Canto 7
Im vierten Kreis bewacht Pluto die Geizigen und die Verschwender. Ihr Streit regt die beiden Dichter an, über die Verteilung der Güter und das Wirken der Fortuna zu sprechen. – Sie erreichen den Sumpf Styx und den fünften Kreis mit den Zornigen und Träg-Verdrossenen, den Neidischen und Hochmütigen.
1 »Pape, Satan! pape Satan! aleppe! …«, schrie Pluto mit krächzender Stimme, und der weise Heide, der sich auf alles verstand, sagte, um mich zu stärken: »Laß die Angst nicht Herr über dich werden! Denn bei aller Macht, die er haben mag, er kann uns nicht hindern, diesen Fels hinabzusteigen.« Dann wandte er sich zu jenem aufgeblähten Maul und sagte: »Ruhe! Du verdammter Wolf! Friß dich selbst auf in deiner Wut! Es ist nicht ohne Grund, daß wir in die Tiefe gehen. Es wird oben gewollt, dort, wo Michael den stolzen Aufstand rächte!« Wie vom Wind geschwellte Segel zerknäult zusammenfallen, wenn der Mast splittert, so stürzte die grausame Bestie zu Boden.[53] Und wir stiegen hinab in den vierten Graben; wir drangen ein Stück vor in der Zisterne des Schreckens, die vollgestopft ist mit allem Übel der Welt. O weh, Gerechtigkeit Gottes! Wer anders könnte so viele überraschende Qualen und Strafen zusammenpacken, wie ich sie sah? Und warum zerstört unsere Schuld uns so?
22 Wie bei der Charybdis die Welle sich bricht an der anderen, die ihr entgegenprallt, so müssen die Menschen hier gegeneinander tanzen.[54] Hier sah ich mehr Volk als irgendwo sonst. Von beiden Seiten her wälzten sie unter lautem Geheul Lasten mit der Brust. Sie stießen aufeinander, jeder drehte auf der Stelle um, wälzte nun seine Last nach rückwärts und schrie: »Warum hältst du so fest?« Der andere: »Warum wirfst du weg?«[55] So liefen sie, einmal rechts herum, die anderen links im tiefschwarzen Kreis bis zur gegenüberliegenden Stelle und schrieen sich dort wieder ihr Schmählied zu. Wer dort eintraf, kehrte sofort um durch seinen Halbkreis zum nächsten Turnier.
36 Mein Herz war von alldem wie durchbohrt, und ich sagte: »Mein Meister, jetzt erkläre mir, was das für Leute sind. Und die da links von uns mit der Tonsur, waren das alles Kleriker?« Und er zu mir: »In ihrem ersten Leben haben sie alle geistig geschielt, daher fanden sie bei ihren Ausgaben kein Maß. Ihre Stimme bellt es klar heraus, wenn sie an die beiden Stellen des Kreises kommen, wo ihre entgegengesetzte Schuld sie in zwei Gruppen trennt. Die keinen Haardeckel auf dem Kopf haben, waren Kleriker, darunter Päpste und Kardinäle. Bei ihnen erreicht die Habgier den Gipfel.« Und ich: »Meister, unter denen, die dieses Übel beschmutzt hat, sollte ich wohl einige kennen.« Und er zu mir: »Du machst dir falsche Vorstellungen. Ihr Leben ohne Einsicht hat sie so entstellt, daß sie jetzt unkenntlich sind für jede Erkenntnis. Sie werden ewig an beiden Stellen aufeinanderprallen. Diese hier steigen mit geschlossener Faust aus dem Grab, die anderen da mit geschorenem Haar. Die einen haben schlecht gegeben und die andren schlecht behalten, das hat sie die schöne Welt gekostet und ihnen diese Rauferei eingebracht. Für die verschwende ich nicht auch noch schöne Worte.
