Canto 30
Im zehnten Graben zanken sich Fälscher aller Art. Darunter der Geldfälscher Adamo mit dem Lügner Sinone. Vergil tadelt Dantes Interesse an diesem Zank.
1 Damals, als Juno wegen Semele vor Zorn tobte gegen das thebanische Blut, und das auch noch mehrmals, zuerst wurde Athamas, der neue König von Theben, wahnsinnig. Als er seine Frau mit den beiden Söhnen kommen sah, jeden auf einem Arm, schrie er: »Die Netze spannen! Ich will die Löwin mit ihren Jungen fangen, wenn sie kommt!« Dann streckte er mitleidlos die Klauen aus, wirbelte den einen, der Learchos hieß, herum und zerschmetterte ihn an einem Felsen; sie ertränkte sich mit der anderen Last.[217]
13 Und als Fortuna das stolze Troja niederwarf, das vor nichts zurückschreckte – damals verschwand der König mitsamt seinem Reich –, da geriet Hekuba, unglücklich, trauernd und gefangen, außer sich. Sie sah, daß Polyxena tot war und fand voll Schmerz am Meeresstrand ihren Polydoros, da bellte sie wie ein Hund; so sehr hatte der Schmerz ihr den Verstand verwirrt.[218]
22 Aber niemals wütete in Theben oder in Troja der Wahnsinn in einer Menschenseele so grausam – nicht nur gegen Tiere, sondern gar gegen Menschenleiber –, wie ich jetzt zwei Schatten sah, totenbleich und nackt, die um sich beißend losrannten wie ein Eber, dem man den Verschlag öffnet. Der eine ging auf Capocchio zu und schlug ihm seine Hauer ins Genick, schleifte ihn mit den Zähnen ein Stück weit mit, so daß der harte Grund ihm den Bauch aufriß. Der Mann aus Arezzo stand zitternd dabei und sagte mir: »Dieser Teufelsnarr ist Gianni Schicchi. Tollwütig rennt er herum und richtet andere zugrunde.« »Oh«, sagte ich zu ihm, »hoffentlich schlägt der andere nicht dir die Zähne in den Leib! Und hoffentlich macht es dir keine Mühe, mir zu sagen, wer er ist, bevor er sich davonmacht.« Und er zu mir: »Das ist eine Seele aus dem Altertum, die ruchlose Myrrha; sie wurde – entgegen der rechten Liebe – die Geliebte ihres Vaters. Sie kam zu ihm, gab sich als eine andere Person aus und sündigte mit ihm. Etwas Ähnliches brachte der Kerl fertig, der dort davonläuft; um die Königin des Gestüts zu ergattern, gab er sich fälschlich als Buoso Donati aus, diktierte in dessen Namen ein Testament zu seinen Gunsten und ließ es sich auch noch beurkunden.«[219]
46 Nachdem die beiden Tollwütigen vorbeigerannt waren, denen meine Aufmerksamkeit gegolten hatte, sah ich mich um nach den anderen Verdammten. Da sah ich einen Mann, der aussah wie eine Laute, wenn man sich nur das Stück von der Leistengegend ab wegdenkt, wo der Mensch sich gabelt.[220] Die schwere Wassersucht schwemmt den Leib und läßt die Lebenssäfte verderben; das Gesicht paßt nicht zum Riesenbauch. Sie machte, daß er die Lippen offenhielt wie ein Schwindsüchtiger, der aus Durst die eine Lippe gegen das Kinn drückt und die andere nach oben zerrt. »Ihr da, ihr seid, ich weiß nicht warum, ohne Qual hier in der Schmerzenswelt«, sagte er, »schaut doch her und seht das Elend des Meister Adamo. Als ich lebte, hatte ich reichlich von allem, doch jetzt, so ein Elend, schmachte ich nach einem Tropfen Wasser. Die kleinen Bäche, die von den grünen Hügeln des Casentino herab zum Arno fließen und ihr Bett frisch und feucht halten, stehen mir immer vor Augen, und das nicht genug: Ihr Bild dörrt mich noch mehr aus als die Krankheit, die mein Gesicht aufzehrt. Die strenge Gerechtigkeit, die mich foltert, achtet auf den Ort, an dem ich gesündigt habe, um mir noch mehr Seufzer zu entpressen. Dort liegt Romena, wo ich die Legierung der Münzen mit dem Prägebild des Täufers fälschte; deshalb verbrannte oben mein Leib auf dem Scheiterhaufen. Könnte ich doch nur sehen, wie die Seele von Guido oder Alessandro oder ihrem Bruder hier unten leidet, den Anblick gäbe ich nicht her für den Brandabrunnen.