Canto 24
Beatrice bittet Petrus, Dante über Wesen und Ursprung des christlichen Glaubens zu prüfen. Dante besteht die Prüfung, sagt sein Glaubensbekenntnis und wird von Petrus bestätigt.
1 »O Tischgenossen, erwählt zum großen Abendmahl des gesegneten Lamms, das euch speist und das euer Begehren immer sättigt, wenn dieser Mann, bevor der Tod seiner Zeit ein Ende setzt, mit der Gnade Gottes einen Vorgeschmack von dem bekommt, was von eurem Tisch fällt: Gebt ihm etwas von dem Tau! Seht auf sein unendliches Verlangen; ihr trinkt immer an der Quelle, aus der fließt, was er denkt.«
10 So sprach Beatrice, und diese Seelen bildeten in ihrer Freude Kugeln, die sich um ihre Achse drehten und Feuerstrahlen aussandten wie Kometen. Und wie Räder in der geordneten Bewegung von Uhren sich so drehen, daß das erste, auf das du blickst, fast stillsteht, während das letzte fast fliegt, so ließen mich diese Reigen, indem sie unterschiedlich tanzten, schnell oder langsam, ihren Reichtum ahnen. Da trat aus dem Reigen, den ich als den höchsten wahrnahm, ein seliges Feuer hervor; keines, das es zurückließ, war von hellerem Schein.[711] Dreimal umkreiste es Beatrice mit einem so göttlichen Gesang, daß meine Vorstellungskraft mir ihn nicht wiederholt. Deswegen macht meine Feder einen Sprung; ich schreibe es nicht auf. Denn unser Bild, erst recht unsere Sprache, hat für solche Falten zu lebhafte Farben.[712]
28 »O meine heilige Schwester, du bittest mich so ergeben, daß du mich mit deinem glühenden Gefühl herauslöst aus diesem schönen Reigen.« Es kam zum Stehen, und das heilige Feuer richtete das Wort an meine Herrin, wie ich es gesagt habe. Und sie: »O ewiges Licht des großen Mannes, dem Christus die Schlüssel zu dieser wunderbaren Freude, die er nach unten brachte, übergab, prüfe diesen Mann mit leichten oder schweren Fragen, wie es dir gefällt, über den Glauben, mit dem du über den See gingst. Ob er recht liebt, recht hofft und glaubt, das ist dir nicht verborgen, weil du dorthin blickst, wo man jede Sache vorgezeichnet sieht. Aber weil man durch den wahren Glauben Bürger dieses Reiches wird, ist es gut, wenn er Gelegenheit bekommt, den Glauben zu ehren, etwas zu sagen.« Wie der Bakkalaureus sich vorbereitet und schweigt, bis der Magister die Frage vorlegt, die er nicht entscheiden, sondern untersuchen soll, so rüstete ich mich, während sie sprach, mit jeder Art von Argument für einen solchen Prüfer und für ein solches Bekenntnis.
52 »Sag, guter Christ, komm aus dir heraus: Glaube, was ist das?« Ich hob meine Stirn zu dem Licht, aus dem diese Worte kamen. Dann wandte ich mich Beatrice zu, und sie gab mir gleich zu verstehen, ich solle das Wasser meiner inneren Quelle ausströmen lassen. »Die Gnade macht mir das Geschenk, vor dem höchsten Vorkämpfer des Glaubens mein Bekenntnis auszusprechen«, begann ich, »möge sie meinen Gedanken guten Ausdruck verleihen.« Und ich fuhr fort: »Wie der wahrhaftige Griffel, Vater, deines lieben Bruders, der mit dir Rom auf den rechten Weg brachte, uns schrieb, ist Glaube die Substanz erhoffter Dinge und Beweis für das, was nicht offensichtlich ist. Das halte ich für sein Wesen.«[713] Da hörte ich: »Du denkst richtig, wenn du recht verstehst, warum er den Glauben zuerst den Substanzen, sodann den Argumenten zuordnet.« Und darauf ich: »Die tiefen Dinge, die hier geschenkweise offen vor mir liegen, bleiben den Augen dort unten verborgen, so sehr, daß ihr Sein nur im Glauben besteht, auf den sich die hohe Hoffnung gründet, deswegen paßt zu ihm der Begriff ›Substanz‹. Von diesem Glauben ausgehend muß man Schlüsse ziehen, ohne sinnlichen Beweis zu haben, deswegen erhält er das Prädikat ›Argument‹.« Dann hörte ich: »Würde dort unten alles, was man durch Lehre erwirbt, so klar verstanden, dann wäre kein Platz für Sophistereien.« So hauchte es von dieser glühenden Liebe her.
