Canto 8
Im Venushimmel mit den Seelen der Liebenden. Dante trifft seinen Jugendfreund Karl Martell von Anjou. Dieser bespricht die Lage in Neapel und Sizilien; er erklärt, die Vorsehung wolle Vielfalt; die Menschen aber verteilten die Ämter falsch. Sie respektierten nicht die Verschiedenheit von Veranlagungen.
1 Einst glaubte die Welt zum eignen Schaden, die schöne Kypris, die im dritten Epizykel kreist, strahle verrückt-wilde Liebe aus. Deshalb erwiesen die alten Völker in ihrem alten Irrtum nicht nur ihr die Ehre der Altäre und der Anrufe im Gebet, sondern sie ehrten auch Dione als ihre Mutter und Cupido als ihren Sohn, von dem sie sagten, er habe einst auf Didos Schoß gesessen. Von ihr, mit der ich diesen Canto beginne, nahmen sie den Namen des Sterns, der die Sonne umschmeichelt, bald ihr im Rücken, bald vorm Gesicht.
13 Wie ich zu ihm aufstieg, erinnere ich mich nicht; doch daß ich in ihrer Sphäre war, verbürgte mir meine Herrin: Ich sah, wie sie schöner wurde. Und wie man im Feuer einen Funken erkennt und im Chor eine Stimme, wenn die eine beharrt und die andere geht und zurückkehrt, so sah ich in diesem Glanz andere Lichter im Kreis sich bewegen, schneller oder langsamer, je nach dem Grad, glaube ich, ihrer inneren Schau. Stürme, die, sichtbar oder nicht, aus frostiger Wolke jäh herabstürzen, sie wären jedem gehemmt und langsam vorgekommen, der diese göttlichen Lichter gesehen hätte, wie sie auf uns zueilten, ihren Kreistanz verlassend, den sie begonnen hatten bei den hohen Seraphinen. Unter denen, die sich weiter vorn zeigten, erklang ein so hochtönendes Hosianna, daß ich von da an nie ohne Sehnsucht war, es wieder zu hören.
31 Einer von ihnen trat näher auf uns zu, und er allein begann: »Alle sind wir bereit, dir zu Gefallen zu sein. Du sollst dich an uns freuen.[560] Wir drehen uns hier zusammen mit den himmlischen Herrschern im gemeinsamen Kreis, wir kreisen gemeinsam in gemeinsamem Durst. Du hast sie schon in der Welt mit den Worten angerufen: ›Ihr, die ihr kraft der Einsicht den dritten Himmel bewegt.‹[561] Wir sind so erfüllt von Liebe, daß uns, um dir zu gefallen, ein wenig Ruhe nicht weniger angenehm sein wird.« Meine Augen wandten sich ehrfürchtig meiner Herrin zu. Sie stimmte zu und gab Sicherheit; meine Augen kehrten sich wieder zu dem Licht, das so viel versprochen hatte: »Ach, sagt, wer seid ihr?«, kam meine Stimme, von großer Zuneigung bewegt. Ich sah: Das Licht wurde größer und heller, weil, als ich sprach, neue Freude zu seiner Freude hinzukam.[562] So verändert, sagte es mir: »Die Welt da unten besaß mich nur für kurze Zeit. Wäre es für länger gewesen, würde viel Unglück nicht geschehen, das kommen wird. Meine Freude verhüllt mich dir; sie umstrahlt mich ringsum und verbirgt mich wie ein Tier, das seine eigene Seide umwickelt. Du hast mich sehr geliebt und hattest wohl Grund, denn wäre ich länger geblieben, ich hätte dir von meiner Liebe mehr gezeigt als nur das grüne Laub.