[221] Eine von diesen Seelen steckt schon hier unten, wenn die tobsüchtigen Schatten, die hier herumrasen, die Wahrheit sagen, aber was habe ich davon, da meine Glieder gefesselt sind? Könnte ich mich nur so viel bewegen, daß ich in hundert Jahren ein paar Zentimeter gehen könnte, ich wäre schon unterwegs, ihn unter all diesem entstellten Volk zu suchen, auch wenn der Höllenkreis sich über elf Meilen erstreckt, in der Durchquerung nicht weniger als eine halbe Meile. Ihretwegen bin ich hier in dieser Sippschaft; sie haben mich verführt, Goldgulden zu schlagen, die drei Karat an unedlem Metall enthielten.«
91 Und ich zu ihm: »Was sind das für zwei Elendsgestalten, die da rechts dicht bei dir liegen und dampfen wie eine nasse Hand im Winter?« »Ich fand sie hier vor, als ich in diese Höhle herabstürzte, und seitdem haben sie sich nicht von der Stelle gerührt«, erwiderte er, »und ich glaube, sie werden es in Ewigkeit nicht tun. Die eine ist die Lügnerin, die Josef beschuldigte, der andere ist der lügnerische Grieche Sinon vor Troja.[222] Bei schwerem Fieber strömen sie diesen Fettgestank aus.« Da schlug der eine von ihnen, den es wohl ärgerte, so schändlich genannt zu werden, ihm mit der Faust auf den aufgedunsenen Bauch. Der dröhnte wie eine Trommel, und Meister Adamo schlug ihm ins Gesicht mit seinem Arm, der genau so hart war, und sagte: »Zwar ist mir die Fortbewegung versagt bei meinen schweren Gliedern, aber dazu reicht es mit meinem Arm immer noch.« »Als du zum Scheiterhaufen gingst,« antwortete der andere, »da war er ja wohl nicht so flink, aber um so flinker war er beim Prägen von Gulden.« Und der Wassersüchtige: »Stimmt, aber ganz so wahrhaftig hast du nicht geredet, als man dich vor Troja nach der Wahrheit fragte.« »Bei mir war die Rede falsch, aber bei dir war es die Prägung«, erwiderte Sinon, »und ich bin hier wegen einer einzigen Täuschung, aber du hast mehr verbrochen als jeder andere Teufel.« »Du Meineidiger, denk an das Pferd«, antwortete der mit dem aufgequollenen Wanst, »und deine Strafe sei, daß alle Welt es weiß.« »Und deine Strafe sei der Durst, der deine Zunge rissig macht«, maulte der Grieche, »und dazu bläht das faule Wasser deinen Bauch auf und macht daraus einen Deich vor deinen Augen.« Dann wieder der Falschmünzer: »So reißt du dein Maul auf wie immer wegen deines Fiebers. Denn wenn ich Durst habe und die Säfte mich aufblähen, dann hast du deinen Brand und den schmerzenden Kopf, und am Spiegel des Narziß zu lecken, braucht man dich nicht zweimal einzuladen.«[223]
130 Ich hörte ihnen zu wie gebannt. Da sagte der Meister zu mir: »Da schau einer an! Es fehlt nicht viel, daß ich mit dir streite!« Ich hörte, daß er zornig mit mir sprach, ich wandte mich rasch ihm zu, so tief beschämt, daß es mir jetzt noch nicht aus dem Sinn geht. Wie jemand, der von etwas Schlimmem träumt und im Traum wünscht, es sei nur ein Traum, und der glühend herbeisehnt, etwas, das ist, sei nicht, so ging es mir: Ich konnte nicht reden, wollte mich aber entschuldigen, und entschuldigte mich ja auch, glaubte aber, es nicht zu tun. »Schon weniger Scham wäscht schlimmeren Fehler«, sagte der Meister, »als deiner war. Deswegen schüttle allen Trübsinn ab! Und denk, daß ich immer an deiner Seite bin, falls Fortuna dich noch einmal unter Leute mit solchen Händeln führt. Denn dabei zuhören zu wollen, ist ein gemeiner Wunsch.«