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Der Pilot sah auf die Stoppuhr in seiner Hand. »Fünf Minuten. Los!«
Die Männer machten sich zügig, aber keinesfalls überstürzt an die Arbeit. Alle starteten vom Eingang der Garage aus. Sie bildeten drei Teams mit jeweils zwei Personen, und jedes Team nahm sich eine der an der Wand lehnenden mannshohen glänzenden Stahlkisten vor, die sie »Särge« nannten.
In zwei der Kisten waren die Konvexflügel verstaut, die jeweils in zwei 1,20 Meter große Teilstücke zerlegt waren. In der dritten Kiste befand sich der Flugzeugrumpf mit dem Betriebssystem: dem Trägheitsnavigationssystem, dem Ku-Band-Satellitenkommunikationsprozessor, dem Benzintank, dem Hauptsteuermodul, dem Mantelstromtriebwerk und der Spitze mit der eingebauten Kamera.
Das erste Team klappte das Fahrwerk aus und stellte den Flugzeugrumpf auf den Boden. Die Männer, die für die Flügel zuständig waren, verschraubten die Teilstücke miteinander und befestigten die Flügel anschließend mit Wolfram-Federn am Flugzeugrumpf. Währenddessen rollte der Pilot eine niedrige Trage über den Boden. Darauf lag ein tropfenförmiger metallischer Gegenstand von der Größe einer Wassermelone und einem Gewicht von dreißig Kilo. Der Gegenstand enthielt eine hochexplosive Füllung.
Die Form hatte Ähnlichkeit mit dem Sprengkopf der Sidewinder-Raketen. Tatsächlich stammte der Entwurf von Raytheon, dem Großlieferanten des Verteidigungsministeriums, der vor über dreißig Jahren die Luft-Luft-Raketen entwickelt hatte. Bis heute hatte sich nur wenig an dieser Technologie geändert. Nur die Sprengsätze besaßen mittlerweile mehr Durchschlagskraft.
Im Gefechtskopf befanden sich zwanzig Kilo des Plastiksprengstoffs Semtex-H, eine Sprengkapsel und fünfhundert Titanstückchen. Sobald der Sensor das Zielobjekt anvisiert hatte - in diesem Fall ein Passagierflugzeug - würde ein Zündungsmechanismus aktiviert, der die Sprengkügelchen um das Semtex herumzündete. Die Sprengkügelchen wiederum würden die zwanzig Kilo Sprengstoff zünden, wodurch in Sekundenschnelle eine gewaltige Menge heißen Gases austreten würde. Dadurch würden die Titanstückchen in alle Richtungen geschleudert, die durch die Explosion in tausende tödliche Splitter zerspringen und den Rumpf des Passagierflugzeugs vollständig zerstören würden.
Ziel war es, die Drohne zusammen mit dem Flugzeug zu zerstören. Es sollte nichts mehr von ihr übrig bleiben.
Sobald der Sprengkörper verstaut und die Verkabelung mit der Steuerungszentrale abgeschlossen war, rollte der Pilot die Trage unter der Drohne weg und rief: »Stopp!«
Er warf einen Blick auf den Zeitmesser. »Vier Minuten, siebenundzwanzig Sekunden.«
Die Männer stießen keine Jubelschreie aus und ließen sich ihren Erfolg auch sonst nicht anmerken. Genauso schnell, wie sie begonnen hatten, bauten sie die Drohne wieder auseinander. Man konnte nicht riskieren, dass sie bei einer Routineüberprüfung startbereit auf dem Gelände vorgefunden wurde. In wenigen Minuten waren die drei Särge wieder beladen und gut verschlossen in Wandschränken im Haus verstaut.
Nachdem der Pilot alle Einzelheiten der Übung genauestens überwacht hatte, ging er ins Wohnzimmer, wo er von einem Panoramafenster aus den Züricher Flughafen überblicken konnte. Um acht Uhr erspähte er die Lichter einer Maschine, die sich aus nördlicher Richtung im Landeanflug befand. Es freute ihn, dass das Flugzeug auf die Minute pünktlich war. Andererseits gehörte dieser Flug laut Statistik zu den pünktlichsten weltweit.
Er beobachtete die Lichter, bis der Airbus A380 gelandet war. Die vierstrahlige Großraummaschine sah selbst aus einer Entfernung von vier Kilometern gigantisch aus. Er konnte die Maße des Flugzeugs selbst im Schlaf herunterbeten: dreiundsiebzig Meter lang; vierundzwanzig Meter hoch; eine Flügelspannweite von nahezu achtzig Metern, fast so groß wie ein Fußballfeld. Es war in jeder Beziehung das größte Passagierflugzeug der Welt und konnte fünfhundertfünfundfünfzig Personen transportieren. Heute Abend waren es laut Passagierliste knapp fünfhundert. Morgen würde das Flugzeug voll besetzt sein.
Langsam rollte der Airbus in die Parkbucht. Er war so riesig, dass man für ihn sogar eine spezielle Fluggastbrücke hatte konstruieren müssen.
Jetzt konnte er auch den blauen Davidstern auf der Heckflosse erkennen.
Die El-Al 8851 aus Tel Aviv war gelandet.