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Wie jeder verantwortungsbewußte Mensch unterlag auch Bertram Zwängen. Sein Zweifel an der Richtigkeit von Stephans Aussage nagte nach dem Gespräch mit Malvina weiter. Daß sie Partei für Stephan ergriff, überraschte ihn nicht, sie war eine logisch denkende Frau und die Tatsachen sprachen für Stephan. Als er an jenem Abend einen falschen Ton bei ihr zu spüren glaubte, sagte er sich, daß er entschieden zu weit gegangen war. Aufgrund einer vagen Vermutung verdächtigte er seinen Freund und unterstellte seiner eigenen Frau, den Freund in Schutz zu nehmen. Doch waren die Tatsachen wirklich so einwandfrei, fragte sich Bertram. Er überlegte und entschloß sich, reinen Tisch zu machen, nachdem er sich selbst überzeugt hatte, daß der vorzeitige Tod von Violet Girstenbrey nicht auf menschliches Versagen zurückzuführen war. Er wollte die Vorgänge, die sich vor zwölf Jahren abgespielt hatten, im einzelnen rekonstruieren. Dabei rechnete Bertram mit der Schwerfälligkeit der klinischen Routine, die sich nur wenig verändert hatte. Er fing mit seinen Nachforschungen im Operationssaal an, der ersten Etappe einer Gewebeabnahme. Als er sich auf sein Gespräch mit der Oberschwester, die hier die Aufsicht führte, konzentrierte, merkte er die Blicke der Chirurgen, die um diese Zeit an mehreren Tischen operierten.
Die Oberschwester zeigte sich bedrückt. »Das ist mein letzter Tag hier, Herr Professor. Morgen gehe ich in Pension.«
Auf seine zögernde Frage antwortete sie bestimmt. »Nein, es hat sich nichts geändert. Das entnommene Material wird von einem Pfleger, genauso wie damals, in die Pathologie gebracht.«
»Wie?«
Sie sah ihn belustigt an. »In einem Korb, in einer mit dem Namen beschrifteten Flasche …«
»Benutzen Sie Spezialgefäße?«
»Nein, die üblichen, breithalsigen Flacons mit einer Verschlußkappe.«
»Wieviel Präparate werden gleichzeitig in die Pathologie befördert?«
»Normalerweise warten wir, bis drei oder vier zusammenkommen. Man operiert auf mehreren Tischen gleichzeitig.«
»Wer beschriftet die Flaschen?«
»Ich … schon bevor man den Probeschnitt macht.«
»Woher kennen Sie die Namen?«
»Vom Operationsprogramm.«
»Ich verstehe. Wie kommt das entnommene Gewebe in die Flasche?«
»Es wird vom Operationstisch hierhergebracht, in einer Nierenschale, die ebenso mit dem jeweiligen Namen beschriftet ist. Wie diese hier …«
»Was passiert, wenn Sie zwei oder drei Gewebeproben auf einmal bekommen? Sie sagten, es wird auf mehreren Tischen …«
»Das kann nicht passieren. Dem Pfleger ist es untersagt, zu gleicher Zeit verschiedene Präparate zu mir zu bringen, jeweils nur ein einziges. Ich vergleiche den Namen und verschließe es, bevor er das nächste bringt.«
Das Läuten des Telefons neben ihr unterbrach sie. Entschuldigend sah sie Bertram an und machte sich Notizen, während sie auf die Durchsage lauschte. Das Ganze dauerte kaum eine Minute. Anschließend sagte sie: »Ich wiederhole: Leider bösartig bei Frau Kluge, Frau Braun und Frau Westerhof. Danke.« Die vor ihr liegenden Namen versah sie mit kleinen, schwarzen Kreuzen, eine, wie es Bertram schien, schicksalhafte Symbolik.