Canto 25
Vanni Fucci verflucht Gott. – Invektive gegen Pistoia. – Metamorphosen der Sünder, beschrieben im Wettkampf mit Ovid.
1 Am Ende seiner Worte erhob der Räuber die Hände, machte mit beiden die Feige und schrie: »Nimm das, Gott, das gilt dir.«[181] Seitdem und bis zum heutigen Tage wurden mir die Schlangen lieb, denn eine schlang sich ihm um den Hals, als sage sie: ›Ich will nicht, daß du weiter sprichst‹, und eine andere umwand die Arme und fesselte ihn, indem sie sich vorne verknotete, so daß er mit ihnen keinen Ruck mehr tun konnte.[182]
10 O weh Pistoia! Pistoia, warum beschließt du nicht, dich einzuäschern, so daß es dich endlich nicht mehr gibt? Du übertriffst an Bosheit noch deine Gründer![183] Durch alle dunklen Höllenkreise traf ich keinen Geist so aufsässig gegen Gott, nicht einmal den Mann, der von den Mauern Thebens stürzte.
16 Er sagte kein Wort mehr und verschwand. Da sah ich, wie ein Kentaur wutschnaubend herbeieilte und rief: »Wo ist er? Wo ist der Rebell?« In der Maremma, glaube ich, gibt es nicht so viele Nattern, wie er um die Schultern hatte, bis hinauf, wo das Gesicht beginnt. Auf seinen Schultern, hinter seinem Genick, lag mit gespreizten Flügeln ein Drache, der jeden mit Feuer bespeit, der ihm in die Nähe kommt. Mein Lehrer sagte: »Das ist Cacus, der unter dem Fels des Aventin oft einen Blutsee anrichtete. Er geht nicht denselben Weg wie seine Brüder, die andren Kentauren, wegen des Diebstahls, den er arglistig beging an der großen Herde in seiner Nähe. Damit endeten seine krummen Taten unter der Keule des Herkules, der ihm wohl hundert Schläge gab, von denen er keine zehn mehr spürte.«[184] Während er so sprach und Cacus verschwand, kamen unter uns drei Geister daher, die weder ich noch mein Führer bemerkten, bis sie riefen: »Wer seid ihr?« Dadurch blieb unsere Geschichte stecken, und wir achteten nur noch auf sie. Ich kannte sie nicht, aber dann passierte, was zufällig vorzukommen pflegt: einer nannte den Namen eines anderen, als er fragte: »Wo mag Cianfa geblieben sein?« Da legte ich, um die Aufmerksamkeit des Führers anzuregen, den Finger vom Kinn an die Nase.
46 Wenn du, Leser, dich jetzt weigerst zu glauben, was ich sage, dann ist das kein Wunder. Denn ich, der ich es gesehen habe, kann es mir selbst kaum zugeben. Ich hielt den Blick auf sie gerichtet, da stürzt eine Schlange mit sechs Füßen auf einen von ihnen und hält ihn ganz umklammert. Mit den mittleren Füßen umschlang sie seinen Bauch, mit den vorderen packte sie seine Arme, dann biß sie ihm in beide Backen. Die Hinterfüße streckte sie um seine Schenkel, steckte ihren Schwanz dazwischen und zog ihn wieder hinten bei den Nieren nach oben. Nie war Efeu einem Baum so angewachsen, wie dieses grauenhafte Untier seine Glieder um die des anderen schlang. Dann verschmolzen sie, als wären sie aus heißem Wachs gewesen; sie vermischten ihre Farben. Weder der eine noch der andere sah aus, wie er vorher war. Es sah aus, wie wenn Papier brennt: Die braune Farbe steigt aufwärts, noch ist es nicht schwarz, aber das Weiß stirbt. Die beiden anderen blickten auf ihn, und jeder schrie: »O weh! Agnel, wie du dich veränderst! Schau, du bist ja weder einer noch zwei.« Schon waren die beiden Köpfe zu einem geworden. Zwei Wesen waren zu einem einzigen Gesicht vermischt; zwei Wesen, Mensch und Schlange, waren darin verloren. Aus vier Gliedern wurden zwei Arme; Schenkel und Beine, Bauch und Brustkorb wurden Glieder, wie man sie nie gesehen hat. Jedes ursprüngliche Aussehen war da vernichtet. Das verkehrte Bild war offenbar zwei und keines zugleich, und so schlich es davon, langsamen Schritts.