58 Das linke Ufer dort, das sich in der Rhone wäscht, nachdem sie sich mit der Sorgue vereint hat, erwartete mich zu gegebener Zeit als seinen Herrn, ebenso das Horn Italiens, das es mit Bari, Gaeta und Catona zu Städten bringt und wo Tronto und Verde ins Meer münden. Schon glänzte auf meiner Stirn die Krone des Landes, das die Donau bewässert, nachdem sie die deutschen Ufer verlassen hat. Und das schöne Sizilien, das sich zwischen Pachino und Peloro, über dem Golf, den der Sturm Euro hart anpackt, eindunkelt, nicht wegen des Typhon, sondern wegen aufsteigendem Schwefel,[563] würde jetzt noch Könige erwarten, die über mich von Karl und Rudolf abstammten. Es hätte kein so schlechtes Regiment, das unterworfne Völker immer erbittert und das Palermo zu dem Ruf trieb: ›Stirb! Stirb!‹
76 Sähe mein Bruder das voraus, er verjagte bald die raffgierige Armut Kataloniens, daß sie ihm nicht schade.[564] Irgend jemand müßte Vorsorge treffen, entweder er oder ein anderer, denn sein Schiff ist schwer beladen und darf nicht noch mehr befrachtet werden. Seine Natur ist sparsam, sie stammt aber von einer großzügigen ab und brauchte Mitstreiter, die nicht nur daran denken, die eigene Truhe zu füllen.«
85 »Ich glaube, mein Herr, du siehst die hohe Freude, die dein Reden mir gibt und die ich in mir selbst sehe, dort, wo alles Gute beginnt und endet; sie ist mir desto willkommener. Und auch das ist mir lieb: Du erkennst, wie sie zunimmt, indem du Gott schaust.
91 Du hast mich erfreut, aber jetzt gib mir auch Klarheit. Denn während du sprachst, entstand in mir der Zweifel: Wie kann es sein, daß aus süßem Samen Bitteres wächst?« So sagte ich zu ihm, darauf er zu mir: »Wenn ich dir auf deine Frage die Wahrheit zeigen kann, dann wird, was du wissen willst, dir so vor Augen stehen, wie du ihm jetzt den Rücken zukehrst.
97 Das höchste Gut, das dieses ganze Reich, das du ersteigst, zum Kreisen bringt und beglückt, läßt seine Vorsehung als Kraft in diesen großen Himmelskörpern wirken. Und der Geist, der in sich vollkommen ist, kennt nicht nur die Wesen im Voraus, sondern auch was sie zu ihrem Wohl brauchen. Daher trifft alles, was dieser Bogen als Pfeil abschießt, wohlgeordnet das vorgesehene Ziel wie etwas, das dafür bestimmt ist. Wäre es nicht so, dann brächte der Himmel, den du durchwanderst, zwar Wirkungen hervor, aber keine Kunstwerke, sondern Trümmer. Und das kann nicht sein, denn die Intellekte, die diese Sphären bewegen, versagen nicht, weil das Erste nicht versagt, das sie vollkommen geschaffen hat. Willst du, daß dieses Wahre sich dir noch weiter erhellt?« Darauf ich: »Nicht doch. Denn ich sehe ein: Es ist unmöglich, daß die Natur bei Notwendigem versagt.« Darauf er weiter: »Nun sag: Stünde es nicht schlimmer um den Menschen auf Erden, wenn er nicht Bürger eines Gemeinwesens wäre?« »Gewiß«, antwortete ich, »und dafür verlange ich keine Begründung.« »Und kann er Bürger sein, wenn man unten nicht in verschiedenen Formen lebt mit verschiedenen Aufgaben? Gewiß nicht, wenn euer Meister gut drüber schreibt.«[565] Bis zu diesem Punkt zog er seine Folgerungen; dann schloß er: »Dann müssen also die Wurzeln eurer Wirkungen verschieden sein. Denn der eine kommt als Solon auf die Welt, der andere als Xerxes, der eine als Melchisedech, der andere als der Mann, der seinen Sohn beim Flug durch die Luft verlor. Der kreisende Sternenlauf besiegelt das sterbliche Wachs und versteht gut seine Kunst, macht aber keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Häusern. Daher kommt es, daß Esau sich schon im Samen von Jakob trennt, und Romulus stammt von einem so gewöhnlichen Vater, daß man ihn dem Mars zuschreibt. Jede erzeugte Natur nähme immer den Weg, ihrem Erzeuger zu gleichen, doch dagegen setzt die göttliche Vorsehung sich durch.[566]
136 Jetzt steht vor dir, was vorher hinter dir war. Aber damit du weißt, wie sehr ich mich über dich freue, gebe ich dir noch eine Folgerung als Zugabe wie einen Umhang zum Kleid: Ein Naturwesen, dem Fortuna widerstreitet, gedeiht schlecht, wie jeder Same außerhalb seines Bodens. Richtete die Welt dort unten den Geist nach der Grundlage, welche die Natur legt, und würde sie ihr folgen, dann ginge es dem Volk gut. Aber ihr zwingt einen Mann zum Mönch, den seine Natur bestimmt, das Schwert zu führen, und ihr macht einen zum König, der zur Predigt bestimmt ist.[567] Drum läuft eure Schar abseits der Straße.«