Canto 25
Dante hat bei Petrus die Prüfung über die erste theologische Tugend, den Glauben, bestanden. Jetzt prüft ihn der Apostel Jakobus über die Hoffnung, die zweite theologische Haupttugend. Der Apostel Johannes erscheint als überhelles Licht; Dante verliert das Augenlicht.
1 Sollte es je geschehen, daß das heilige Gedicht, an das Himmel und Erde Hand angelegt haben und das mich viele Jahre lang abmagern ließ, die Grausamkeit besiegt, die mich aussperrt aus dem schönen Schafstall, wo ich, verhaßt den Wölfen, die es bekriegen, als kleines Schaf schlief, dann kehre ich heim als Dichter mit anderer Stimme und anderem Haar und empfange den Lorbeerkranz des Dichters an der Quelle meiner Taufe. Denn dort bin ich in den Glauben hineingekommen, der die Seelen mit Gott vertraut macht. Seinetwillen tanzte Petrus mir um die Stirn.
13 Danach bewegte ein anderes Licht sich auf uns zu. Es kam aus der Sphäre, aus der auch der erste Vertreter Christi hervorgegangen war. Voll Freude sagte meine Herrin zu mir: »Schau, schau hin, das ist der Herr, um dessentwillen man da unten Galizien besucht.«[714] Wie eine Taube sich neben die andere setzt und beide rucken und umkreisen sich, zeigen sich so ihre Zuneigung, so sah ich, wie der eine der großen ruhmreichen Fürsten den anderen empfing und die Speise lobte, die man dort oben ißt. Aber als die Begrüßung zu Ende war, stellte sich jeder von ihnen schweigend vor mich hin, beide von so feuriger Natur, daß es mein Auge überwältigte. Lachend sagte ihm dann Beatrice: »Du edle Seele, du hast den überströmenden Reichtum unserer Königshalle beschrieben, laß hier in der Höhe das Lob der Hoffnung ertönen! Du weißt, dass du sie immer verkörpert hast, wenn Jesus den dreien eine besondere Gunst erwies.«[715]
34 »Hebe den Kopf und fasse Vertrauen! Denn was hier heraufkommt aus der tödlichen Welt, muß reifen in unserem Licht.« Dieser Zuspruch kam mir aus dem zweiten Licht. Und so hob ich die Augen zu den Bergen, die sie zuvor mit ihrem zu großen Gewicht niedergedrückt hatten. »Unser Kaiser will aus Gnade, daß du ihm vor dem Tod, zusammen mit seinen Grafen, in seinem geheimen Gemach begegnest. Dann stärke, nachdem du die Wahrheit dieses Hofes gesehen hast, in dir und in anderen die Hoffnung. Aus ihr wächst unten die Liebe. Sag, was Hoffnung ist! Sag, wie dein Geist in ihr aufblüht, sag, woher sie dir zukam!« Mit diesen Worten setzte das zweite Licht seine Rede fort. Aber die Fromme, die meinen Flügeln Federn zu so hohem Flug gegeben hatte, kam meiner Antwort zuvor, indem sie sagte: »Die streitende Kirche hat keinen Sohn mit größerer Hoffnung, und das steht geschrieben in der Sonne, die unsere ganze Schar bescheint. Deswegen wurde ihm gestattet, aus Ägypten nach Jerusalem zu kommen, um zu schauen, bevor sein Kriegsdienst das festgesetzte Ende erreicht. Die beiden anderen Punkte – nach ihnen wurde ja nicht gefragt, damit wir es wissen, sondern damit er unten berichte, wie sehr diese Tugend dir gefällt – überlasse ich ihm, denn sie werden nicht zu schwer sein und ihn nicht zur Anmaßung verleiten, er soll selbst darauf antworten, und die Gnade Gottes gebe es ihm, es zu tun.«
