PROLOG
Ein kalter Windstoß fegte über die Ebene und trieb den Schmetterling vor sich her. Das auffällige Insekt flatterte hin und her, flog in die Höhe, ließ sich wieder herabsinken und drehte dabei große und kleine Pirouetten. Es war ein wunderschönes Exemplar mit leuchtend gelben, schwarz gemusterten Flügeln, das den gewöhnlichen Tagfaltern aus dieser Region überhaupt nicht ähnlich sah. Sein Name war ebenso ungewöhnlich. Er lautete: Papilio Panoptes.
Der Schmetterling überflog die bewachte Straße, den elektrischen Sicherheitszaun und die aufgetürmten Rollen aus Stacheldraht. Hinter dem Zaun lag eine Wiese mit einer beachtlichen Vielfalt an farbenprächtigen Wildblumen. Nirgendwo war ein Gebäude zu sehen - weder Häuser, noch Scheunen oder sonstige Bauten. Nur frisch aufgeworfene Erdhügel, die auf den ersten Blick kaum unter dem Blumenteppich zu erkennen waren, verrieten, dass hier bis vor kurzem noch gearbeitet worden war.
Obwohl der Schmetterling eine lange Strecke zurückgelegt hatte, schenkte er den Blumen keinerlei Beachtung. Weder ließ er sich von ihrem betörenden Duft verführen, noch naschte er von ihrem süßen Nektar. Stattdessen flog er noch höher in die Luft, als könne er sich ausschließlich von ihr ernähren.
Dort oben verharrte er, ein leuchtend gelber Farbfleck vor einem grauen Winterhimmel. Nie ließ er sich auf einem der Lavendelbüsche nieder, um sich ein wenig auszuruhen, oder trank aus einem der rauschenden Flüsse, die den kargen, majestätischen Bergen entsprangen und das fruchtbare Grasland durchzogen. Tatsächlich wagte er sich zu keinem Zeitpunkt aus dem genau einen Quadratkilometer großen vom Sicherheitszaun begrenzten Gebiet heraus. Unbeirrt flatterte er über die farbenprächtigen Felder, vor und zurück, tagein, tagaus - ja, sogar nachts -, wobei er niemals aß, trank oder ruhte.
Nach sieben Tagen fiel ein starker Wind, der N’aschi, aus dem Norden ein. Heulend fegten die Böen von den Bergen über die Ebene, wobei sie noch an Stärke zunahmen und alles fortbliesen, was sich ihnen in den Weg stellte. Der Schmetterling hatte gegen die gewaltige Windkraft keine Chance. Er war müde und geschwächt von seinen rastlosen Rundflügen im Sicherheitsgebiet. Eine heftige Windböe riss ihn in die Luft und schleuderte ihn mit so großer Wucht zu Boden, dass es seinen zerbrechlichen Körper beim Aufprall zerschmetterte.
Ein auf der Straße patrouillierender Soldat sah etwas Gelbes im Dreck aufleuchten und stoppte seinen Jeep. Vorsichtig trat er näher und bückte sich im knöchelhohen Gras. Der Schmetterling hatte keine Ähnlichkeit mit den Exemplaren, die er kannte. Zunächst einmal war er größer. Seine Flügel waren starr, und aus der seidigen Haut ragten hauchfeine Metallteilchen hervor. Der haarige Körper war in zwei Teile zerbrochen, verbunden lediglich durch einen grünen Draht. Verwundert hob er den Falter auf und betrachtete ihn genauer. Wie alle Mitarbeiter dieser Einrichtung war er zuerst einmal Ingenieur und nur gezwungenermaßen auch Soldat. Seine Entdeckung erschütterte ihn zutiefst.
Im Körper des Schmetterlings befand sich eine aluminiumverkleidete Batterie von der Größe eines Reiskorns, damit verbunden war ein Mikrowellentransmitter. Mit dem Fingernagel kratzte der Mann die Hülle des Senders auf, unter der ein Büschel Fiberglaskabel zum Vorschein kam, kaum dicker als menschliches Haar.
Nein!, schoss es ihm durch den Kopf. Das kann nicht sein. Nicht schon so bald.
Eilig rannte der Mann zu seinem Jeep zurück. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Erklärungsversuche. Mögliche Theorien. Nichts davon ergab einen Sinn. Auf dem Weg stolperte er über einen Stein, fiel zu Boden, rappelte sich wieder auf und rannte weiter. Jede Minute zählte.
Seine Hände zitterten, als er den Wagen erreicht hatte und Funkkontakt mit seinen Vorgesetzten aufnahm:
»Sie haben uns aufgespürt.«