Freitag, 18.Aprii 2008
Zubiri (402 Einwohner), 528 m üdM, Navarreser Pyrenäen
4. Etappe bis Villava, 16,2 km
Als ich wach werde spüre ich jeden, aber auch wirklich jeden Muskel in meinem Körper. Ob ich ohne Muskelschmerz-Gel überhaupt bewegungsfähig wäre? Vorwurfsvoll werfe ich einen Blick auf meine Füße und Beine. Ich glaub, ich seh rot! Ja, in der Tat! So ist es! Vom Knöchel bis zur Wade sind beide Beine voller kleiner, roter Pusteln. Kaum habe ich sie entdeckt, wagen sie es sich auch noch, wie verrückt zu jucken. Als ob ich nicht schon genug gestraft wäre! Ich kann das Gel wohl nicht vertragen. Na gut, dann muss es eben „nur“ durch festen Glauben und einer kurzen Reiki-Behandlung besser werden. Ich beschließe, das Teufelszeug aus der Tube gleich hier liegen zu lassen. Und für was ist das jetzt gut? Mein Rucksack ist entlastet! Jedes Gramm zählt!
Wie komme ich aus diesem Bett? Schön langsam am besten! Ich höre, dass Hermann im Badezimmer ist und nutze die Gelegenheit, ohne Zuschauer und aus eigener Kraft in die Senkrechte zu kommen. Alle Laute, die meinen Mund verlassen wollen, werden unterdrückt, der Einzige, der mich genau unter die Lupe nimmt, ist Ruddi. Ich glaube, er würde mir gerne helfen - oder lacht er mal wieder über mich, ohne eine Miene zu verziehen? Jedenfalls ist meine Mission geglückt bevor Hermann die Kulisse betritt. Betont locker tänzele ich in das kleine Badezimmer. Meine Bewegungen gleichen aber mehr einem hölzernen Regentanz, als dem eleganten Wiener Walzer.
Ruddi’s Taschen-Häuschen ist über Nacht wieder trocken geworden, jedoch haben die Nähte gelitten. An einigen Stellen lösen sie sich. Oh je! Was soll ich ohne diesen kleinen Rucksack nur machen? Den brauche ich nicht zuletzt, um meinen Hund in fünf Wochen wieder ins Flugzeug zu bekommen! Mit dem Notfallnetz um den Hals lassen sie mich bestimmt nicht in die Kabine! Hermann gibt Anweisungen: „Ich brauche einen Karton, um den Innenraum zu stabilisieren und eine große Mülltüte, um die Tasche und ihren Inhalt vor dem Regen zu schützen.“ Ich laufe in das kleine Geschäft auf der anderen Straßenseite und organisiere beides. Mit viel Geduld und liebevollen Überlegungen wird Ruddi’s „Campingausrüstung“ repariert und präpariert. Der Müllsack wird maßgeschneidert. Er hat genauestens abgemessene Luftschlitze an den richtigen Stellen und wird mit zwei starken Gummibändern außen befestigt. Ich bin tief beeindruckt wie sehr Hermann sich um meinen Hund bemüht.
Dann kümmern wir uns gemeinsam um seinen Rucksackinhalt. Da kommen tütenweise Lakritze und Gummibärchen zum Vorschein. Für 14 Tage T-Shirts, Unterwäsche und für jedes Wetter eine Jacke oder ein Pulli. Außerdem viele Utensilien die Männer für den Notfall - falls mal was kaputt geht oder nicht funktioniert - so dabei haben: Zwei Handys, Fernglas, Wecker, Taschen- plus großes Gürtelmesser. Das ist noch nicht alles: Jeweils die Maxiausführung Shampoo, Duschgel, Rasierschaum, Gel und eine 15er Packung Tempos. Es fällt ihm schwer, sich von dem einen oder anderen Teil zu trennen. Kann ich zwar verstehen, aber 17 Kilo Gepäck sind einfach zu viel, auch für einen Mann. Vor allem wenn er Probleme mit den Schultern hat. Er hat momentan auch noch zusätzlich eine sehr schwere, schwarze, lange Winter-Jacke mit hohem Kragen und Verstärkungen an den Ellbogen an. Wenn ich mir vorstelle, dass es demnächst wärmer wird und er diese Jacke in den Rucksack packen muss, tut er mir leid. Ich schätze, dass die alleine so um die drei Kilo wiegt, wenn nicht noch mehr. Meiner Meinung nach eignet sie sich zum Motorradfahren, aber nicht für den Camino. Von diesem Kleidungsstück will er sich aber unter keinen Umständen trennen.
