Canto 14
Dritter Ring im siebten Kreis: Gotteslästerer werden auf brennendem Sand von Feuerregen getroffen. Capanaeus zeigt sich von Gott und seinen Strafen unbeeindruckt. – Vergil erklärt die drei Höllenflüsse.
1 Die Liebe zum Ort meiner Geburt zog mir das Herz zusammen, daher sammelte ich das zerstreute Laub und gab es dem Mann zurück, der schon verstummt war. Von dort kamen wir an die Grenze, wo der zweite Ring sich vom dritten trennt. Hier sieht man, wie entsetzlich die Gerechtigkeit wirkt. Um genau zu schildern, was hier überraschte: Wir erreichten flaches Ödland, das von seinem Bett alle Pflanzen fernhält. Der Schmerzenswald bildet um es einen Kranz, so wie der traurige Graben um ihn. Der Boden war trockener, dichter Sand, wie die Wüste, die Cato einst zu Fuß durchquerte.[103]
16 O Rache Gottes![104] Wie muß jeder dich fürchten, der liest, was sich meinen Augen jetzt darbot. Ich sah ganze Herden nackter Seelen, die alle erbärmlich klagten, aber unterschiedlichen Strafen unterlagen. Manche lagen rücklings auf dem Boden, andere saßen in sich zusammengesunken da, andere mußten ständig gehen. Die gingen, das waren die meisten; die zur Marter auf dem Boden lagen, waren wenige, aber ihr Schmerzensschrei war am heftigsten.[105] Über den ganzen Sand hin regnete es Feuer, langsam, in dichten Flocken, wie es schneit im Gebirge, wenn der Wind ruht. Wie Alexander in den heißen Gegenden Indiens sah, daß Flammen auf sein Heer herabfielen, dicht, bis zum Boden, weshalb er seine Leute den Boden stampfen ließ, um so das Feuer besser zu ersticken, so lang nicht neue Flammen es verstärkten, so fiel hier ewige Glut herab. Davon faßte der Sand Feuer wie Zunder durch Feuerstein und verdoppelte so den Schmerz.[106] Ruhelos ging der Veitstanz ihrer armen Hände, die einmal hier, einmal dort das neugefallene Feuer abzuschütteln versuchten. Ich begann: »Meister, du überwindest ja alle Hindernisse – nur nicht die Dämonen, die uns beim Eintritt ins Tor entgegentraten –, wer ist der große Mann dort, der sich offenbar um das Feuer nicht kümmert – so hochmütig und trotzig liegt er da, der Feuerregen kocht ihn wohl nicht weich?«[107]
49 Der Mann hatte bemerkt, daß ich meinen Führer nach ihm fragte, und schrie: »Wie ich im Leben war, so bin ich auch im Tod. Mag Jupiter seinen Schmied ermüden, von dem er in seiner Bedrängnis den scharfen Blitz bekam, der mich am letzten Tag erschlug, mag er auch die anderen Schmiede müde machen, die sich abwechseln in der schwarzen Schmiede im Mongibello, mag er schreien: ›Hilfe! Guter Vulkan! Hilfe!‹ wie in der Schlacht bei Phlegra, mag er mich auch mit seinen Pfeilen durchbohren – er soll an seiner Rache keine Freude haben!« Da sagte mein Meister mit einer Heftigkeit, wie ich ihn noch nie gehört hatte: »O Capanaeus, am meisten bist du damit gestraft, daß dein Hochmut sich nicht ersticken läßt! Keine Marter außer deiner eigenen Wut wäre für deine Raserei die genau passende Strafe.« Dann, im milderen Ton, wandte er sich an mich und sagte: »Der Mann war einer der sieben Könige, die Theben belagerten. Er verachtete Gott und tut es heute noch; er achtet ihn offenbar wenig, aber, wie ich schon zu ihm sagte, ist sein höhnisches Verhalten der Schmuck auf seiner Brust, den er verdient. Doch jetzt geh hinter mir her, aber gib weiter darauf acht, daß du die Füße nicht auf den glühenden Sand setzt; halte sie immer dicht am Wald.«
76 Schweigend kamen wir dorthin, wo aus dem Wald ein kleiner Fluß kräftig herausströmt, dessen blutrote Farbe mich jetzt noch erschaudern macht. Wie aus dem Bulicame[108] ein Bach entspringt, den die Sünderinnen dann unter sich aufteilen, so ergoß sich dieser abwärts durch den Sand. Sein Boden und die beiden Böschungen waren aus Stein, auch die Ränder daneben; daran erkannte ich, daß hier der Übergang war. »Von allem, was ich dir gezeigt habe, seit wir das Tor durchschritten, das zu durchqueren niemandem verwehrt wird, haben deine Augen nichts so Merkwürdiges gesehen wie diesen Bach, der über sich all die kleinen Flammen löscht.« Das waren die Worte meines Begleiters, weshalb ich ihn bat, mir die Speise zu geben, auf die er mir Appetit gemacht hatte. »Mitten im Meer liegt ein verwüstetes Land«, sagte er dann, »das Kreta heißt, unter dessen König die Welt einst unschuldig war.[109] Dort ist ein Berg, der damals überreich war an Wasser und Laub; er hieß Ida. Jetzt ist er verödet wie uraltes Zeug. Rhea wählte ihn einst als sichere Wiege für ihren kleinen Sohn, um ihn besser zu verstecken; wenn er weinte, ließ sie Geschrei machen.[110]
103 Innen im Berg steht aufrecht ein riesiger Greis; die Schultern wendet er gegen Damiette in Ägypten, sein Blick geht nach Rom wie in seinen Spiegel.[111] Sein Kopf ist aus feinem Gold gebildet, aus reinem Silber Arme und Brust. Dann, bis zur Gabelung, ist er aus Kupfer. Von da an nach unten besteht er aus reinstem Eisen, nur sein rechter Fuß ist aus gebranntem Ton, und er steht aufrecht mehr auf diesem als auf dem anderen. Durch jeden Teil, außer durchs Gold, geht ein Riß. Aus ihm fließen Tränen, ihr Lauf stürzt von Fels zu Fels in dieses Tal. Sie bilden Acheron, Styx und Phlegethon und fließen dann weiter hinunter durch diese schmale Rinne, und dort, wo es nicht weiter hinunter geht, bilden sie den Kokytos. Was das für ein Sumpf ist, wirst du sehen; deswegen rede ich hier nicht davon.« Darauf ich zu ihm: »Wenn dieses Rinnsal sich so aus unserer Welt ableitet, warum erscheint es dann erst hier an diesem unteren Saum?« Und er zu mir: »Du weißt: Dieser Ort hier ist rund. Du bist zwar schon weit gekommen, immer nach links abwärts steigend, aber du hast noch nicht den ganzen Kreis durchschritten. Wenn darum für uns etwas Neues auftaucht, brauchst du kein so verwundertes Gesicht zu machen.« Und ich weiter: »Meister, und wo sind Phlegethon und Lethe? Von Phlegethon sagst du, er entstehe aus diesem Tränenfluß, von dem anderen schweigst du.« »Mit allen deinen Fragen gefällst du mir sehr«, antwortete er, »aber der rote Fluß kocht, das löst die erste Frage, die du stellst.[112] Lethe wirst du sehen, aber nicht hier in dieser Grube, sondern dort, wo die Seelen hingehen, sich zu waschen, wenn die Schuld bereut ist und vergeben.« Dann sagte er: »Jetzt ist es Zeit, den Wald zu verlassen. Geh hinter mir her, an den Rändern kann man gehen, weil sie nicht brennen, und über ihnen erlischt jeder Rauch.«