gleicher Tag (insgesamt 599,6 km gelaufen)
Villafranca del Bierzo (2631 Einw.), 511 m üdM, Provinz León
Ein-Sterne-Hostal, Doppelzimmer, 45 Euro ohne Frühstück
Wow, ich bin da! Ich könnte auch keinen einzigen Kilometer weiter laufen - bin völlig schlapp. Ruddi will nun auch nicht mehr. Ich habe ihn seit ungefähr hundert Metern unterm Poncho. Am Ortseingang sind viele Pilger unterwegs zur Puerta del Perdón (Pforte der Vergebung). Hier bekamen früher Pilger, die zu schwach waren, um ihren Weg fortzusetzen, den Ablass.
Also, meiner Meinung nach müssten alle Sträßchen und Gassen in Villafranca del Bierzo aus Treppenstufen bestehen. Es ist so teuflisch steil! Ich hatte ja bei meiner Ankunft in Saint Jean Pied de Port schon gestaunt, aber was hier abgeht, ist wirklich die Hölle. Auf den regennassen gepflasterten Straßen habe ich bei jedem Schritt der abwärts führt Angst, zu viel Fahrt aufzunehmen und auszurutschen. Dieser Ort verlangt vom Fußgänger eine Klettertour, wie ich sie bisher nur in den Montes de León erlebt habe. Wie machen die das hier bloß im Winter bei Schnee und Eis?
Es ist weit nach 21 Uhr. Dieses Hotel muss noch ein Zimmer frei haben, sonst schlafe ich auf einer der Bänke, die hier auf dem Marktplatz mitten in der City stehen. Ich kontrolliere sicherheitshalber nochmal den Reißverschluss an meinem Poncho - nicht dass Ruddi wieder keck oben rausguckt - und betrete das Haus.
Es macht auf mich zwar einen gepflegten Eindruck, aber es erinnert auch ein bisschen an eine Bettenburg oder eine Pension für Monteure. Die Rezeption befindet sich in einem Treppenhaus, wie man es aus Mehrfamilienhäusern kennt. Hinter dem kleinen Tresen, der den Empfang darstellen soll, befindet sich direkt die schmale Treppe, die zu den Zimmern hinaufführt. Der blonde, junge Mitarbeiter sieht sehr streng aus. Ernst verlangt er meinen Ausweis. Ich rechne fast mit einem „Du kommst hier net rein“. Wider Erwarten nimmt er einen Schlüssel in die Hand und nennt mir den Preis in Höhe von 45 Euro ohne Frühstück. Lieber Himmel, ich will doch keine Suite, ich brauche nur ein Bett in einem kleinen Zimmer! Was soll ich machen? Es ist spät! Ich bin durch! Ich Schmuggel gerade einen Hund rein! Ich bezahl das! Ich habe fertig!
Er begleitet mich über Treppen auf den dritten Stock und zeigt mir mein Zimmer. Ich bin froh, dass er die Rezeption nicht so lange alleine lassen darf und schnell wieder kehrt macht. Mit Sicherheit würde ich in hohem Bogen rausfliegen, wenn mein Hund entdeckt würde.
Ich schau mich ganz kurz und völlig uninteressiert um, eigentlich nur der Orientierung wegen. Heute ist mir alles recht, ich habe keine Kraft für gar nichts mehr. Das Zimmer ist klein und primitiv. Das Bad ebenfalls, aber es ist sauber und funktionstüchtig. Ich öffne das kleine Fenster. Ausblick gibt es hier nicht. Es ist ein Innenhof, nein, nicht Innenhof - das ist der falsche Ausdruck. Es sind zwei Innen-Quadratmeter oder drei auf die ich gucke. Rechts und links kann ich meinen Zimmernachbarn durch das Fenster die Hand geben und geradeaus steht mit nur wenigen Metern Abstand ein sehr hoher und steiler Berg. Was soll's? Ich bin morgen wieder weg. Aber 45 Euro für diese Absteige, das ist schon ein Knaller!
Frisch geduscht und mit meiner viel zu großen Handtasche mit schlafendem Inhalt gehe ich auf Futtersuche. Es ist 22.30 Uhr. Viele Bistros und Restaurants haben bereits geschlossen. Einen „kleinen Italiener“ finde ich noch und falle ausgehungert über eine Bolognese her. Pilger treffe ich diese Nacht nicht mehr. Die Herbergen schließen überall um 22 Uhr ihre Türen ab. Ich genieße die Einsamkeit in diesem kleinen Lokal. Ich gönne mir einen Nachtisch und trinke in aller Ruhe zwei Gläser Rotwein. Um Mitternacht machen der Wirt und ich das Licht aus. Ich kann nur hoffen, dass niemand mitkriegt, wenn Ruddi aus der Tasche hüpft, um noch mal zu pinkeln.
Ich falle ins Bett und bin kaum noch imstande mich zuzudecken und zu drehen. 31 Kilometer mit 13 Kilo im Rucksack sind einfach zu viel und dauern auch zu lange. Ruddi streckt ebenfalls alle Viere von sich. Ich glaube, heute schimpfen insgesamt sechs Füße. Die müssen Morgen alle wieder gangbar sein. Damit das auch klappt, reiße ich mich zusammen, nehme die Ruddi-Tasche doch nochmal hoch und massiere seine Pfoten mit Hirschtalgsalbe. Das hat ihm bis jetzt immer gut getan. Ich schicke noch ein Gebet mit der Bitte ab, morgen rechtzeitig wach zu werden.