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Bertram schien es, als würde es Malvina Auerbach unerträglich sein, spräche man darüber.
»Sie sollten mich nicht so anstarren«, sagte sie aufgebracht. »Verdammt, ich bin immer noch dieselbe.«
»In der Tat.« Bertram versuchte mit einem Lächeln seine Überraschung zu verbergen. Mit Mühe löste er seinen Blick von ihr. Die zuvor langen Haare der Kollegin Auerbach wiesen an diesem Morgen eine Länge von knapp zwei Zentimetern auf, am Hinterkopf standen sie aufrecht. (Er war kein Kinogänger und hatte noch nie diese Art Frisur bei einer Frau gesehen.)
»Alle haben mich angestarrt.« Ihre Stimme war aggressiv. »Kollege Sautié hat gleich die Visite unterbrochen, die Schwestern haben gekichert …« Sie streifte sich den weißen Kittel über, während er vergeblich nach einer Zigarette suchte.
»In der mittleren Schublade sind welche«, sagte sie. »Alle glauben, ich wäre übergeschnappt. Sie auch!«
Was war mit der kleinen Auerbach los, war sie über ihren eigenen Mut erschrocken? Dabei stand ihr diese verrückte Frisur nicht schlecht. »Keine heftigen Äußerungen über die Moral der anderen«, scherzte er, »sie können niemand mit Phantasie beflügeln. Den Kollegen Sautié jedenfalls nicht.« Er lächelte sie an und log: »Ich finde die Frisur gut.« Ihr Gesicht hatte dadurch gewonnen. Erst jetzt sah man, wie fein ihr Kopf geschnitten war, die Backenknochen kamen besser zur Geltung. Ihrem Lächeln entnahm er, wie schwer ihr die Geschichte fiel. Der Gedanke, daß sie eitel sein könnte, war ihm neu.
Ihre gemeinsame Arbeit hatte sich immer besser entwickelt. Sie war kollegial und nahm ihm eine ganze Menge lästiger Arbeiten auf der Station bereitwillig ab. Sie gab sich abweisend und er hatte eine Zeit gebraucht, um herauszufinden, daß sie im Grunde schüchtern war. Ihre joviale Art täuschte, wie auch ihr zierliches Aussehen trügerisch war. Sensibel und kompliziert, ließ sie niemand an sich heran. Sie war zäh und ausdauernd.
»Ziehen Sie sich nicht gleich zurück, um Ihre Wunden zu lecken. Ich verstehe Ihre Aufregung nicht.«
»Ich mag nicht, wenn man mich lächerlich findet.« Sie lächelte ihn ein wenig nebelhaft an, anscheinend war bei ihr die Spannung vorüber. »Wir laufen Gefahr, langweilig zu werden, wir alle hier. Oder kleinkariert …«
»Wer tut das?«
»Sie.«
»Ich kann Sie nicht lächerlich finden, dafür kenne ich Sie zu lange. Höchstens Ihre Frisur. Sie gefällt mir immer besser. Was sagt Ihr Freund dazu?«
Sie schwieg.
»Ich verstehe, ich werde indiskret. Gestatten Sie nur eine letzte Frage: Sie werden doch nicht bald heiraten?«
»Meine Privatangelegenheiten pflege ich im allgemeinen nicht im Krankenhaus zu erörtern«, sagte sie trocken.
Karen war anders. Sie gehörte zu den Frauen, die man unter hundert anderen gleich sieht. Malvina mußte man erst entdecken. Sie sah gut aus, wie viele hübsche Frauen. Das war das Geheimnis ihres späteren Erfolges. Die meisten Männer schrecken vor der echten Schönheit zurück, sie bewundern sie aus der Ferne. Um diese Zeit veränderte sich vor Bertrams verwunderten Augen Malvinas Aussehen. Aus der farblosen jungen Ärztin wurde zusehends eine gutaussehende Frau. Ihr Charme wirkte unaufdringlich, man wurde sich dessen erst bewußt bei dem Versuch, sich seiner Wirkung zu entziehen.
Auf die Männer wirkte Karen etwas erdrückend, Malvina dagegen wie eine Versprechung.