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Der Kleintransporter fuhr durch die Straßen des verschlafenen Wohnviertels. Er war inzwischen nicht mehr weiß; vor einigen Tagen war er in einem satten Schwarz neu lackiert worden. Auf beiden Seiten prangte der Schriftzug einer nicht existierenden Catering-Firma. Die darunter angegebene Telefonnummer war freigeschaltet; alle Anrufe würden professionell entgegengenommen werden. Die Schweizer Nummernschilder waren gegen deutsche ausgetauscht worden. Der erste Buchstabe des Kfz-Kennzeichens lautete »S« für Stuttgart, einer großen Industriestadt in Baden-Württemberg.
Hinter dem Steuer saß der Pilot. Er war sorgsam darauf bedacht, sich an die Geschwindigkeitsbegrenzungen zu halten. An jedem Stoppschild blieb er ordnungsgemäß stehen. Er hatte genauestens überprüft, dass alle Lampen am Fahrzeug einwandfrei funktionierten. An einer gelben Ampel hielt er an. Er konnte unter keinen Umständen riskieren, von der Polizei angehalten zu werden. Eine Durchsuchung der blitzblanken Stahlkästen im Laderaum würde das Ende für ihn bedeuten. Falls der Plan eine Schwachstelle hatte, dann war es diese: Die Notwendigkeit, die Drohne unbewacht auf öffentlichen Straßen zu transportieren.
Der Kleintransporter durchfuhr Zürich-Oerlikon und Opfikon-Glattbrugg. Kurz darauf ließ er die von Wohnblocks und Häusern gesäumten Straßen hinter sich und fuhr in ein spärlich bewachsenes Kiefernwäldchen. Die Straße führte steil bergauf. Nach wenigen Minuten endete der Wald. Der Kleintransporter erreichte den Gipfel des Bergausläufers und fuhr in einen weitläufigen, schneebedeckten Park. Hier endete die Straße in einer Sackgasse, und der Pilot lenkte den VW auf einen festgewalzten Schotterweg, der etwa anderthalb Kilometer lang war und quer durch den Park hindurchführte. Eine geschwärzte Eisschicht bedeckte den Weg. Er fühlte, wie das Gefährt selbst bei dieser geringen Geschwindigkeit ins Schlingern geriet. Doch das bereitete ihm keine übermäßigen Sorgen. Der Ort entsprach genau seinen Vorstellungen. Der Weg - oder die Piste, wie er ihn nannte - war langgestreckt und schnurgerade wie ein Lineal. Es gab keine Bäume in der Nähe, die den Start behindern konnten. In ein paar Tagen würde das Eis geschmolzen sein. Der Wetterdienst hatte ein Hochdruckgebiet angekündigt, das am Freitag über das Land ziehen und Sonnenschein und einen raschen Temperaturanstieg mit sich bringen würde.
Er fuhr bis zum Ende des Weges und lenke den Kleintransporter in eine private Auffahrt. Das Garagentor stand offen, und der Bürgersteig war von Schnee und Eis befreit. Sekunden später hatte er den Wagen in seinem Unterschlupf geparkt und das Tor hinter sich geschlossen.
Er verließ die Garage durch eine Seitentür und ging ein paar Schritte an der frischen Luft, erpicht darauf, sich nach der langen Fahrt die Beine zu vertreten.
Während er in Richtung Park lief, vernahm er ein Grollen, gefolgt von einem schrillen, ohrenbetäubenden Pfeifgeräusch, das ihm in den Ohren schmerzte. Das Geräusch wurde lauter. Er starrte in den Nachthimmel, als der Rumpf eines Flugzeugs über ihn hinwegzog, kaum mehr als dreihundert Meter über ihm. Ein Airbus A 380 - eines der neueren Großraumflugzeuge mit zwei Passagierdecks, in die bis zu sechshundert Menschen passten. Die Triebwerke heulten ohrenbetäubend, als das Flugzeug immer höher in den Himmel stieg. Es war so nah, dass er das Logo auf dem Seitenruder erkennen konnte: eine lilafarbene Orchidee. Die 21:30-Uhr-Maschine der Thai Airways auf ihrem Weg nach Bangkok.
Der Pilot beobachtete, wie das Flugzeug in den Wolken verschwand, drehte sich dann um und warf einen Blick zurück. Vor seinen Augen breitete sich im Tal eine Stadt am Rande der Stadt aus. Ein Lichtermeer, das lange Asphaltpisten, Stahlkonstruktionen, gläserne Passagierterminals und riesige Flugzeughallen erhellte, die von schneebedeckten Feldern umgeben waren.
Der Flughafen von Zürich.
Die Aussicht hätte nicht besser sein können.