Nachwort

Ruddi fiel keiner Menschenseele im Bus nach Fisterra auf.

Am Abreisetag - Donnerstag, den 22. Mai 2008 - lief ich durch Santiago de Compostela und ließ noch einige Male mit meinem heißgeliebten Café con leche die Stimmung in den kleinen Bars auf mich wirken - natürlich mit all meinem Hab und Gut. Ohne Rucksack konnte ich erst in Deutschland wieder laufen.

Auf der Plaza de Obradoiro lag die schwarze Hündin auf dem gleichen Platz, wie vorgestern, als ich mich davonschlich. Im ersten Moment zerriss es mir das Herz, aber letztendlich war ich mir sicher, dass auch sie nicht gezwungenenermaßen alleine war. Sie hatte garantiert in der Zwischenzeit fürsorglich einen weiteren Pilger nach Santiago geführt.

Der Rückflug ging um 17 Uhr von Labacolla über Mallorca nach Düsseldorf. Meine Kinder holten mich nachts um 23.30 Uhr vom Flughafen ab. Sie erkannten mich kaum wieder. Ich sehnte mich so sehr danach, von ihnen in den Armen gehalten zu werden. Ich glaube, dass Astronauten sich nach einer Reise zum Mond so fühlen müssen, wenn sie ihre Lieben wieder in die Arme schließen dürfen. Als wir in Dormagen das Gepäck aus dem Kofferraum genommen hatten, sprangen auf der anderen Straßenseite zu meiner Überraschung meine fast 80-jährigen Eltern aus dem Gebüsch. Ich konnte es kaum glauben, dass sie mitten in der Nacht extra aus Sinnersdorf kamen, um mich zu empfangen. Das war eine Wiedersehensfreude mit viel Hallo, an denen auch die Nachbarn hinter ihren Fenstern teilhaben durften. Bis morgens um zwei tranken wir Sekt und aßen eine komplette - frisch aus Spanien eingeflogene - Santiago-Torte.

Ich nahm zwei Kleidergrößen ab. Ich musste schon während des Pilgerns in den letzten zehn Tagen eine Kordel durch die Gürtelschlaufen meiner Hose ziehen, damit sie mir nicht runterrutschte.

Ruddi geht nach wie vor gerne Gassi. Er trägt seine metallene Jakobsmuschel stolz an seinem Halsband und wird deswegen oft bewundert. Er ist und bleibt für immer mein kleiner Santiago-Hund. Ich danke ihm aus tiefstem Herzen für sein Durchhaltevermögen, die Geduld, mit mir durch Dick und Dünn zu gehen und für seinen Instinkt dafür, wann er dringend die Klappe zu halten hatte, damit wir nicht auf der Straße schlafen mussten.

Achim aus Duisburg, den nichts aus der Ruhe bringen konnte; der Ruddi auch gerne mal auf die Stirn küsste; der mich in Belorado durch einen geheimnisvollen Anruf auf meinem Handy zum Feiern in der Herberge aufforderte und mich den Weg zu meinen liebgewonnen Pilgerfreunden herauflotste; der Ruddi’s am Abend vergessene Leine morgens fürsorglich auf die Theke legte und mir dies per SMS mitteilte; der mit seinem Freund Oliver, ebenfalls aus Duisburg, nur zwei Wochen auf dem Jakobsweg unterwegs war und in Burgos am Fluss in der Herberge vergeblich darauf wartete, dass ich zur Abschiedsfeier komme, weil ich 20 Kilometer entfernt in Atapuerca war, traf ich persönlich einige Male und wir hatten eine Menge Spaß, Gesprächsstoff und tausende Bilder vom Jakobsweg anzusehen. Mit Achim stehe ich bis heute in unregelmäßigem Kontakt. Er geht weiterhin jedes Jahr für zwei Wochen auf Pilgerreise in Nordspanien.

Sabrina aus Kaiserslautern, die in kurzen Hosen durch den kalten Wind der Pyrenäen lief; die in Villamayor de Monjardín lächelnd in der Küche half, um sich ihr Abendessen zu verdienen; die mir auf meinem Matratzenlager zwischen zig stinkenden Pilgerstiefeln zur Beruhigung eine Umarmung und die Worte schenkte, wie es meine Tochter getan hätte; die manchmal rückwärts lief, weil ihre Blasen und Knie dann nicht so weh taten; die in Belorado so gerne in den Herbergs-Pool gesprungen wäre, wenn es nicht vor ihrer Nase der ungeduschte Pilger getan hätte, besuchte ich zu ihrem Geburtstag im darauffolgenden Januar zusammen mit Achim. Sie fand auf dem Jakobsweg die Liebe ihres Lebens und wanderte nach Frankreich in seine Heimat aus.