Nach reiflichen Überlegungen, fliegen die Süßigkeiten, jede Menge Unterwäsche und einige alte T-Shirts sofort aus dem Rucksack. Diese Sachen lässt Hermann einfach hier liegen. Vielleicht kann die Vermieterin damit was anfangen. Handy, Wecker, Fernglas und noch ein paar Kleidungsstücke wird er mit der Post nach Hause schicken. Wenn das erledigt ist, kommt auch sein Rucksack nur noch auf elf bis zwölf Kilo. Das wird er deutlich merken. Außerdem verstellen wir die Gurte und Riemen, damit das Gewicht mehr auf der Hüfte liegt, als auf den Schultern. Nach getaner Arbeit bringt Hermann sein Gepäck wieder zur Herberge. Von hier aus wird es nach Pamplona geschickt. Heute will er nochmal seine Schultern schonen. Ruddi findet das toll, denn - wie könnte es anders sein - es regnet ein „bisschen“.
Zum Frühstück gehen wir um den Häuserblock in die nächste Bar und treffen zu meiner großen Freude auf die Aachener, Gabi und Franz-Josef. Wir fallen uns stürmisch um den Hals. Franz-Josef besorgt blitzschnell Café con leche und Croissants für alle. Wir berichten uns gegenseitig, wie der gestrige Tag verlaufen ist. Sie haben in der Herberge übernachtet. Muss ganz angenehm gewesen sein, nicht so groß wie in Roncesvalles. Sie waren, wie wir, nach dieser Etappe vollkommen am Ende.
Wir sprechen auch darüber, wie gefährlich teilweise bei dem Regen die Berghänge sind. Zu meinem Entsetzen berichten sie, dass dort gestern ein Mann sechs Meter tief abgestürzt ist und nun im Krankenhaus liegt. Dessen Frau - die das natürlich mit angesehen hat - ist einem Nervenzusammenbruch nah. Der Hang wurde dann für Pilger gesperrt, bis er wieder trocken und sicherer ist. Mir wird im Nachhinein noch ganz schlecht, wenn ich darüber nachdenke, dass ich die Gefahr selbst nicht erkannt habe. Danke, Hermann!
Erst gegen 11.00 Uhr kommen wir aus den Puschen. Der Poncho muss wieder angezogen werden. Es regnet immer noch, aber es stört mich nicht mehr so sehr. Man gewöhnt sich ja an alles. Ruddi darf wieder in sein Häuschen. Das sieht mit dem blauen Müllsack ein bisschen aus wie ein Zelt mit Vordach. Wenn das kein Komfort ist...!
Der Weg verläuft heute Morgen weiter so wie er gestern Abend endete. Ruddi hält es nicht lange durch stillzusitzen. Kann ich nachvollziehen. Ist auf die Dauer ja auch langweilig. Ich setze mich hartnäckig für ihn ein. Hermann ist dagegen, dass Schnurzel durch den Regen läuft. Ich muss tatsächlich sehr ernst werden und ihn daran erinnern, dass das wohl immer noch - trotz aller Dankbarkeit - meine Entscheidung ist. Letzten Endes einigen wir uns friedlich und mein Hund wird in die Freiheit entlassen.
Nach nur wenigen Minuten sieht er aus, als wäre er seit Wochen in diesem Dreck unterwegs. Selbst oben auf seinem Rücken sind Dreckspritzer. Aber wenn ich das große Ganze betrachte, sehen Hermann und ich auch nicht besser aus. Es bleibt die Hoffnung, dass es später weniger matschig ist und der Regen uns alle drei wieder sauber macht.
Frohen Mutes sind wir auf dem gut fünf Kilometer weiten Weg nach Larrasoaña. Wenn es zu steil ist sind auch mal Stufen aus Holz eingebaut. Die sind allerdings mit größter Vorsicht zu genießen, weil sie nass sind. Die werden so rutschig wie Glatteis. An solchen Stellen bin ich besonders dankbar für meine Wanderstöcke.