79 Blitzschnell wie die Eidechse unter der sengenden Geißel der Hundstage von Hecke zu Hecke über den Weg huscht, so schoß eine hitzige kleine Schlange auf den Bauch der beiden anderen zu, grau und schwarz wie ein Pfefferkorn. Sie durchstach dem einen den Teil, mit dem wir unsere erste Nahrung aufnehmen,[185] dann fiel sie hin, ermattet, und lag ausgestreckt vor ihm. Der Durchstochene starrte sie an, sagte aber kein Wort, blieb vielmehr reglos stehen und gähnte, als überfalle ihn Schlaf oder Fieber. Er schaute die Schlange an und sie ihn. Starker Rauch trat aus – bei ihm aus der Wunde, bei ihr aus dem Maul; beider Rauch traf aufeinander.
94 Lukan soll den Mund halten mit seiner Geschichte vom armen Sabellus und von Nassidius; er soll erst einmal zuhören, was jetzt kommt; Ovid schweige von Kadmos und Arethusa: Ihn hat er dichtend in eine Schlange und sie in eine Quelle verwandelt, aber dafür bin ich nicht auf ihn neidisch.[186] Denn nie hat er zwei Wesen Stirn gegen Stirn verwandelt, so daß beide Wesensgestalten ihren Stoff austauschten. Beide entsprachen diesem Wandlungsgesetz: Die Schlange spaltete den Schwanz auf zu einer Gabel, und der Verwundete schloß seine Füße zusammen. Seine Beine, seine Schenkel verschmolzen ineinander; da war keine Fuge dazwischen zu sehen. Der gespaltene Schwanz nahm die Gestalt an, die dort, bei den Menschenbeinen, verschwand; die Schlangenhaut wurde weich und die da drüben hart. Ich sah, wie die Arme in den Achseln verschwanden; die beiden kurzen Beine der Schlange verlängerten sich um so viel, wie jene sich verkürzten. Die Hinterbeine verschlangen sich ineinander und wurden zu dem Glied, das der Mann verbirgt; das Glied des Unglücklichen hatte zwei Ausgänge. Während der Rauch beiden eine neue Farbe gibt, auf der einen Seite Haare erzeugt und auf der anderen enthaart, erhob sich der eine und der andere fiel zu Boden, ohne die verruchten Blicke voneinander zu lassen, unter denen jeder von beiden die Fratze vertauschte. Der aufrecht stand, zog sie zu den Schläfen zurück, und aus dem Überschuß an Stoff, der dorthin kam, bildeten sich Ohren, die hervortraten aus den vorher glatten Backen. Was nicht nach hinten lief und übrigblieb vom Stoffüberschuß des Schlangenmauls, gab dem Gesicht die Nase und verdickte die Lippen, wie es nötig war. Der am Boden lag, schiebt sein Maul nach vorn und zieht am Kopf die Ohren ein, wie es die Schnecke mit den Hörnern macht; die Zunge, die vorher einheitlich und zum Sprechen geeignet war, spaltet sich, und die beim anderen gegabelt war, schließt sich zusammen, und der Rauch bleibt. Die Seele, die zum Tier geworden ist, entweicht zischend durch das Tal, und der andere redet und spuckt hinter ihm her. Dann kehrte er ihnen den neuen Rücken zu und sagte zu den anderen: »Ich will, daß Buoso hier vorbeikriechen soll, wie ich es tat, auf allen vieren.«[187]
142 So sah ich den Abschaum des siebten Rings sich wandeln und verwandeln. Das Ungewöhnliche der Vorgänge mag es entschuldigen, wenn meine Feder ein bißchen pfuscht. Meine Augen waren verwirrt, mein Geist geschwächt, trotzdem konnten sie nicht so unentdeckt entfliehen, daß ich Puccio Sciancato nicht erkannt hätte. Er war der einzige von den drei zuerst gekommenen Gefährten, der nicht verwandelt wurde; der andere war der, wegen dem du, Gaville, weinst.[188]