Wechsel der Jahreszeiten
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Aus dem Städtchen seiner Flucht schrieb Bertram an Elisabeth Kerckhoff:
»Meine Arbeit geht gut voran. Hier liegen die Kliniken und Institute überall verstreut. Das Bild der Stadt wird von Studenten geprägt.
In der Klinik, wo ich tätig bin, gibt es den Klinikchef und vier Oberärzte. Es gibt drei verfeindete Lager, die einen regen Krieg führen. Es ist ein unterschwelliger Kampf mit der Höflichkeit kultivierter Menschen. Vielen wird dabei das Rückgrat gebrochen. Wie bei jedem Krieg geht es um Einflußbereiche.
Die meisten meiner Kollegen erwarten, daß ich als erster Oberarzt Partei gegen meinen Chef ergreife. Das läßt mich unberührt, hausinterne Machtkämpfe haben mich nie interessiert. Diese Menschen sind gewohnt, in festen Kategorien zu denken, für sie ist kein Feind nicht zwangsläufig willkommener als der Feind selbst. Zu meinen anderen Verpflichtungen habe ich freiwillig die Krebsambulanz übernommen, eine Tätigkeit, die sich hier keiner Beliebtheit erfreut und von allen gemieden wird. Ich möchte mich der Frage der Kombinationsbehandlung widmen, darin sehe ich die Chance der heutigen Medizin, die sinnvolle Ergänzung von verschiedenen Behandlungsmethoden. Zur Zeit versuche ich, Kollegen von anderen Fachrichtungen dafür zu gewinnen.
Nanjas Tod ist ein großer Verlust, ich habe viel an Dich gedacht. Was wird aus Deinem Haus? Wie steht es mit Deiner Gesundheit? Du solltest Dich, wie bisher, zweimal im Jahr untersuchen lassen, am liebsten würde ich es selbst tun (ich bin nach wie vor eingebildet). Falls mein Vorschlag, hierherzukommen, Dir zusagt, werde ich mich freuen, Dich zu sehen.«
Bald darauf bekam Bertram eine Antwort von der Gräfin. In diesem Brief, in dem Elisabeths Handschrift durch das Alter verändert war, beklagte sie sich über das freudlose Dasein einer alten Frau, sie komme sich in ihrem ziellosen Leben überflüssig vor. Elisabeth teilte ihm mit, daß sie das Haus, ›zu groß und leer geworden‹, zu verkaufen gedenke, und schloß den Brief mit einem Vorwurf: »Mir erscheint bedenklich, daß Du nur von Deiner Arbeit sprichst. Es ist eine Art, sich unpersönlich zu geben, als würdest Du selbst nicht existieren. Du verleugnest Dein eigenes Ich, als wäre Dir jeder Verzicht willkommen. Das richtet sich nicht im geringsten gegen Deine berufliche Hingabe. Du bist jung und hast das Leben noch vor Dir. Was Deine Enttäuschung mit Malvina Auerbach betrifft, glaube ich nicht, daß die Schuld nur sie trifft.
Der einzige Mensch, der für eine alte Frau etwas übrig hat, ist Stephan Thimm. Er kommt sonntags zum Tee und beklagt sich, Du hättest keinen seiner Briefe beantwortet. Was ich Dir ans Herz lege: Du solltest Gnade für Recht ergehen lassen, Hannes. Die Verbitterung, auch wenn noch so qualvoll, war nie ein Grund, sich das Leben zu versagen.«