Canto 19

In der dritten Grube stecken Simonisten kopfüber in Felslöchern. ›Simonisten‹ sind Kleriker, die Geistliches für Geld kaufen oder verkaufen. – Dante trifft unter ihnen drei Päpste. Harte Kritik der Papstkirche.

1  O Simon Magus! O ihr seine elenden Nachfolger! Ihr verkuppelt aus Raffgier das Eigentum Gottes für Gold und Silber, aber es sollte nur mit Gutem vermählt sein!^[136]   Jetzt endlich ertönt für euch die Posaune, deswegen steckt ihr im dritten Graben.

7  Schon waren wir über dem nächsten Graben bis zu der Stelle der Felsenbrücke gestiegen, die auf den Punkt genau senkrecht über der Mitte des Grabens liegt. O höchste Weisheit, wie groß ist deine Kunst – im Himmel, auf der Erde und in der Welt des Bösen! Und wie gerecht teilt deine Macht jedem das Seine zu!

13  Ich sah an den Wänden und am Boden den dunklen Fels voll von Löchern, alle rund und von derselben Größe. Sie waren so weit und so groß wie die, die in meinem schönen San Giovanni als Platz für die Taufenden eingelassen sind.^[137]   Eines davon – es ist noch nicht viele Jahre her – zerschlug ich für einen, der darin am Ertrinken war.

21  Dies sei mein Siegel, damit sei die Sache in Zukunft für alle klar!

22  Aus der Öffnung jedes dieser Löcher ragten Füße und Beine eines Sünders hervor, bis zum Rumpf; der Rest steckte drinnen. Bei allen brannten beide Sohlen; deshalb zuckten die Kniegelenke so heftig, daß sie Gurte und Stricke zerfetzt hätten. Wie Flammen auf eingeölten Dingen sich nur an der Außenseite ausbreiten, so brannte es dort von den Fersen bis zu den Zehenspitzen.

31  »Wer ist der Mann dort, Meister«, fragte ich, »der heftiger zuckt und sich mehr als seine Genossen quält, und an dem eine Flamme von intensiverem Rot saugt?« Darauf er zu mir: »Wenn du willst, trage ich dich hinunter, wo die Böschung weniger steil ist, dann erfährst du von ihm selbst etwas über ihn und seine Untaten.« Und ich: »Mir ist alles recht, was dir gefällt. Du bist der Herr, und du weißt, daß mein Wille nicht abweicht von deinem. Du kennst auch das, worüber ich schweige.« Wir kamen dann zum vierten Damm, wandten uns nach links unten auf den Boden, wo der Weg durch die vielen Löcher beengt war. Der gute Meister setzte mich von seiner Hüfte erst ab, als er mich zum Loch des Mannes gebracht hatte, der so heftig mit den Haxen zappelte. »Oh, wer du auch bist, traurige Seele, eingerammt wie ein Pfahl, das Oberste zu unterst«, begann ich zu reden, »wenn du kannst, sprich!« Ich stand da wie der Mönch, der einem verräterischen Mörder die Beichte abnimmt; er ist schon in der Grube versenkt, ruft aber nach ihm, um den Tod zu verzögern.^[138]   Und er schrie: »Bist du wirklich schon da? Bist du wirklich schon da, Bonifaz? Dann hat mich mein Buch um etliche Jahre betrogen! Hattest du so früh die Nase voll von den Gütern, für die du dich nicht gescheut hast, die schöne Frau zu ergattern und sie dann zu schänden?«^[139]  

58  Mir ging es wie einem, der nicht versteht, was ihm geantwortet wurde, der wie verhöhnt dasteht und nicht weiß, was er sagen soll. Da sagte Vergil: »Sag ihm schnell: Ich bin nicht der, bin nicht der, für den du mich hältst.« Ich antwortete wie geheißen. Darauf verdrehte der Geist die Füße noch mehr und sagte dann stöhnend und mit weinerlicher Stimme: »Was willst du dann von mir? Ist’s dir so wichtig zu wissen, wer ich bin, daß du deswegen den Hang herabkamst, dann sollst du wissen: Ich war mit dem großen Mantel bekleidet, ein Sohn der Bärin und gierig, junge Bären zu fördern. Oben habe ich Geld und hier unten mich selbst in die Tasche gesteckt.^[140]   Da drunten, unter meinem Kopf, sind die anderen hineingestopft, die mir in der Simonie vorausgingen, plattgedrückt in Felsenritzen. Auch ich werde dort hineinfallen, wenn der kommt, für den ich dich hielt, als ich meine voreilige Frage stellte. Aber seit ich mir die Füße verbrenne und so kopfüber stehe, ist schon mehr Zeit vergangen, als bis er eingepflanzt wird mit feuerroten Füßen. Denn nach ihm kommt mit noch häßlicheren Taten vom Westen her ein Hirte ohne Gesetz; der muß dann ihn und mich zudecken. Er wird ein neuer Jason sein, von dem man im Buch der Makkabäer liest, daß der König ihn weichmachte – dasselbe wird der König von Frankreich mit ihm tun.«^[141]  

88  Ich weiß nicht, ob ich es dann zu toll trieb, als ich ihm in dieser Tonart antwortete: »Heh, du da, sag mir doch schnell: Welchen Schatz hat unser Herr von Sankt Petrus verlangt, bevor er ihm die Schlüssel in die Hand gab? Gewiß forderte er nichts als ›Folge mir nach!‹ Weder Petrus noch die andren nahmen von Matthias Gold oder Silber, als er durch das Los den Platz erhielt, den der Verräter verlor. Darum bleib, wo du bist! Du hast deine Strafe verdient, und bewache gut das schlecht erworbene Geld, das dich gegen Karl so kühn gemacht hat. Und verböte es mir nicht immer noch die Ehrfurcht vor den höchsten Schlüsseln, die du im heiteren Leben trugst, ich gebrauchte noch härtere Worte. Denn eure Habgier korrumpiert die ganze Welt; sie erniedrigt die Guten und erhöht die Schlechten. Hirten wie euch sah der Evangelist, als ihm die Hure erschien, die über den Wassern thront und mit den Königen hurt, die mit sieben Köpfen zur Welt kam und die Weisung empfing von den zehn Hörnern, damals, als ihrem Gatten noch die Tugend gefiel.^[142]   Ihr habt Gold und Silber zu eurem Gott gemacht. Was unterscheidet euch noch von den Götzendienern des Goldenen Kalbs? Außer daß sie einen Götzen anbeten und ihr viele?! O weh, Konstantin, was für ein Unglück hast du in die Welt gebracht! Nicht durch deine Bekehrung, wohl aber durch die Schenkung, die der erste Papst bekam, der reich wurde!«^[143]   Während ich ihm solche Töne vorsang, strampelte er – aus Zorn oder aus schlechtem Gewissen? – mit beiden Füßen.

121  Meinem Führer, glaube ich, gefiel das sehr, mit so zufriedener Miene hörte er die ganze Zeit über den Klang der wahren Worte, die ich aussprach. Daher umfaßte er mich mit beiden Armen, hob mich hinauf an seine Brust und stieg auf demselben Weg hinauf, den er heruntergekommen war. Er wurde nicht müde, mich fest an sich zu drücken, bis er mich auf den Scheitelpunkt des Bogens trug, der den vierten mit dem fünften Damm verbindet. Dort setzte er seine Last sanft ab, sanft auf dem schroffen, steilen Felsen, der selbst für Ziegen ein schwieriges Gelände wäre. Dort bot sich meinen Augen ein anderes weites Tal.