64 Wie ein Student, der seinem Professor schnell und gern mit dem antwortet, worin er sich auskennt, damit seine Tüchtigkeit an den Tag kommt, sagte ich: »Hoffnung ist das gewisse Erwarten künftiger Herrlichkeit, sie entsteht aus Gnade und vorhergehendem Verdienst. Dieses Licht kommt mir von vielen Sternen her zu, aber wer es mir zuerst ins Herz gegossen hat, das war der höchste Sänger des höchsten Herrn. ›Hoffen sollen auf dich alle‹, sagt er in seinem Gotteslied, ›die deinen Namen wissen‹, und das weiß jeder, der meinen Glauben hat. Dann hast du mich in deinem Brief getränkt mit seinem Trank; davon bin ich übervoll und leite den Strom von euch auf andere weiter.« Während ich das sagte, zuckte plötzlich und mehrfach im lebendigen Schoß dieses Feuers ein Lichtschein auf wie ein Blitz. Darauf sagte es: »Ich glühe auch jetzt noch vor Liebe zu dieser Tugend. Sie hat mich begleitet bis zum Martyrium und bis zum Verlassen des Schlachtfeldes. Sie drängt mich, nochmals zu dir zu reden, da du soviel Freude an ihr zeigst. Und es wäre mir lieb, du sagtest noch, was die Hoffnung dir verspricht.« Und ich: »Die neuen und die alten Schriften zeigen das Ziel der Seelen, die Gott sich befreundet hat, und das erklärt mir, was du fragst. Jesaia sagt, jede erhalte in ihrem Land ein doppeltes Kleid, und ihr Land, das ist dieses süße Leben. Und dein Bruder Johannes bringt es dort noch klarer, wo er von den weißen Gewändern spricht und uns diese Offenbarung bestätigt.« Kaum waren diese Worte gesprochen, da ertönte über uns ein ›Sperent in te, sie werden auf dich hoffen‹, und alle Reigen antworteten darauf.
100 Da plötzlich leuchtete unter ihnen ein Licht auf, so hell – hätte das Sternbild Krebs einen so strahlenden Kristall, sein Monat mitten im Winter wäre nur ein einziger Tag.[716]
103 Und wie ein junges Mädchen aufsteht und heiter in den Reigen tritt, nur um die Braut zu ehren, ohne jede falsche Absicht, so sah ich einen frischen Glanz auf die beiden zukommen, die im Takt tanzten, der ihrer Liebe entsprach. Er fügte sich ein in Gesang und Reigen, und meine Herrin schaute sie intensiv an, wie eine Braut, still und unbewegt. »Das ist der, der an der Brust unseres Pelikans lag,[717] und es ist der, der am Kreuz zu der großen Aufgabe erwählt wurde«, erklärte meine Herrin. Aber während sie sprach und nachdem sie gesprochen hatte, verwandte sie keinen Blick von den dreien.
118 Wie einer, der die Augen anstrengt und sich abmüht, bei einer Sonnenfinsternis etwas zu sehen, und wie er nichts mehr sieht, wenn er sieht, so ging es mir bei dem letztgekommenen Licht; dabei hörte ich die Worte: »Warum läßt du dich blenden, um etwas zu sehen, was es hier nicht gibt? Auf der Erde ist mein Leib Erde, und er wird dort mit den andren so lange bleiben, bis unsere Zahl den göttlichen Plan erfüllt. Mit ihren beiden Gewändern, mit Seele und Leib, sind allein die zwei Lichter hinaufgestiegen zum seligen Konvent, und das solltest du in eurer Welt berichten.«[718]
130 Bei diesem Wort stand der Flammenkreis still, es schwieg die süße Harmonie, die aus den Klängen des dreifachen Hauchs entstand, so wie, um Ermüdung oder Gefahr zu meiden, Ruder, die zuvor das Wasser schlugen, alle zugleich stillstehen beim Pfiff einer Pfeife.
136 O weh, wie war ich erschüttert im Geist, als ich mich umdrehte, um Beatrice zu sehen, denn ich konnte sie nicht sehen. Obwohl ich ganz nahe bei ihr stand, und das in der seligen Welt!