7

Das letzte Jahr war schön und endete traurig. Ein paar Wochen, bevor das Unglück geschah, fragte Karen: »War es ein schönes Jahr, Hannes?« Er spürte die verhaltene Zärtlichkeit in ihren Augen.

Ein schönes Jahr? Das schönste seines Lebens! Himmel, das merkte man erst hinterher.

Karen veränderte sich zusehends, eine leidenschaftliche Frau in der Reifezeit ihrer Gefühle. Sie blühte auf. Sie drehte ihm ein abwesendes Gesicht zu, mit dem verstörten Ausdruck eines Menschen, der in sich hineinlauscht. Sie kam ihm mit schnellen Schritten – schön und langbeinig – entgegen. In stiller Dankbarkeit vergrub er sein Gesicht in ihrem langen, hell leuchtenden Haar.

Zu Ostern fuhren sie nach Holland. Da gab es noch die Geschichte mit dem braunen Pappkoffer. Neben Karens Reisegepäck wirkte er schäbig. Der Koffer war sein einziger und die Auslandsreise seine erste.

Wie war das noch, wenn man verliebt ist? Es lag so weit zurück, es kam ihm vor, als ob es in einem früheren Leben gewesen wäre.

Warum sprach niemand darüber, daß der Erfolg die Liebe tötet?

Es gab ein Gespräch in allen Variationen:

»Liebst du mich?«

»Du weißt es doch.«

»Warum sagst du es mir dann nicht?«

»Mmmm …«

»Hast du es je einer Frau gesagt?«

»Gesagt, was?«

»Daß du sie liebst.«

»Irgendeiner Frau?«

»Du bist unmöglich.«

»Es klingt so gestelzt. Ich habe Angst vor hochtrabenden Worten.«

»Du bist feige!«

Er schwieg, mit seiner Zigarette beschäftigt.

»Weißt du, was es für eine Frau bedeutet?« Sie hatte versucht, es ihm zu erklären, und verfing sich in Widersprüchen.

Warum brachte er in Gegenwart einer Frau diese drei Worte nie über die Lippen? Weil er sie abgedroschen fand, oder war es der merkwürdige Stolz eines Mannes, der fürchtete, allzuviel von sich preiszugeben? Er verdrängte diesen Gedanken.

In Rotterdam war kein Zimmer aufzutreiben. Es schien, als ob Holland unter einer zweiten deutschen Invasion zusammenbrechen würde. Er stand Schlange in einem Büro mit Zimmernachweis, Karen wartete auf ihn. Von Zeit zu Zeit drehte er sich um und streifte sie mit Blicken, die sie nicht zu bemerken schien. Aus einem ihm nicht klaren Grund versuchte er, sie mit den Augen eines anderen zu sehen. Sie stand ruhig inmitten des Menschengewühls und hielt ihren Kopf gerade – eine in ihrem gestreiften Tweedkostüm gepflegte und teuer angezogene Frau. Das Mädchen aus gutem Hause hatte sich in eine Dame verwandelt. Wieder wurmte ihn der Gedanke, sie gehöre einer fremden Welt an. Er hörte, wie das Mädchen am Schalter ihm mit einstudiertem Bedauern mitteilte, es gebe kein Zimmer in ganz Rotterdam, es sei denn in … Hier zögerte sie mit einem Blick auf seinen Anzug. Er verstand sie gleich, obwohl er nie von diesem Hotel gehört hatte. Es mußte sich um eine Nobelabsteige handeln, wo Menschen seines Schlages nicht hingehörten.

Er schaute zu Karen – zur schönen, gepflegten Karen – und nickte dem Mädchen am Schalter zu. Die Angst, Karen zu verlieren, war von diesem Tag an nie mehr ganz von ihm gewichen.

Das Hotel war ein Altbau und wirkte sehr vornehm. An der Rezeption (er hatte befürchtet, man würde nach ihren Pässen verlangen) scherte sich keiner darum, ob sie verheiratet waren. Das Hotelzimmer war stilvoll, und die Badewanne riesengroß. Er reckte sich wollüstig in ihr, während Karen ihre Sachen auspackte, und dachte, daß so ein Hotel seine Vorteile hätte.

Sie dinierten im hoteleigenen Restaurant, das nicht weniger vornehm wirkte. Karen in ihrem dunklen Abendkleid mit tiefem Ausschnitt und schulterlangem Haar zog alle Blicke auf sich. Sie merkte es und lächelte ihm zu, und er verspürte einen Schmerz in seiner Brust.

Der Abend verlief zunächst steif. Zwei Kellner, die ständig hinter ihm standen, irritierten ihn, und erst als der Franzose am Nebentisch wegen einer fehlenden Käsesorte Krach schlug, warf Bertram den Kopf nach hinten und lachte herzhaft. Dann bestellte er noch eine Flasche teuren Wein und schickte die Kellner weg. Seine Stimme duldete keinen Widerspruch.

An diesem Abend hatte Bertram seine Lektion schnell gelernt.

Im Flugzeug nach Rom waren die vorderen Plätze mit Schildern gespickt: besetzt, occupé occupied, ocupado. Jemand sagte laut: »Herr von Knigge küßte den Mörder.« Er sah das Lächeln in Karens Gesicht.

So verging der Sommer. Dann war es wieder Herbst. Er sollte der letzte in Karens Leben sein.

Der Chefarzt
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