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Nach Mitternacht fing Professor Johannes Bertram über die Köpfe seiner Gäste hinweg einen Blick seiner Frau auf. ›Du bist zerstreut‹, besagte ihr Blick, ›du bist abwesend. Du kümmerst dich wenig um die Gäste, es ist dir gleichgültig, ob sie sich gut unterhalten oder was zu trinken brauchen.‹ Zum Beispiel der lange rothaarige Oberstaatsanwalt – wie hieß er gleich? – oder der Polizeipräsident, der die Drinks wie nichts hinuntergießt und jetzt auf einer Rokokocouch die Frau des – wessen Frau ist sie eigentlich? – mit Zweideutigkeiten zu verwirren sucht.

›Es ist deine Feier‹, erinnerten Malvinas Augen, ›es sind deine Gäste.‹

›Was das betrifft‹, dachte Bertram versöhnlich, als er dem Oberstaatsanwalt Whisky eingoß, ›stimmt es nur bedingt.‹ Er überhörte einen Witz des Polizeipräsidenten und registrierte unbewußt seine Art zu trinken: kleine Vogelschlucke, wobei er geziert den kleinen Finger spreizte. Da er keine Hausangestellte sah, um einen Drink für die junge Frau neben dem Polizeipräsidenten zu bestellen, machte sich Bertram auf die Suche nach seiner Frau.

Sie stand im Wintergarten vor einer Zucht blasser, zottiger Gladiolen und unterhielt sich angeregt mit dem Kultusminister Schmidt. Wegen seiner majestätischen Erscheinung besaß Schmidt den Ruf, überheblich zu sein, was er selbst, wie Bertram wußte, insgeheim als schmeichelhaft empfand. An der Glastüre zum Wintergarten blieb Bertram einen Augenblick unschlüssig stehen. Ihm fiel auf, daß sie allein im Wintergarten waren. Die anderen Gäste hielten sich in den drei großen ineinandergehenden Wohnräumen auf, einige hatten sich ins Herrenzimmer zurückgezogen. Die meisten plauderten vorm Kamin.

Wozu diese Zurückgezogenheit? Es war die Vertraulichkeit zweier Menschen, die oft miteinander sprechen, die Bertram auffiel. Wie jedesmal, machte Schmidt allzu offensichtlich Malvina den Hof.

Man sollte solche Dinge nicht gleich überbewerten, aber warum zum Teufel läßt er sie nicht in Ruhe. Das ewige Getue dieser Geselligkeiten (für manchen gehört die Jagd auf das Weib ihrer Nächsten zum guten Ton) vertrug sich anscheinend mit der Wahrung gesellschaftlicher Formen ganz ausgezeichnet. Jeder haßte jeden und versuchte, auf seine Kosten zu kommen. Da war die Lüge, sie hätten sich köstlich amüsiert, zum Teil ernst gemeint, weil sie von Menschen mit trockenem Verstand und welker Phantasie ausgesprochen wurde.

Dies hier war eine auserlesene Gesellschaft, zum Teil große, klingende Namen, die die Zeitungsspalten füllten, Politiker und Industrielle, ein paar ganz alte Freunde dazu, lauter nette Menschen mit kultivierten Stimmen, guten Manieren und oft als selbstverständlich vorauszusetzender Liebenswürdigkeit. Bertrams, besser gesagt Malvinas Umgang hatte sich im Laufe eines Jahrzehnts als Patentrezept erwiesen. Einigen jungen Frauen, die an diesem Abend eingeladen worden waren, hatte Malvina ebenso eine Rolle zugedacht. Alle stammten sie aus alteingesessenen Familien, manche gehörten zum Landadel. Reich oder inzwischen verarmt, blieben sie gute Partien, die eines Tages durch eine Heirat ihre jetzige Bedeutungslosigkeit wettmachen würden.

Malvinas Instinkt war untrüglich, ihre Investitionen zahlten sich langfristig aus. Seine Meinung über diese Töchter guter Familien behielt Bertram wohlweislich für sich. ›Jeder kann sich in die Rolle des Don Juan hineindenken, auch Herr Schmidt‹, sagte sich Bertram verstimmt, als er im Wintergarten auf die beiden zuging. ›Ich werde doch nicht auf Malvina eifersüchtig?‹

Der Chefarzt
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