Kurz vor dem Ort gibt es eine große Hinweistafel, vor der wir uns einen Moment aufhalten. Wir wollen uns in Larrasoaña nach dem anstrengenden Stück Weg und fast zwei Stunden Laufzeit eine Pause gönnen und in einer gemütlichen Bar Café con leche trinken. Der Camino ist hier eindeutig gekennzeichnet. Auch diesen Ort erreicht man über eine uralte Brücke.
Gerade setzen wir uns in Bewegung als, ganz entgegen seiner Gewohnheit, Ruddi bellend auf einen Mann zuläuft, der nicht sehr freundlich dreinschaut. Er trägt lumpige Kleidung. Die hochgekrempelte Hose gibt seine Waden frei. Er hat dunkle, in Falten liegende Socken und Holzklumpen an den Füßen und deutet an, nach Ruddi zu treten wenn er ihm näher kommt. Wahrscheinlich hat er Angst, gebissen zu werden. Ich will ihm verzeihen. Er kennt meinen Hund ja nicht - der weiß doch gar nicht, dass er zubeißen könnte. Ich ließe es an der Stelle des Mannes bestimmt auch nicht darauf ankommen. Im letzten Moment dreht Ruddi ab und kommt zu mir zurück.
Die Situation ist wieder entspannter. Der Spanier will uns weismachen der Pilgerweg verliefe nicht über die Brücke. Wir müssten links abbiegen und einfach weiter geradeaus gehen. Ich entgegne, dass es doch Hinweisschilder gäbe. Aber er zeigt mit seinem Stock wild fuchtelnd in die andere Richtung und gibt uns mürrisch zu verstehen, besser nicht in diesen zu Ort gehen. Das sei kein Platz für Pilger. Tja, was soll ich sagen? Wir haben zwei Möglichkeiten: Entweder schlägt Hermann den Typen k.o. oder der alte Knacker vermöbelt uns mit seinem Stecken. Beides passt nicht in unseren Plan, gemütlich in einer Bar in Larrasoaña zu sitzen. Also geben wir nach und verschieben die Pause. Wir können uns nicht erklären, was das für eine Aktion gewesen ist. Das bleibt das Geheimnis des alten Señors.
Jetzt ist der Weg wesentlich gemäßigter, flacher. Der Regen hat fast aufgehört. Mit dem bisschen „Mullematsch“ werde ich doch spielend fertig. Hermann will jetzt auch mal vorgehen. Hier kann ja nichts passieren. Denkste! Der einfurchige Feldweg, über den wir gerade laufen, ist mir zu unbequem. Die Füße passen nicht nebeneinander in die Spur, nur voreinander. Ich komme mir vor wie ein Model, das auf dem Laufsteg den neuesten Poncho vorführt! Außerdem droht man einzusinken. So stelle ich mir das Moor vor. Also gehe ich am Wegesrand über sehr lange und breite platt geregnete Grashalme. Mir ist durchaus bewusst, dass es hier sehr glatt sein kann, zumal der Rand des Weges nach innen abfällt. Ach, was soll's? Wird schon gutgehen! Oder auch nicht! Ich rutsche gaaaanz langsam ab und kann das Unheil auch nicht mehr aufhalten.
In Zeitlupe lege ich mich auf die Seite in den Matsch. Wie ein umgekippter Käfer liege ich im Dreck und komme aus eigener Kraft nicht mehr hoch. Ich hoffe, dass es keiner merkt und verhalte mich ganz still. Ich überlege wie ich die Stöcke einsetzen muss um wieder auf die Beine zu kommen. Aber das Gewicht des Rucksacks zieht mich immer wieder runter. Ruddi beobachtet mein illustres Treiben und feuert mich an. Jetzt dreht Hermann sich um und ich wünsche mir, unsichtbar zu sein. Ich schäme mich sehr, so hilflos am Wegesrand rumzuliegen. Ich will mal wieder unter allen Umständen die Contenance wahren und schau so intelligent und lässig wie möglich aus dem Poncho. Ich versuche so zu tun, als wäre meine momentane Haltung vollkommen in Ordnung. Mein Begleiter ist im ersten Moment sehr erschrocken, eilt zu mir und fragt nach meinem Befinden. Bevor ich antworten kann reicht er mir die Hand und zieht mich hoch. Entsetzen macht sich in seinem Gesicht breit. Er fragt sichtlich geschockt: „Hast Du Dir was getan? Warum sagst Du denn nichts, wenn Du hinfällst?“ Meine prompte und betont ruhige Antwort lautet: „Ich glaub, ich hab mir den Poncho versaut.“ Hermann prustet los und sagt: „Das hör ich doch nicht richtig. Du steckst seit Tagen bis zu den Knien im größten Dreck und es interessiert Dich nicht die Bohne. Und wenn Du hinfällst machst Du Dir Gedanken um Deinen Poncho? Das glaub ich ja nicht?!“ Wir kriegen uns lange Zeit nicht wieder ein vor Lachen. Ich habe mir natürlich nicht wehgetan, es war ja ein Zeitlupen-Sturz.