Lynn und Mary aus Vancouver, von denen ich dachte, dass sie in Saint Jean Pied de Port zu Hause sind und eine Herberge betreiben; die mich auf meiner ersten Etappe in ein vorbeifahrendes Auto schubsten; die Ruddi so sehr liebten und mir ein Zelt kaufen wollten, weil sie glaubten, dass die Spanier mich auf keinen Fall mit Hund in ihre Häuser lassen würden; die immer um uns besorgt waren, sah ich nicht wieder und möchte weinen, weil ich keine Möglichkeit habe, an sie ran zu kommen.

Edit aus Ungarn, die mich auf dem gnadenlos überfüllten Busbahnhof in Santiago de Compostela erkannte, von hinten ansprang und am liebsten nie wieder losgelassen hätte; deren Abschiedsumarmung und -worte ich niemals vergessen werde, weil ich das Gefühl hatte, sie wäre ein Teil von mir, lud mich zu ihrem Geburtstag ein. Zu meinem großen Bedauern, konnte ich zu dem Zeitpunkt nicht verreisen. Sie geht ebenfalls jedes Jahr auf den Camino.

Hermann aus Kiel, der von Anfang an gerne mal vom Weg abkam; der Ruddi einige Kilometer auf seinem Rücken durch den Regen trug; mit dem ich die ersten Tage verbrachte und so manche Nacht ein Zimmer teilte; der mir bei einem Orkan in meinen wildgewordenen Poncho half; mit dem ich oft und herzhaft lachen konnte; über den ich an dieser Stelle ein separates Buch schreiben könnte, habe ich nicht wiedergesehen und zu meinem großen Bedauern kenne ich weder seinen Nachnamen noch Telefonnummer.

Gabi und Franz-Josef aus Aachen, die ich ganz am Anfang in Honto auf “unserer Terrasse” beim Wäscheaufhängen kennenlernte; die beim Abendessen dafür sorgten, dass mein Teller nie leer war und kein Stück Bratkartoffel zurück in die Küche ging; mit denen ich in Zubiri Croissants bis zum Abwinken aß; die mich zum Abschluss meiner Pilgerreise in Santiago de Compostela vor der Kathedrale so liebevoll auffingen und mit mir fühlten, sah ich nicht wieder und bin sehr traurig darüber, dass ich ihren Nachnamen nicht kenne.

Gordon aus Vilachá, bei dem ich aufgenommen wurde, als gehörte ich zur Familie, werde ich besuchen, wenn ich das zweite Mal auf dem Camino unterwegs bin. Ich hoffe, dass er dann zu Hause ist.

Manel, dem 75 Jahre alten Spanier, der mit mir, einer ihm vollkommen fremden Person MIT HUND, in Villalcázar de Sirga spontan sein Zimmer und die Nacht teilte, danke ich aus tiefstem Herzen. Ohne ihn hätte ich auf der Straße schlafen müssen. Ich sah ihn nicht wieder.

José aus Ambasmestas, der mich mit mehreren „Kurzen“ davon abhielt, am späten Nachmittag noch einen Berg zu bezwingen; der mir auf dem Felsblock am Bach fast einen Heiratsantrag gemacht hätte; der darum kämpft, dass sein Freund das wunderschöne Hotel - seinen alten Hof - halten kann. Ich danke ihm für den tiefen, sehr persönlichen Einblick in seine Vergangenheit mit einer Ehefrau, die er auch über den Tod hinaus über alles liebt. „Salud, José! Mögen alle Deine Wünsche und Vorhaben in Erfüllung gehen.“

Anita aus Erlangen, mit der ich Wäscheklammern gegen Blasenpflaster tauschte; die mir mitten in Carrión de los Condes eine fette Blase an der Ferse aufstach; mit der ich in Sahagún beim Abendessen Adressen tauschte, als Hermann mich kurz aber stürmisch begrüßte, schickte mir zu Weihnachten selbstgebackene Plätzchen, ein wunderschönes Fotobuch vom Camino, einen kleinen Schutzengel und einen lieben Brief. Wir haben unregelmäßig telefonischen Kontakt.

Luigi, Heinz, Karoline und Monika aus Klagenfurt, die immer genau dann auftauchten, wenn ich sie brauchte, habe ich nicht wiedergesehen.

