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Das Haus ist tot, leer und voller Erinnerungen an Malvina. »Du hast nie deine Vagabundenjahre gehabt, Johannes!« Sie hatte recht. Er hatte nie seine Reise nach Utopia gemacht. Ein Leben lang keine sorglosen Tage. Ein selbstbewußter junger Mann, der sich wichtig nahm und es mit seiner Karriere eilig hatte. Mit einer mystischen Überzeugung glaubte er an seine Bestimmung zu großen Taten.
»Genießen ist ein Wort, das für dich nie existierte.«
Sie hatte recht. Nie ließ er sich gehen. Wenn er sich betrank, dann mit einem schlechten Gewissen und darauf bedacht, seine Würde nicht zu verlieren. Das Spontane hatte er immer gemieden. Was er auch tat, war durchdacht, überlegt, kultiviert und unterkühlt – ein ernster junger Mann, der die Ausbrüche der Leidenschaft fürchtete.
»Warum die Trennung?«
»Weil du dabei bist, alle Liebe in dir zu zerstören. Du denkst keinen Augenblick an mich und daran, was ich durchmachen mußte. Dir ist nichts heilig. Nichts, außer dir selbst.«
»Um einen Augenblick frivol zu sein.«
»Das warst du nie. Du hast immer so getan, als ob. Du hast dir und den anderen vieles vorgemacht, mir auch. Im Grunde warst du nie echt.«
Am Sonntag kam Erwin zu Besuch.
Zu ihrem Erstaunen merkte Lisa, daß sie sich freute, ihn wiederzusehen.
»Morgen werde ich entlassen«, sagte sie und ignorierte den Blick ihrer Bettnachbarin.
»Ich bin mächtig froh.« Erwin grinste und seine Erleichterung war ihm anzusehen.
»Und … deine Bekannte?« Lisa brachte es nicht über sich, ›Freundin‹ zu sagen.
»Es ist Schluß mit ihr.«
»Aber du hast nicht gewußt, daß ich es weiß?«
»Nein«, log er. Lisas Schwester hatte es ihm erzählt.
Es gab noch etwas Wichtigeres, was sie beunruhigte: »Das Kind …«
»Es ist von ihrem Mann. Sie ist geschieden.« Mit einem Schulbubengesicht bat er sie um Verzeihung.
Dann, unfähig, die große Neuigkeit zurückzuhalten, erzählte er vom Geschäft. Er sollte befördert werden.
Als er ging, küßte sie ihn auf die Wange. »Alsdann.«