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Dieses Haus war ganz anders, als er es sich vorgestellt hatte, trotz seiner Größe, trotz Barockmöbeln und Hausangestellten (ein Ehepaar, schon ältere Leute, der Gärtner und Nanja, Karens Amme). Gräfin Kerckhoff war das Gegenteil einer saft- und kraftlosen Adeligen. Ihre laute, heisere Stimme hörte man in jeder Ecke des Hauses mühelos. Sie tat ihre Meinung kund, unbekümmert, und wirkte robust und unverwüstlich, obwohl sie eher von zierlicher Statur war. Sie rauchte ununterbrochen mit einer Zigarettenspitze.
»Das ist also dein junger Mann …« Die Gräfin schaute ihn prüfend an, während er an seinen zu kurzen Ärmeln verlegen zog. »Er sieht aus wie einer, der eine Menge von Nanjas Streuselkuchen vertragen könnte!« Sie befahl: »Sie setzen sich gleich neben mich, junger Mann!« Vorsichtig ließ sich Bertram auf eine zarte Couch des Spätrokoko mit verspielt geschwungenen Beinen nieder.
»Der junge Mann bekommt zunächst ein paar Butterbrote, Nanja. Ich frage mich, warum du immer noch herumstehst und ihn anstarrst.« Sie zündete sich wieder eine Zigarette an und stellte anklagend fest: »Er ist zu dünn.«
Was auch immer Karens Begrüßung an der Haustüre bedeutete, er hatte sich vom ersten Augenblick an in diesem Hause heimisch gefühlt. Sie waren prächtig miteinander ausgekommen, Elisabeth Kerckhoff und er. Noch bevor er merkte, was ihm geschah, war er ihrem robusten Charme erlegen; er ertappte sich, wie er ihr Erlebnisse aus seiner Kindheit erzählte. Er hörte ihr lautes Lachen, sah flüchtig Karens Blick.
Der Nachmittag war schnell verflogen, er blieb zum Abendessen und aß, von drei Frauen umsorgt, zu viel. Die blasse, zerbrechliche Frau, die so mütterlich wirkte, ließ ihn nicht aus den Augen, bis die Gräfin brummte: »Du findest den Jungen nett, Nanja … Wie ich sehe, gefällt er dir.« Daraufhin war sie rot geworden.
Nanja war die gute Hausseele. Über Karens Tod kam sie nie hinweg.
Durch ein lautes Klopfen an seiner Türe wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Er sah mit noch abwesenden Augen, wie eine Krankenschwester an der Türschwelle zögerte. Barsch fragte er: »Was wollen Sie?«
Die Schwester errötete. »Ihre Frau läßt ausrichten, sie wartet auf Sie, Herr Professor. Es ist wegen der Einladung heute abend …«
»Einladung?« wiederholte Bertram, und erst jetzt wurde ihm bewußt, daß sein Telefon schon eine ganze Weile läutete.