61 Aber hier, mein Sohn, kannst du jetzt den kurzen Bluff der Güter sehen, die Fortuna unterstehen und um die das Menschengeschlecht sich rauft. Denn alles Gold, das unter dem Mond ist oder je war, könnte keiner einzigen dieser ermatteten Seelen Ruhe geben.«
67 »Mein Meister«, sagte ich, »jetzt sag’ mir auch noch: Diese Fortuna, die du mir eben erwähnt hast, wie kommt es, daß sie die Güter der Welt so in ihren Pranken hält?« Und er zu mir: »O ihr törichten Geschöpfe! Wie groß ist das Unwissen, das euch schadet! Jetzt will ich dich einmal mit meiner Ansicht darüber füttern.
73 Er, dessen Einsicht alles übersteigt, schuf die Himmelsschalen und gab jeder von ihnen einen Lenker. Daher strahlt jeder Weltteil Licht aus auf jeden anderen, und das Licht verteilt sich gleichmäßig. Ähnlich setzte er für alles, was in der Welt glänzt, eine oberste Verwalterin und Lenkerin ein, die eitlen Güter der Welt zur rechten Zeit auszutauschen von Volk zu Volk, von Familie zu Familie, über alle Abwehr menschlichen Denkens hinweg. Darum herrscht das eine Volk und ein anderes sinkt ab. Es folgt damit ihrem Urteil, das so verborgen ist wie die Schlange im Gras. Eure Weisheit setzt ihr nichts entgegen. Sie sieht vorher, sie urteilt, sie übt ihre Herrschaft aus wie die anderen Götter die ihre. Ihr ständiger Wechsel duldet keinen Frieden. Notwendigkeit zwingt sie zur Eile. Jeder Mensch erfährt dadurch ständig Veränderung. Deshalb wird sie so oft ans Kreuz geschlagen, sogar von denen, die sie loben sollten, die sie aber zu Unrecht tadeln und verleumden. Doch sie ist selig in sich und hört das alles nicht, sondern wie andere Erstgeschaffene dreht sie heiter ihre Sphäre und freut sich ihrer Seligkeit.[56] Doch laß uns nun hinuntergehen zu größeren Leiden. Schon sinken die Sterne, die aufgingen, als ich aufbrach. Zu lange bleiben verbietet sich.«
100 Wir schnitten den Kreis zum anderen Ufer und kamen zu einer Quelle, die sprudelt und überfließt in einem Graben, der von ihr ausgeht. Das Wasser war dunkler als tiefrot, und wir, begleitet von aschgrauen Wellen, drangen tiefer hinab auf grausigem Weg. Dieses traurige Rinnsal fließt beim Fuß der bösen, grauen Hänge in einen Sumpf namens Styx. Dort stand ich und schaute gespannt hin; ich sah Leute voller Schlamm in diesem Morast, alle nackt und mit gequältem Ausdruck. Sie schlugen aufeinander ein, nicht nur mit den Händen, sondern mit Kopf, Brust und Füßen; sie zerrissen sich mit den Zähnen, Fetzen für Fetzen. Mein guter Meister erklärte: »Sohn, hier siehst du die Seelen, die der Zorn besiegte.
117 Ich will aber, daß du weißt, daß auch unter dem Wasser Leute sind, die stöhnen und Blasen nach oben treiben, wie das Auge dir sagt, wohin du blickst. Sie stecken fest im Schlamm und sagen: ›Wir waren traurig-resigniert in der schönen Luft, die die Sonne erheitert, innen trugen wir den Rauch der Trägheit, jetzt ersticken wir vor Trauer in dem schwarzen Kot.‹ Diese Hymne gurgeln sie in der Kehle, denn mit klaren Worten ausdrücken können sie es nicht.«[57]
127 So kreisten wir im großen Bogen um den schmutzigen Sumpf, zwischen dem trockenen Ufer und dem feuchten Dreck. Wir richteten die Augen auf die Leute, die den Schlamm schluckten. Zuletzt kamen wir an den Fuß eines Turms.