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Jetzt erinnerte sich Bertram an diesen Mann, der den Brief geschrieben hatte, an seine feuchten Rehaugen mit dem leidenschaftlichen Blick, der seine ganze traurige Erscheinung wettmachte. Damals lernte er ihn flüchtig als Violets Mann kennen. Jetzt erst erfuhr er, daß Violet nicht mehr lebte. Daß sie hier in der Klinik gestorben war, neun Monate nach Karens Tod, traf ihn auf besondere Weise. Warum hatte Elisabeth nie etwas davon erwähnt? Diesen Brief, warum hatte sie ihn dreizehn Jahre lang aufbewahrt? Immer wieder las er den Namen: Girstenbrey. Ein seltsamer Name.
Auf seinen Notizblock schrieb er: Violet Girstenbrey. Dann klingelte er nach seiner Sekretärin, um sich Violets Krankengeschichte aus dem Archiv bringen zu lassen.
Er versuchte sich zu erinnern, was er damals getan hatte. Bald nach Karens Tod verbrachte er einige Monate in Amerika, war aber für eine kurze Zeit zurückgekehrt, bevor er sich zu einem langen Studienaufenthalt dort entschloß. Es stimmte also, was Herr Girstenbrey in seinem Brief schrieb; er war zu dieser Zeit in der Klinik. Wenn er genauer nachdachte, war es Malvina, die ihn dazu bewog, die Amerikareise vorzeitig anzutreten. Damals arbeitete Malvina als wissenschaftliche Assistentin bei ihm in der Klinik. Sie hatte immer mehr die Initiative in seinen Privatangelegenheiten ergriffen.
Bertram klingelte erneut nach seiner Sekretärin, dann schaute er auf die Uhr. Es war noch zu früh. Durch den Nebel flutete weißliches Licht ins Zimmer, das rötliche Holz seines Schreibtisches erschien dadurch noch dunkler. Er stand auf, um das Fenster zu schließen, und hörte unten einen Unfallwagen vorbeifahren. Der graue Kies der Allee sah kreideweiß aus. Tauben machten in der Nähe kehrt – es klang wie ein Peitschenschlag. Der Krankenhauspark wirkte still und melancholisch.
Im Zimmer war es frisch, er fror. Er schenkte sich einen Kognak ein und dachte, daß es keinen Sinn hätte, zurück nach Hause zu fahren. Der Tag war angebrochen.
Als er unter der Dusche stand, fiel ihm ein, daß sein Wagen noch immer vor dem Eingang stand. Dann dachte er an Elisabeths Schmuck. Er glaubte nicht an einen Diebstahl, die Schwestern sollten zunächst überall nachschauen, bevor man die Polizei verständigte. Man müßte behutsam vorgehen, um die Presse nicht zu alarmieren. Unzusammenhängend dachte Bertram an Malvina, er wollte sie nach der Visite auf der allgemeinen Station anrufen und ihr von Elisabeth berichten. Dann hatte er noch eine Vorlesung zu halten, bevor es mit der Sprechstunde weiterging. Seine Sekretärin müßte sich um das Begräbnis kümmern.