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Professor Auerbachs Zustand besserte sich zusehends, und Bertram, der schon sechs Wochen bei ihm verbrachte, ließ sich auf Malvinas Drängen noch für drei weitere Wochen beurlauben. Inzwischen hatten sie endgültig beschlossen zu heiraten. Sie trafen die Vorbereitungen mit einer Hektik, als fürchteten sie, wieder daran gehindert zu werden.

Zu dieser Zeit – wie auch später, nach ihrer Heirat – erlebte Bertram eine neue Malvina. Sie zeigte sich ihm von einer völlig unbekannten Seite. Verblüfft fragte er sich, wie es möglich wäre, daß sich ein Erwachsener so vollkommen veränderte. Malvina war ein geradliniger Mensch und nicht imstande, sich zu verstellen. Sie befand sich in einer neuen Phase ihrer Entwicklung.

In seiner Erinnerung sah er sie als farblose Assistenzärztin, scheu und unansehnlich. Zunächst langsam und zögernd, dann schneller, hatte das Weibliche in ihr die Oberhand gewonnen. Er erinnerte sich sehr genau an ihren ersten zaghaften Versuch, ihr Äußeres zu verändern, später verstand sie wie keine andere, dieses Äußere zu stilisieren. Malvina hatte aus sich einen Frauentyp gemacht, den die anderen nachahmten. Der Gedanke an ihren ersten Haarschnitt, der damals in der Klinik Furore machte, belustigte ihn. Später bewies sie ihren Mut, indem sie so lebte, wie sie es für richtig hielt, ohne sich um jemanden zu kümmern, bis sie auf die Nase fiel. Doch sie richtete sich, typisch für sie, immer wieder auf.

Jetzt erlebte Bertram eine Malvina, die mit beneidenswerter Energie und zäher Ausdauer die Voraussetzungen für ihr zukünftiges Leben schuf. Sie nahm ihm, sehr zu seiner Erleichterung, die lästigen Alltagsentscheidungen ab. Da er in praktischen Dingen hilflos und unerfahren war, überließ er ihr immer mehr; sie übernahm die Sorge um seine Karriere. Später gestand er sich, daß er ohne sie nur einen Bruchteil erreicht hätte.

Professor Auerbachs Einfluß hatte durch seine Erkrankung gelitten, seine Autorität war im Schwinden, alle wußten, daß seine Tage als Klinikchef gezählt waren. Dennoch erreichte Malvina, daß Bertram an die Klinik zurückkam, und wenn er auch keine Zusage über Auerbachs Nachfolge erhielt, so wurde er doch Holländer gleichgestellt. Zu diesem Zeitpunkt war es ein unglaublicher Erfolg. Er fragte sich, wie sie das bewerkstelligt hatte.

Sie überredete ihn, mit ihrer Mitgift ein großes Haus zu bauen (ihr gehörte ein teures Grundstück im Diplomatenviertel). Sie überzeugte ihn, daß er, um vorwärtszukommen, die Gesellschaft brauchte. Malvina beauftragte einen jungen Architekten, der zu ihrem Freundeskreis gehörte und sich einen Namen gemacht hatte, die Pläne für das Haus zu entwerfen. Mit dem Bau sollte erst später begonnen werden, im zweiten Jahr ihres gemeinsamen Lebens. Eines Tages wurden sie zu einer Hochzeit eingeladen. Es heiratete die Tochter von Lothar Hessel, das Mädchen, das an der Wilsonschen Erkrankung litt. Sie hatte inzwischen ihr Universitätsstudium wieder aufgenommen und sah so gesund aus wie jede andere. Seine Behandlung, die er weiter fortsetzte, war sehr erfolgreich. Nach einem Gespräch mit ihr und ihrem Bräutigam hatte er nichts gegen die Heirat einzuwenden.

Zu dieser Hochzeit, bei der er unbestritten Ehrengast war, nahm er Malvina mit und machte sie mit Lothar Hessel bekannt. Anscheinend fanden beide Gefallen aneinander, er sah sie bald in ein langes Gespräch vertieft.

Im Laufe dieses Abends schob ihm Lothar Hessel einen Zettel in die Brusttasche seines dunklen Anzugs und sagte: »In den nächsten Tagen werden sich zwei Herren bei dir melden. Ich habe dir ihre Namen aufgeschrieben.«

Seit einem Jahr duzten sie sich, und er zeigte seine gute Laune, indem er ihm zuzwinkerte.

»Diese Herren sind meine politischen Freunde, sie werden sich um dein Vorwärtskommen bemühen …«

Mit einem Blick auf Malvina sagte Hessel: »Sie ist die richtige Frau für dich!«

Der Chefarzt
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