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In seinem unruhigen Schlaf meinte Josef Glücklich, Handschellen zu fühlen. Sein ausgestreckter Arm berührte die Glasplatte des Nachtkastens.
›Dieser Mann in meinem Bett ist ein Fremder‹, sagte sich Rosemarie, während sie mit leisen Schritten umherging und ihre Schwesterntracht anzog. Sie hatte Tagschicht, von sieben bis drei.
Die Bettücher waren zerwühlt, ein blasser Sonnenstrahl kam mit Glücklichs unrasiertem Gesicht in Berührung. Für einen kurzen Augenblick glaubte sie, ein Augenzwinkern zu bemerken, das die List dieses Gesichts verriet. Sie betrachtete ihn mit einem langen, mißtrauischen Blick. Er schlief. Eine Zeitlang glaubte sie, sie liebe ihn. Inzwischen hatte sie ihn fürchten gelernt. Der Mann hier hatte ihr zu viel versprochen. Seine Versprechungen waren, wie seine Liebe, eine Lüge.
Diese Feststellung, vor dem Hintergrund ihres neuen Reichtums ohne Bedauern getroffen, verstärkte ihre Ungeduld, ihn loszuwerden. Gleich ermahnte sie sich zur Vorsicht und, wie oft, verglich sie ihn verängstigt mit einer Schlange.
Es gibt kein unterschiedliches Moralgesetz für hübsche und häßliche Frauen. Von ihrem Äußeren war Rosemarie angetan. Sie fand ihre Haare prachtvoll, die Nase schön und ihre Figur nicht übel. Glücklich gegenüber hatte sie nicht mehr und nicht weniger getan als jede andere, die seinen Versprechungen glaubte. Die meisten Worte im Dunkeln lassen sich abstreiten, nicht so die Leidenschaft. Wenn er aus Leidenschaft gelogen hätte, hätte sie es ihm verziehen. Jetzt war sie unerbittlich.
Wenn sie nur den Kerl los wäre. Worauf wartete er noch? Sie rückte ihren Straps zurecht und sah in plötzlichem Haß sein ahnungsloses Gesicht: ›Ich könnte ihn anzeigen, natürlich anonym. Denn umsonst hockt er nicht die ganze Zeit im Zimmer, er fürchtet die Polizei.‹ Mit Haarnadeln befestigte Rosemarie vorm Spiegel ihre Haube und ging.
Da öffnete Glücklich ein Auge und grinste zur Türe. Einen Augenblick lang war er wieder der Junge, der auf der Straße Blindekuh spielte.