Paul aus Colorado, Der-in-Jeans-den-Jakobsweg-läuft; der mich in Villafranca zum Abschied minutenlang im Arm hielt und so unglaublich viel menschliche Wärme ausstrahlte; der mich darüber aufklärte, dass “rata nicht gleich gata” ist; der bei den Anschlägen auf das World Trade Center in New York drei Freunde verlor, ist zwar aus meinen Augen, aber niemals aus meinem Sinn.

Ina, die immer irgendetwas in der Hand tragen musste; mit der ich eine - von insgesamt nur zwei - 31-Kilometer-Etappe bis Viana lief und bei der Ankunft nachts um 22 Uhr so gerade noch ein Zimmer klarmachen konnte; die wegen mir am nächsten Morgen auf ihr Frühstück verzichtete; die in Navarrete einen Tag Zwangspause machte, weil sie zu wenig Flüssigkeit zu sich nahm, sah ich nie wieder. Ich wünsche ihr von Herzen, dass sie ihren Krebs besiegt hat und es ihr gutgeht.

Von Sören und Pia aus Dänemark, mit denen wir in Belorado so ausgelassen feierten, habe ich nie wieder etwas gehört.

Richard, der in Manjarin so schön gesungen hat und Celin, die mir oben auf dem Berg in La Faba die traumhafte kleine Herberge schmackhaft machen wollte, habe ich nicht wiedergesehen.

Thomas und Gabi, das junge, liebenswerte Paar, das ich in Rabanal del Camino kennenlernen durfte; die Ruddi in Ponferrada vor dem Supermarkt betreut hatten, sah ich nicht wieder.

Ich fand bereits nach zwei Tagen in meinen normalen Alltag zurück. Wenn ich gefragt wurde: “Erzähl doch mal, wie war es denn so auf dem Jakobsweg, wusste ich nie, wo ich anfangen und enden sollte mit meinen Ausführungen. Das war ein Grund, dieses Buch zu schreiben.

Meine Sehnsucht nach diesen 5 ½ Wochen in Nordspanien hält meine Erinnerungen bis ins kleinste Detail wach und ich weiß, dass ich diesen langen Weg irgendwann noch einmal laufen werde. Auch nach fast drei Jahren vergeht kein einziger Tag, an dem ich nicht an den Jakobsweg denke. Neben meinem Bett steht eine kleine, in den Wolken liegende Engelfigur, die von mir beauftragt wurde, dafür zu sorgen, dass ich nichts - wirklich gar nichts - was auf dem Camino Francés passierte, jemals vergesse.

Ich danke meinem Körper, insbesondere meinen Füßen, mich nicht im Stich gelassen und - allen Strapazen trotzend - bis ans Ende der Welt gebracht haben.

Señor Boada danke ich aus tiefstem Herzen, dass er den besten und zuverlässigsten Reiseführer geschrieben hat, den ich mir vorstellen kann. Dieses handliche Buch wurde ganz oft von anderen Pilgern bewundert und kurzzeitig entführt.

Bis heute bin ich unendlich dankbar für alle Menschen, die mir auf “meinem Weg” begegnet sind und mir so viel gegeben haben.

Ich danke den Spaniern entlang des gesamten Camino Francés für ihre liebevolle Fürsorge und Gastfreundschaft mir und meinem Hund gegenüber.

Ich danke dem Universum, für die ständige Begleitung, die ich in Form von Gefühlen, Gedanken, Lachen, Weinen, Ideen, Instinkt, Taten und nicht zuletzt Menschen sowie Erlebnissen wahrnehmen durfte.

Ich danke meinen Eltern, Kindern und Freunden, die mir bei der Entstehung dieses Buches oft wertvolle Hilfe waren. Sie haben mir immer wieder beim Vorlesen einzelner Etappen zugehört, konstruktive Kritik geübt und mir Mut gemacht, am Ball zu bleiben und weiterzuschreiben.

Ganz besonders danke ich meinem Sohn Tim. Er hat das nötige Knowhow in Sachen Computer und den Tücken dieses Objekts. Er war immer sofort mit Herz und Verstand zur Stelle, wenn ich völlig ratlos und mit meinem Latein am Ende, vor - für mich unlösbaren - PC-Problemen saß.

Mit dem Schreiben dieses Buches bin ich den Jakobsweg im Grunde genommen bereits ein zweites Mal gegangen. Beim “dritten” Mal erwarte ich allerdings neue Erlebnisse und Menschen mit allem was dazugehört.

Ich danke Ihnen (oder Dir), lieber Leser, liebe Leserin für das Interesse am Jakobsweg. Er hat es verdient.

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