehler, ohne Beweise für Massenvernichtungswaffen in den Irak einzumarschieren, kein zweites Mal machen wollten.«

»Das alles hat Parvez dir erzählt? Ich hoffe, er landet dafür auf ewig in der Hölle.«

»Du redest nicht gerade nett über einen Mann, mit dem du im Bett warst.«

»Geh zum Teufel, Jonathan! Das ist nicht fair.«

»Nicht fair? Du hast mich acht Jahre lang angelogen. Hast mir vorgemacht, dass du meine Frau bist. Erzähl du mir nicht, was fair ist!«

»Ich bin deine Frau.«

»Wie kannst du so etwas behaupten, wenn ich noch nicht einmal deinen Namen kenne?«

Emma wandte ihr Gesicht ab. Falls er gehofft hatte, dass sie eine Träne vergießen würde, so wurde er bitter enttäuscht. Ihre Miene war wie versteinert.

»Und?«, fragte er herausfordernd. »Stimmt es? Versucht ihr, Gründe für eine Kriegserklärung zu liefern?«

»Wir versuchen, einen Krieg zu verhindern.«

»Indem ihr dem Iran bei der Herstellung von Atomwaffen unter die Arme greift?«

»Wir treiben die Dinge nur etwas voran, damit wir kontrollieren können, wie sich die Situation entwickelt. Wir versorgen den Iran mit der Technologie, die sie sich so verzweifelt aneignen wollen, um der Welt anschließend das Ergebnis ihrer Arbeit offenlegen zu können. Es geht darum, einen Schritt schneller zu sein als der Gegner. Wir können es uns nicht leisten, von der Entwicklung überrascht zu werden. Jedenfalls nicht an diesem Punkt. Und außerdem wird es keinen Krieg geben. Es wird lediglich auf einen Luftangriff hinauslaufen.«

»Soll mich das etwa beruhigen?«

»Sei doch nicht so verdammt naiv. Einige Länder dürfen einfach keine Atomwaffen besitzen. Wenn der Iran Atomwaffen herstellt, dann kannst du jede Wette eingehen, dass die wirklich bösen Buben über kurz oder lang auch welche herstellen werden. Und nur darum geht es hier.«

»Und was passiert, wenn der Iran zurückschlägt?«

»Womit denn?«, fragte Emma. »Wir haben ihnen die Geräte geliefert, mit denen sie eine kleinere Menge Uran anreichern können. Und anschließend nehmen wir sie ihnen wieder weg.«

»Jinn hat mir gesagt, dass sie im Besitz von Marschflugkörpern sind. Wenn irgendjemand versuchen sollte, ihre Anreicherungsanlagen anzugreifen, werden sie nicht zögern, diese auch einzusetzen. Der Präsident ihres Landes will all das in der nächsten Woche der Weltöffentlichkeit präsentieren.«

»Jinn hat dich angelogen«, sagte Emma mit derselben Unerschütterlichkeit, doch ihr Gesicht war blass geworden. »Der Iran besitzt keine Marschflugkörper.«

»Er sagte, es wären Kh-55er. Angeblich haben sie vor einem Jahr vier davon erworben und auf ihrer Basis in Karshun am Persischen Golf stationiert.«

»Er hat dich zum Narren gehalten.«

»Könnt ihr solch ein Risiko eingehen? Falls die USA oder Israel den Iran bombardieren, werden die Mullahs zurückschlagen und Jerusalem und die saudischen Ölfelder angreifen. Was meinst du, würde dann geschehen?«

»Gütiger Himmel.« Emma runzelte die Stirn und biss die Zähne zusammen. »Kh-55er? Bist du dir sicher?«

»Du kennst diese Waffen?«

»Die Russen nannten sie Edelsteine oder Granatäpfel. Es sind Ultraschall-Langstreckenmarschflugkörper, die mit einem atomaren Sprengkopf ausgestattet werden können. Sie sind so alt wie der Sündenfall, und ihr Navigationssystem ist völlig überholt, aber sie erfüllen ihren Zweck.«

»Das hört sich nicht gut an«, sagte Jonathan.

»Nein, das hört sich überhaupt nicht gut an.« Emma runzelte die Stirn. »Jinn hat mir gesagt, dass er eine Überraschung für mich hätte, wenn wir uns in Davos treffen würden. Diese falsche Schlange.«

Jonathan erkannte, dass er einen wunden Punkt berührt hatte. »Wenn du dir deiner Sache so sicher bist, warum musstest du dann von der Bildfläche verschwinden?«

»Ich mir meiner Sache sicher? Himmel, glaubst du das wirklich?« Emma warf ihm einen Blick zu. »Weißt du, was eine Drohne ist?«

»Mehr oder weniger. Einer von diesen ferngesteuerten Flugkörpern, die ewig in der Luft herumschwirren können und Aufnahmen machen. Ich weiß, dass sie auch Raketen abfeuern können.«

»Derzeit befindet sich eine dieser Drohnen in der Schweiz. Eine Drohne, die in diesem Moment für einen Anschlag präpariert wird. Ich hätte gar nichts darüber erfahren sollen, aber Blitz hat sich verplappert. Er war mein Vorgesetzter, der Einzige, der in alles eingeweiht war. Er meinte, dass es die größte Operation sei, die wir jemals durchgeführt haben. Es war sozusagen der persönliche Feldzug unseres Bosses.«

»Willst du damit sagen, dass ihr - also Division - plant, jemanden mit dieser Drohne abzuschießen?«

»Nicht jemanden. Etwas. Ein Passagierflugzeug.«

»Sie wollen ein Flugzeug abschießen? Über der Schweiz? Mein Gott, Emma, wir müssen die Polizei darüber informieren.«

»Sie wissen es bereits. Jedenfalls zum Teil. Der Mann, der versucht hat, dich in Davos zu verhaften, ist für den Fall zuständig. Er heißt Marcus von Daeniken und ist der Leiter des Dienstes für Analyse und Prävention, des Schweizer Geheimdiensts. Er ist fest davon überzeugt, dass du der Kopf hinter dem Anschlag bist.«

»›Ich?«

»Genau genommen könnte man auch sagen, dass von Daeniken dich mit mir verwechselt.«

»Weil ich bei Blitz im Haus war?«

»Unter anderem, ja. Es war ziemlich klug von dir, nicht zur Polizei zu gehen. Du hättest den Rest deines Lebens im Gefängnis verbracht. Den Polizeibeamten zu töten wäre die geringste Anklage gegen dich gewesen. Du wusstest einfach zu viel über Thor … über Division. Wir haben mächtige Freunde, die dafür gesorgt hätten, dass du für immer aus dem Verkehr gezogen wirst. Wie auch immer, das ist auch der Grund, weshalb ich untertauchen musste. Ich habe entschieden, dass ich das Ganze verhindern muss. Ich habe schon genug Blut vergossen, aber bis zu diesem Tag noch nie das Blut von Unschuldigen.«

»Du weißt also, wann der Anschlag stattfinden soll?«

»In ein paar Stunden.«

»Was tust du dann noch hier?«

Zum ersten Mal sah Emma ihm direkt in die Augen. »Ich bin immer noch deine Frau.«

Sie streckte ihre Hand aus, und Jonathan ergriff sie. »Wir müssen von Daeniken einweihen«, sagte er.

Emma warf ihm einen Seitenblick zu, und in ihren Augen standen Tränen. »Ich fürchte, so einfach wird es nicht werden.«

Reich, Christopher
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