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Nach diesem Abend vergingen zwei Monate. Karen war immer wieder gekommen. Zum Schluß allabendlich zur gleichen Stunde, und wenn sie sich verspätete, wurden beide unruhig und schauten verstohlen auf die Uhr.

Zunächst langsam, dann immer mehr, trat eine tiefgreifende Veränderung in ihrem Leben ein; sogar das kleine Kellerloch, großspurig als Labor bezeichnet, unterlag einer Wandlung. Der Mäusedreck wurde weggeräumt, man sah Blumenvasen, meistens mit Veilchen. Der Raum wirkte heller und einladender; fortan wurde regelmäßig gelüftet. Diese Veränderung, durch Frauenhände bewerkstelligt, hörte hier nicht auf. Ihre Verpflegung besserte sich, es gab regelmäßig Zigaretten.

Karen war nicht nur eine unaufdringliche Zuhörerin, sie besaß den Sinn für das Praktische, der vielen Frauen eigen ist. Es passierte, daß sie mit verblüffender Einfachheit zur Lösung eines Problems beitrug, das sie selbst kompliziert hatten. Aus diesem Grunde war sie auch Krankenschwester geworden. Sie war eine der wenigen Frauen, die ihren Beruf nicht nur als Sicherheit betrachteten, sie fand darin Erfüllung. Der Reichtum ihrer Mutter ließ sie unberührt.

Karen verkörperte (im Gegensatz zu Malvina) nicht den Typ der intellektuellen Frau, es lag ihr wenig daran, diese Rolle zu spielen.

Sie gewöhnten sich an ihre Anwesenheit, und wenn sie, woanders eingeladen, an einem Abend nicht kam, wurden sie reizbar, stritten wegen Belanglosigkeiten.

Sie hatten sich nicht viel aus Frauen gemacht, sagte sich Bertram, als er nach seinem Besuch bei Herrn Girstenbrey und einer langen Fahrt durch die Stadt in seinem Zimmer in der Klinik angelangt war. Bis Karen in ihrem Leben erschien. War er nicht stets darum bemüht, vom ersten Augenblick an Eindruck bei ihr zu schinden? Er hatte alle seine Vorteile Stephan gegenüber bewußt und unfair ausgespielt, um sie auf seine Seite zu ziehen.

An einem Sonntag fuhren Karen und er zu ihr nach Hause. Sie waren das erste Mal allein, ohne Stephan. Er versuchte, mit einem Lächeln sein Unbehagen zu verbergen, und redete viel.

»Es verstößt gegen die Spielregeln. Einem wissenschaftlichen Assistenten steht es nicht an, eine Gräfin kennenzulernen. Ein Assistent der Universität muß ein glanzloses Leben führen zwischen häßlichen Schwestern und Klistieren. Soll ich Hoheit zu ihr sagen?«

»Du bist albern.« Karen war still und in sich gekehrt. Sie fuhren mit ihrem schwarzen VW, er im Beifahrersitz. Sein Anzug spannte an den Schultern, und die Ärmel waren ihm zu kurz; es war sein schwarzer Abiturientenanzug. Karen hatte ihm die Einladung ihrer Mutter überbracht, er wehrte sich zunächst dagegen, unsicher, wie man sich in einem solchen Haus verhalten sollte – und wegen Stephan, dem er nichts davon erzählte.

Sie fuhren eine Weile. Es war ein vornehmes Viertel, reicher Leute Gegend, die er nicht kannte.

Alles, was er wußte, war, daß Karen in einem großen Haus wohnte.

Es war in der Tat ein herrschaftliches Barockhaus. Das Tor stand weit offen, und Karen bog scharf in eine breite Allee – sie befanden sich in einem Park. Sie fuhren zwischen breiten Rasenflächen mit altem Baumbestand, bevor das Auto, in eine Staubwolke eingehüllt, stehenblieb. Zum breiten Eingang führten drei Marmorstufen empor.

Bertram sah auf die Türe mit alten Messingverzierungen. »Nicht doch hier«, murmelte er und sein Unbehagen wuchs. »Es ist viel schlimmer, als ich es mir vorgestellt habe.«

»Feigling«, lachte Karen, ihr Gesicht strahlte wieder. Sie sprang aus dem Auto, lief zum Eingang hin, drehte sich um und sagte zärtlich: »Willkommen zu Hause, Hannes Bertram!«

Der Chefarzt
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