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Alphons Marti steckte den Kopf durch die Tür von Marcus von Daenikens unbesetztem Büro. Das Deckenlicht war ausgeschaltet. Eine einsame Schreibtischlampe brannte und warf einen Lichtkegel auf die Papiere, die ausgebreitet auf dem Schreibtisch lagen. Es war acht Uhr abends, und Marti wollte sich über die Ermittlungsergebnisse des Tages informieren lassen. Er lief den Flur hinunter, bis er ein Büro fand, in dem noch jemand saß. »Entschuldigen Sie«, sagte er, nachdem er an die Tür geklopft hatte. »Ich suche Herrn von Daeniken.«
Ein untersetzter, kahlköpfiger Mann erhob sich hinter seinem Schreibtisch. »Hardenberg«, stellte er sich vor. »Ich fürchte, Chefinspektor von Daeniken ist derzeit nicht im Haus.«
»Das hab ich auch schon gemerkt. Er sollte mich über die Ermittlungsergebnisse des Tages informieren.«
»Sieht ihm gar nicht ähnlich, einen Termin zu versäumen. Hatten Sie sich denn mit ihm verabredet?«
Marti antwortete nicht. Er hatte seinen Besuch nicht angekündigt, weil er von Daeniken nicht die Gelegenheit hatte geben wollen, sich seinen Bericht über die Ermittlungsergebnisse zurechtzulegen. »Wo ist er denn?«
»In Zürich. Er geht einem Hinweis bezüglich der Finanzierung der Operation nach.«
»Wirklich? Haben die Banken denn um diese Zeit noch geöffnet?«
»Er ist nicht bei einer Bank. Er besucht Tobias Tingeli. Die beiden kennen sich von der Holocaust-Kommission. Sie können ihn über sein Handy erreichen.«
Marti dachte darüber nach. »Nicht nötig«, sagte er nach einer Weile. »Ich bin sicher, Sie können mich genauso gut über alles informieren. Sie erwähnten, Sie hätten einen Hinweis auf die Finanzierung der Operation. Wissen Sie, wer hinter dem Anschlag steckt? Ist es die Revolutionsgarde? Al-Qaida? Der Islamische Dschihad? Oder etwa eine Organisation, die wir noch nicht kennen?«
»Das wissen wir noch nicht«, erwiderte Hardenberg. »Wir wissen nur, dass das Haus von Blitz von einer ausländischen Gesellschaft gekauft wurde, deren Hauptsitz in Curacao liegt. Sobald wir in Erfahrung gebracht haben, wer die Rechnungen bezahlt hat, sind wir den Hintermännern des Anschlags einen großen Schritt näher gekommen.«
»Was hindert Sie daran herauszufinden, wer hinter dem Anschlag steht?«
»Das Gesetz, Sir. Die geltenden Bestimmungen zur Wahrung des Bankgeheimnisses erschweren es uns, die Informationen zu erhalten, die wir brauchen. Doch Herr von Daeniken ist zuversichtlich, dass er einen Weg findet, trotzdem an die notwendigen Informationen zu kommen. Er hat gute Beziehungen zu einigen der Bankiers.«
»Ja, ja, natürlich«, sagte Marti und versuchte angestrengt, zufrieden zu klingen. »Machen Sie weiter so.«
Hardenberg brachte ihn zur Tür. »Ich richte Herrn von Daeniken aus, dass Sie da waren. Ich bin sicher, dass er das Treffen mit Ihnen nicht verpassen wollte.«
Marti lief eilig die Treppen hinunter - ein Mann, der wusste, was zu tun war.
Zurück in seinem Büro im Bundeshaus durchsuchte Marti seine Akten, bis er das Schriftstück gefunden hatte, das sich auf die Anfrage der Regierung an die Swisscom, das nationale Telekommunikationsunternehmen, bezog. Die Regierung hatte die Swisscom darum gebeten, eine Liste aller Anrufe von Blitz, Lammers und Ransom zu erstellen. Sodann rief er den Leiter der Rechtsabteilung bei der Swisscom an.
»Ich brauche eine vollständige Liste aller Anrufe an diese und von diesen Nummern«, sagte er, nachdem er seinen Namen genannt hatte. Er gab bei seinem Gesprächspartner von Daenikens Büro-, Heim- und Handynummer an.
»Natürlich. Gibt es einen Zeitraum, an dem Sie besonders interessiert sind?«
»Letzten Montag, von acht Uhr morgens bis vier Uhr abends.«
»Nur letzten Montag?«
»Das ist alles«, sagte Marti. »Bis wann haben Sie die Liste fertig?«
»Bis morgen Mittag.«
»Ich brauche sie um acht Uhr morgens.«
»Das lässt sich einrichten.«
Marti legte auf. In weniger als zwölf Stunden würde er den Beweis schwarz auf weiß vor sich haben.