gleicher Tag (insgesamt 660,7 km gelaufen)

Pitín (ca. 50 Einwohner), ca. 600 m üdM, Provinz Lugo

Hostal, Doppelzimmer, 35 € inklusive Frühstück

Schlussendlich krieche ich förmlich in den kleinen Ort Pitín ein. Ich schicke ein Stoßgebet ins Universum, es möge noch ein Zimmer auf mich warten. Nach wenigen Metern werde ich auf ein Schild aufmerksam, dass darauf hinweist, dass es hinter der kleinen Tür etwas zu trinken geben könnte. Beim Betreten erinnert es mich eher an einen Kiosk, als an einen Schankraum. Der Raum ist sehr schmal. Links stehen zwei Metalltische mit je vier zarten Stühlen. Rechts befindet sich eine vollgestellte Theke. Dahinter hängen Regale an der Wand, in denen Zigaretten, Snacks und Süßigkeiten angeboten werden. Seitlich davon wohnt ein Kaffeeautomat mit allen Raffinessen. Der überaus freundliche und herzliche Mann, der zwischen all diesen Dingen steht, erweckt das Gerät für mich zum Leben und serviert mir einen Café con leche, wie ich ihn schon lange nicht bekommen habe: Nicht zu stark, wundervoll cremig, heiß und groß.

Als er Ruddi entdeckt, kommt er vor und ist entzückt von dem kleinen, mittlerweile ziemlich müden Wesen. Streicheleinheiten und Küsschen auf die Stirn lassen Perrito schnell in eine meditative Phase eintreten. Der Señor ist hin und weg. Er sieht das Tupperware-Schüsselchen auf dem Boden stehen und füllt ohne zu Zögern frisches Wasser ein.

Ich frage ihn, wo ich übernachten könnte. Ich bin ganz schön baff, als er ausruft: „Nosotros, por supuesto (bei uns natürlich)!“ Was? Das hier ist ein Hostal? Wo sollen sich denn in diesem kleinen Haus Zimmer befinden? Ich kann es kaum glauben. Aber er wird schon wissen, was er sagt. In diesem Moment betritt seine Frau die Bühne. Er trägt ihr mein Anliegen sofort vor und zaubert ihr ein Lächeln ins Gesicht. Freundlich kommt sie auf mich zu und begrüßt mich spanisch temperamentvoll. Ruddi hebt ein wenig seinen Kopf und zack! Die Stimmung kippt. „No perro, lo siento!“ Ihr Mann kommt hinter der Theke hervorgestürzt und redet außer sich auf sie ein. Sie schüttelt den Kopf. Er bleibt dran, gibt nicht auf, zeigt immer wieder auf uns und hat mitfühlende Blicke und Worte für die erschöpfte Pilger-Hund-Gemeinschaft.

Das Universum hat wie immer seine Finger im Spiel. Nach wenigen Minuten der Spannung stimmt seine Frau zu. Ich darf noch mehr Wunder erleben! Sie geht mit mir durch einen riesengroßen, wunderschönen Comedor. Viele dick gepolsterte Stühle stehen ordentlich an mehreren Tischen, die bereits geschmackvoll eingedeckt und dekoriert wurden. Wir laufen durch die weiträumige, hochmoderne und blitzsaubere Küche, in der schon fleißig gekocht wird. Der köstliche Duft von gebratenem Fleisch macht mir einen Wahnsinns-Appetit.

Jetzt erreichen wir eine Empfangshalle. Hier ist der eigentliche Eingang in das Hostal. Über eine breite Treppe kommen wir auf den Flur, von dem die Zimmer abgehen. Mir steht der Mund offen vor Erstaunen. Es ist kein schnurgerader Flur, sondern ein eher quadratischer Raum mit unerwarteten Nischen in denen kleine gemütliche Sitzgruppen stehen. Dazwischen befinden sich die Türen zu den eigentlichen Hotelzimmern. Große Pflanzen und Blumensträuße, die vor bodentiefen Fenstern stehen, lassen das ganze Ambiente sehr lebendig und warm erscheinen.

Ich kann es kaum noch erwarten, mein Zimmer zu sehen. Ich werde nicht enttäuscht. Es ist schön warm, groß, hell, sehr sauber, modern und liebevoll eingerichtet. Das Bad ist ebenfalls ein Traum. Es ist wie bei Harry Potter. Du betrittst ein Zwei-Mann-Zelt und drinnen erschließt sich dir ein Schloss mit allem Drum und Dran. Ich sag doch schon lange, dass der Jakobsweg zauberhaft ist. Und ich weiß jetzt, warum im Wald kein Bett mehr frei war. Danke, ihr da oben im Universum!

Ich kann nicht anders! Ich muss die Señora mal kräftig drücken. Sie lässt es sich gerne gefallen, guckt aber ein bisschen skeptisch von Ruddi zum Bett. Ich kann ihre Sorge nachvollziehen und hole in ihrem Beisein das Hundebett aus meinem Rucksack. Ich kann hören, wie ihr ein Stein vom Herzen fällt, als Ruddi unaufgefordert hinein hüpft und sich sofort gemütlich einkringelt. Er lässt keinen Zweifel daran, dass er nicht vorhat, woanders zu schlafen. Nachdem sie sich erkundigt hat, ob ich zum Essen komme, bin ich alleine.

Die Anspannung des Tages ist weg und plötzlich ist die Luft bei mir raus. Ich falle aufs Bett und habe das Gefühl nie wieder aufstehen zu können. Nur der Hunger hält mich wach und weckt ein oder zwei Lebensgeister in mir. Ich rappel mich hoch. Alles tut weh. Keine andere Strecke vorher war so kräfteraubend wie die heutige. Das liegt wahrscheinlich größtenteils am Wetter. Die Wege sind ja nicht immer zentimetertief verschlammt. Als ich regungslos unter der wohltuenden heißen Dusche stehe wird mir wieder bewusst, dass man auf dem Camino Francés morgens nie weiß, was einen abends erwartet. Ohne Zweifel ist das hier nach dem Drecksloch von gestern ein Geschenk des Himmels.

Und noch eine tolle Überraschung wartet auf mich. Als ich zum Essen runterkomme ist der Comedor voll besetzt. An einigen Tischen entdecke ich noch einzelne freie Stühle. Ich versuche auf die schnelle zu erfühlen, wo ich wohl am besten aufgehoben bin. Die Angelegenheit ist schnell geklärt. Klagenfurt „is in the house“. Die Freude ist so groß, dass die anderen für einen Moment Messer und Gabel an die Seite legen. Das gibt’s doch gar nicht. Obwohl wir über viele Stunden exakt den gleichen Weg gegangen sind, sieht man sich den ganzen Tag nicht, aber abends im Hotel.

Wir trinken Wein, amüsieren uns köstlich, als ich von meinen gestrigen Zimmernachbarn erzähle und staunen gemeinsam darüber, zu welchen körperlichen Höchstleistungen wir alle in der Lage sind. Nein! Ich meine nicht die Jungs von gestern, ich meine den Jakobsweg an sich! Wir sind uns einig: So fertig man am Ende einer Etappe auch sein mag, das Gefühl angekommen zu sein bleibt unübertroffen und die Freude „alte“ Pilgerkollegen zu treffen, muss man selbst erleben. Das ist unbeschreiblich.

5 1/2 Wochen
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