Canto 12

Bonaventura lobt den heiligen Dominikus und tadelt den Niedergang der Franziskaner, seines eigenen Ordens.

1  Kaum hatte die gesegnete Flamme zum letzten Wort angesetzt, da begann das heilige Mühlrad sich zu drehen. Es hatte noch keine ganze Drehung gemacht, als ein anderer Kreis es rings umschloß. Schritt paßte zu Schritt, Lied zu Lied. Dieses Lied, von süßen Instrumenten begleitet, übertraf unsre Musen und Sirenen wie ursprünglicher Lichtglanz sein Spiegelbild. Wie sich bei einer leichten Wolke, wenn Juno es ihrer Magd befiehlt, zwei Bogen bilden, gleichlaufend und gleichfarbig, und wie aus dem inneren Kreis ein äußerer entstand in der Art der verlorenen Stimme der verliebten Frau, die Liebe so auflöste wie die Sonne den Dunst, und wie durch sie das Volk hier unten vorausweiß, die Welt werde wegen des Paktes, den Gott mit Noah schloß, nie wieder ertränkt – so bildeten sich um uns zwei Kreise dieser ewigen Rosen, und der äußere antwortete dem inneren.^[601]  

22  Als der Tanz und das große Fest mit Singen und Leuchten von Licht zu Licht zur Ruhe kam – dieses freudige und liebende Anstrahlen endete im selben Moment und aus gleichem Wollen, wie ja auch jemand, der seine Augen nach Belieben bewegen kann, sie beide zugleich schließt oder öffnet –, da erhob sich aus dem Innern eines der neuen Lichter eine Stimme. Wie die Kompaßnadel sich zum Nordstern richtet, wandte ich mich der Stelle zu, wo sie herkam. Und sie begann: »Die Liebe, die mich schön macht, drängt mich, von dem anderen Gründer zu reden, um dessentwillen man hier von dem meinen so gut spricht. Es gehört sich, wo der eine ist, den anderen einzuführen; wie sie zusammen kämpften, soll auch ihr Ruhm gemeinsam leuchten. Das Heer Christi, dem wieder Waffen zu verschaffen einen hohen Preis kostete, folgte dem Feldzeichen spät, zweifelnd und als kleiner Haufen, aber der Kaiser, der immer herrscht, sorgte für sein Kriegsvolk, nicht weil es würdig war, sondern aus bloßer Gnade. Und er kam, wie schon gesagt, seiner Braut zu Hilfe mit zwei Kämpfern, durch deren Tat und Wort das verirrte Volk zur Besinnung kam.

46  In jenem Teil der Welt, von wo der süße Zephir sich erhebt, um das junge Grün zu öffnen, mit dem Europa sich neu umkleidet,^[602]   nicht weit davon, wo die Ozeanwellen antoben, hinter denen, ermüdet von der langen Reise, die Sonne für alle Menschen sich verbirgt, liegt die glückliche Stadt Calaroga unter dem Schutz des großen Schildes, wo der Löwe unten lagert und oben herrscht – hier kam der leidenschaftliche Liebhaber des christlichen Glaubens zur Welt, der heilige Kämpfer, gütig zu den Seinen, grausam für die Feinde. Kaum war er erschaffen, wurde sein Geist mit lebendiger Kraft erfüllt, noch im Mutterleib; so wurde die Mutter zur Prophetin.^[603]  

61  Als an der heiligen Quelle die Ehe geschlossen wurde zwischen ihm und dem Glauben, wobei sie sich Heil als Hochzeitsgabe schenkten, da sah die Frau, die für ihn das Jawort sprach, im Traum die wunderbare Frucht, die von ihm und seinen Erben ausgehen sollte. Um auch in Worten auszudrücken, was er war, nannte man ihn, vom Geist bewegt, mit einem Wort, das den Besitzer anzeigt, dem er ganz gehörte. Man gab ihm den Namen Dominikus, und ich rede von ihm als dem Gärtner, den Christus als Arbeiter in seinem Garten erwählte. Bald erkannte man in ihm den Gesandten und Vertrauten Christi, denn die erste Liebe, die sich in ihm zeigte, galt dem ersten Rat, den Christus gegeben hat.^[604]   Oft fand ihn seine Amme stumm und wach auf dem Fußboden liegen, als sage er: Dazu bin ich gekommen.^[605]  

