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Im Frühling des folgenden Jahres notierte Bertram: »Ein Gespräch, das wir zu dieser Zeit wiederholt führten. Sie: ›Warum heiraten wir nicht?‹ – Ich: ›Weil das Leben nicht nur aus Cocktailpartys besteht.‹ – Sie: ›Das Leben besteht ebensowenig nur aus Krebstumoren, Johannes.‹ – ›Mag sein‹, antwortete ich, ›jedenfalls nicht für jene, die noch keinen haben …‹

Ich sah alles sehr deutlich. Die ungewisse Karriere eines Hochschullehrers, der noch eine ganze Zeit Privatdozent bleibt und erst später außerplanmäßiger Professor wird, in untergeordneter Position, mit einem bescheidenen Verdienst, jedenfalls für Malvinas Lebensstil.

Ich sah mich, wie ich abends nach Hause hetzte, mich umzog, um mit Malvina zur nächsten Einladung zu eilen: zu Meier-Quillings, zu Noldens, zu Thönes und zu Schulzens … Das Leben bestand nicht aus Arbeit. Es bestand aus Konsum und Ansprüchen, aus gesellschaftlichen Verpflichtungen und Verflechtungen; es bestand aus Kumpanei und Saufen. Ohne den gesellschaftlichen Erfolg war hier niemand jemand.

Das Leben bestand aus Malvinas Lippen, die auf meinem Gesicht brannten, es bestand aus der Verzweiflung, mit der wir uns an unsere Liebe klammerten.

Das Leben bestand aus Haushypotheken und gepflegten Rasenflächen, aus Ärger mit Hausangestellten, aus Prestigeswimmingpools, aus Hedda Nolden, oder Cleopatra, die mit mir zu schlafen trachteten, aus Karl Nolden, der ein gottverdammter Schürzenjäger war und Malvina nachstieg. Das Leben bestand nur noch aus gesellschaftlichen Verpflichtungen …«

Eines Morgens wachte Bertram mit klarem Kopf auf, er verspürte einen unwiderstehlichen Drang zu arbeiten. Im Bad betrachtete er mit den Augen eines Fremden sein aufgedunsenes Gesicht. Gedankenlos rasierte er sich, packte anschließend seine Toilettensachen ein und verstaute sie in die alte Aktentasche, mit der er in die Klinik ging; er pfiff leise vor sich hin.

Ohne einen Blick auf die noch schlafende Malvina zu werfen, verließ er die Wohnung.

Draußen schien die Sonne, nur spendete sie noch keine Wärme.

Mit schneller werdenden Schritten ging Bertram die Straße hinunter. Es kam ihm vor, als ob er nach einer langen Erkrankung gerade genesen wäre.

Der Chefarzt
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