83 Dann fügte er hinzu: »Damit hast du Legierung und Gewicht dieser Münze schon gut untersucht. Aber sag mir: Hast du sie denn auch in deiner Tasche?« Darauf ich: »Ja, ich habe sie: Sie glänzt so schön und ist so rund, nichts läßt mich an ihrer Prägung zweifeln.« Dann kam aus diesem tiefen Licht, das dort leuchtete: »Dieser edle Stein, auf den alle Tugend sich gründet, woher kommt er dir?« Und ich: »Der Heilige Geist hat sich reich ergossen über das alte und das neue Pergament, das bildet einen Beweis, der so scharf schließt, daß mir jeder Gegenbeweis stumpf vorkommt.« Dann hörte ich: »Warum hältst du die alte und die neue Satzung, aus denen du so folgerst, für das Wort Gottes?« Und ich: »Der Beweis, der mir ihre Wahrheit erschließt, sind die Taten, die daraus folgten; zu etwas wie ihnen bringt die Natur kein Eisen zum Glühen und hämmert sie auf keinem Amboß.« Dann wurde mir geantwortet: »Sag, was macht dich so sicher, daß diese Taten wirklich geschahen? Es ist ein und dasselbe Buch, das bewiesen werden soll und kein anderes, das dich ihrer vergewissert.« »Hätte die Welt sich zum Christentum bekehrt ohne Wunder, dann wäre dies ein so großes Wunder, daß alle anderen dagegen nur der hundertste Teil wären. Du betratst arm und ungebildet das Feld, um die gute Pflanze zu säen, die früher ein Rebstock war – heute ist sie Dornengestrüpp.«
112 Die Prüfung war zu Ende, und der hohe heilige Chor intonierte über die Sphären hin ein ›Gott, wir loben dich‹ nach der Melodie, die man dort oben singt. Und dieser hohe Herr, der mich schon bei der Prüfung so von Ast zu Ast hochgehoben hatte, daß wir die obersten Zweige erreichten, begann erneut: »Die Gnade, verliebt in deinen Geist, hat dir bis hierher den Mund geöffnet, wie man ihn öffnen soll, und deshalb bestätige ich, was hervorkam. Aber jetzt sollst du zum Ausdruck bringen, was du glaubst und woher du zu diesem Glauben kamst.« »O heiliger Vater, du Geist, du siehst jetzt, was du so sehr geglaubt hast, daß du auf dem Weg zum Grab jüngere Beine besiegt hast«, begann ich, »und du willst, daß ich den genauen Inhalt meines frei bejahten Glaubens darlege, und hast nach der Begründung für ihn gefragt. Da antworte ich:
130 Ich glaube an den einen, einzigen und ewigen Gott, der, selbst unbewegt, den ganzen Himmel aus Liebe bewegt und den alles ersehnt. Für diesen Glauben habe ich nicht nur physische und metaphysische Beweise; mir gibt ihn auch die Wahrheit, die vom Himmel herabfließt durch Moses, durch Propheten und Psalmen, durch das Evangelium und durch Euch, die Ihr geschrieben habt, nachdem der Heilige Geist Euch geheiligt hat.
139 Und ich glaube an drei ewige Personen, und diese sind, wie ich glaube, ein einziges Wesen. Es ist so sehr eins und dreieins, daß ich von ihm sowohl sagen darf: ›sie sind‹ als auch ›es ist.‹ Mit dieser tiefen göttlichen Eigenheit besiegelt mehrfach das Evangelium meinen Geist. Das ist der Ursprung, das ist der Funken, der sich zu der lebhaften Flamme ausbreitet, die in mir leuchtet wie ein Stern am Himmel.«
148 Wie ein Herr, der hört, was ihm gefällt, seinen Knecht umarmt und sich mit ihm freut über die Nachricht, sobald dieser schweigt, so gab mir, sobald ich schwieg, das apostolische Licht, auf dessen Geheiß ich gesprochen hatte, singend seinen Segen und tanzte dreimal um mich herum, so sehr gefiel ihm, was ich sagte.