79  O sein Vater, ein wahrer Felix!

O seine Mutter, eine wahre Johanna!,

wenn dieser Name, übersetzt, das bedeutet, was man behauptet.^[606]  

82  Nicht für die Welt, der zuliebe sie heute dem Ostiense und dem Taddeo nachrennen,^[607]   sondern aus Liebe zum wahren Manna wurde er in kurzer Zeit zum großen Gelehrten; er machte sich daran, den Weinberg rundum zu begehen, der verfällt, wenn der Winzer nichts taugt. Und vom Papstthron, der früher einmal gütiger war zu den armen Gerechten, der aber degenerierte, nicht an sich, sondern durch die Schuld dessen, der dort thront, verlangte er nicht die Dispens, von sechs Gaben für die Armen zwei oder drei für sich behalten zu dürfen; er verlangte nicht das Privileg, den ersten freiwerdenden Kirchenposten zu bekommen; er wollte nicht die Zehnten, die das Eigentum der Armen Gottes sind, nein, er wollte nur die Erlaubnis, anzukämpfen gegen die irrende Welt für den Samen, aus dem solche Pflanzen aufgehen wie die vierundzwanzig, die dich hier umringen.^[608]   Dann brauste er los, im päpstlichen Auftrag, mit Wissen und Wollen zugleich, wie ein Sturzbach, den eine hohe Wasserader drängt. Ins häretische Gestrüpp traf sein Angriff, am heftigsten dort, wo der Widerstand am stärksten war.

103  Von ihm leiteten sich dann verschiedene Ströme ab, die den christlichen Garten bewässern, so daß seine kleinen Bäume besser gedeihen. Dieser Mann war das eine Rad an dem Kampfwagen, mit dem die heilige Kirche sich verteidigte und im Feld den inneren Aufruhr besiegte; daraus erkennst du auch die Vorzüge des anderen, von dem, bevor ich kam, Thomas so freundlich sprach. Aber jetzt ist die Radspur, die er eingrub, verlassen. Wo im Faß Weinstein war, ist jetzt Schimmel. Sein Orden war geradeaus aufgebrochen, aber jetzt läuft er verkehrt: Sein vorderer Fuß setzt dort auf, wo früher die Ferse war. Aber bald, bei der Ernte, zeigt sich, wie schlecht der Ackerbau war. Dann beklagt sich das Unkraut, daß in der Scheune kein Platz für es ist. Gewiß kann ich sagen: Wer unser Buch Blatt für Blatt durchsuchte, fände wohl noch eine Seite, wo steht: ›Ich bin, was ich war‹, aber das wäre nicht so bei Casale und Acquasparta, denn wenn die an die Ordensregel kommen, dann flieht der eine vor ihr und der andere engt sie ein.

127  Ich bin die Seele des Bonaventura von Bagnoregio, der in hohen Ämtern die falsche Sorge immer hintansetzte.^[609]   Illuminato und Augustin sind hier; sie gehörten zu den ersten schuhlosen Armen und wurden mit der Kordel Gottes Freunde. Hugo von Sankt Viktor ist hier bei ihnen, auch Petrus Comestor und Petrus Hispanus, der drunten sein Licht in zwölf Büchern verbreitete. Da ist der Prophet Nathan, der Metropolit Chrysostomus. Da sind Anselm und der Donat, der es nicht verschmähte, sich mit der ersten der Künste, mit der Grammatik, zu befassen. Rhabanus Maurus ist hier, und an meiner Seite leuchtet der kalabresische Abt Joachim, begabt mit prophetischem Geist.^[610]   Zu meinem Lob eines solchen Glaubensstreiters bewog mich die flammende Liebenswürdigkeit von Bruder Thomas und sein gepflegtes Latein; er holte mit mir diese Schar herbei.