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»Nennen Sie mich nicht Herr Professor«, sagte Bertram mit einem Lächeln. »Mein Name ist Bertram. Sie sind Kollege Rott?«
Er sah, wie der junge Assistenzarzt verlegen wurde und mußte an seine eigene Jugend denken.
Bertram weigerte sich, das ungeschriebene Gebot der Universitätshierarchie zu befolgen, nach dem er von seinen Untergebenen tituliert wurde, selbst jedoch ihren Titel auslassen durfte. Damit zog er sich das Mißfallen der anderen Oberärzte zu – auch hier hatte man, wie in seiner früheren Klinik, wenig Verständnis für Mißachtung dieser Tradition. Dabei konnte Bertram keine Jovialität nachgesagt werden. Zwischen seinen Mitarbeitern und ihm bestand eine Distanz, die durch seine Position und fachliche Überlegenheit erzeugt wurde. Die achtunddreißig Ärzte der Klinik waren, mit wenigen Ausnahmen, verheiratet, hatten meist mehrere Kinder.
Das Verhältnis Bertrams zum Klinikchef blieb sachlich kühl. Die Fähigkeit, mit seinem Vorgesetzten gut auszukommen, besaß er nicht.
Bei seinen Bemühungen, die Krebsambulanz weiter auszubauen, war Bertram auf eine Station mit ausschließlich krebskranken Frauen gestoßen, die zur Frauenklinik gehörte, aber außerhalb des Gebäudes in einem baufälligen Vorkriegshaus untergebracht war. Es war unter der Bezeichnung ›die Baracke‹ zum Inbegriff der Hölle auf Erden geworden.
Diese Krebsstation hatte fünfundsechzig Betten, das Krankengut bestand aus Frauen, die früher an Krebs der weiblichen Organe behandelt und kurze Zeit später bereits mit Komplikationen wieder aufgenommen worden waren. Sie befanden sich in jenem Stadium, wo die Behandlung keine praktische Bedeutung mehr hatte, nur noch von akademischem Interesse war.
Bertram erlebte die unzähligen, oft sinnlosen Operationen an diesen Frauen, er sah die Spätfolgen der Radiumeinlagen und Röntgenbestrahlungen, die verbrannten Gedärme, die blutenden Harnblasen. Er sah das Elend der Frauen. Die Stationsärzte wurden in einem festgelegten Rhythmus alle sechs Monate abgelöst; Bertram erlebte junge Ärzte, die in dieser Zeit ergrauten.
In seiner konsiliarischen Tätigkeit in der Baracke bemühte sich Bertram, die letzten Tage dieser armen Geschöpfe zu erleichtern. Nach anfänglichen Widerständen gelang es ihm, die Abschaffung des Bestrahlens von Lebermetastasen durchzusetzen, eine Methode, die zu dieser Zeit hier systematisch ausprobiert wurde. Man versuchte, begrenzte Leberfelder mit niedrigen Strahlendosen auszustrahlen, was, wie Bertram nur zu gut wußte, von der Leber nicht toleriert wurde. Gleichzeitig zerfiel auch das funktionstüchtige Lebergewebe. Kurz nach Beginn der Bestrahlung starben die Frauen.