In Zuriaín gehen wir in einen Tante-Emma-Laden um Hundefutter, ein Baguette, Wurst und Käse zu kaufen. Hermann sucht außerdem nach breitem Klebeband um Ruddi’s Tasche, die sich immer mehr auflöst, zu kleben. Die freundliche Verkäuferin, versteht nicht, was wir von ihr wollen. Also zeige ich ihr den Ruddi-Rucksack mit seinen aufgelösten Nähten und geknoteten Schultergurten. Sie stellt das Wrack auf die Kassentheke und betüddelt zuerst einmal mein Hundekind. Dann drückt sie Hermann eine Rolle Klebeband in die Hand. Er umwickelt mehrfach damit die Tasche, als müsse sie fünfzig statt fünf Kilo aushalten. Das Klebeband ist eine Spende des Hauses. Auch hier dürfen wir die selbstlose Hilfe einer Spanierin genießen. Vielen Dank dafür!
Da im Moment sogar ein bisschen die Sonne scheint, entscheiden wir uns gegen eine Bar und finden einen schönen Platz in der freien Natur an dem wir unser kleines Picknick veranstalten können. Hier wird gerade eine Garage oder ähnliches gebaut. Die Handwerker sind nicht da und die kleine Baustelle ist nicht abgesperrt. Wir machen es uns auf einem langen Brett, das beidseitig mit Steinen unterlegt ist, gemütlich. Nachdem ich Ruddi mit Leckerchen und Wasser versorgt und seine Decke ausgebreitet habe, bereitet mein Pilgerfreund uns das Mahl. Lecker! Und urig!
Nach Dreiviertelstunde lösen wir die gemütliche Runde auf und setzen unseren Weg fort. Der Himmel hat sich wieder verdunkelt. Hermann rät mir schon mal den Poncho über den Rucksack zu legen, weil mit dem nächsten Windstoß ein Unwetter auf uns einprasseln könnte. Das käme hier in den Bergen von jetzt auf gleich. Da ich jetzt keinen Regen haben will, denke ich gar nicht daran, den Wettergott herauszufordern. Der sieht meinen knallroten Poncho doch sofort und erinnert sich an seine Aufgabe uns nass zu machen. Bevor ich es zu Ende denken kann, kommt die von Hermann prophezeite Bö und mit ihr ein Hagelschauer, wie ich ihn noch nicht erlebt habe.
Das ging blitzschnell - im wahrsten Sinne des Wortes. Blitz und Donner sind auch dabei. Obwohl ich ebenso trotzig war bleibt Hermann hilfsbereit, holt hektisch mein Regencape aus dem unteren Rucksackfach und versucht es mir über den Kopf zu ziehen. Dafür muss er das Ding erst mal so weit in den Griff bekommen, dass ein Einstieg überhaupt möglich ist. Der Sturm ist so stark, dass der Poncho sich wie ein wildgewordenes Eichhörnchen aufführt. Er zappelt wild herum, will überall hin, nur nicht über meinen Kopf. Wir müssen gegen das Wetter anschreien, um uns zu verständigen. „Ja!... Ja! Komm durch!“ schreit mein Freund gegen den Wind. Ich stecke irgendwo in dem flatternden Etwas fest und kann keinen Ausgang entdecken. Ich höre ihn und sehe an seinen tänzelnden Füßen wie verzweifelt er draußen an der Front für mich kämpft. Ich mach mir gleich in die Hose vor Lachen. Nun scheint mein Kopf einen „Rausweg“ gefunden zu haben. Aber warum ist das so eng? Hermann feuert mich an, als stünde ich kurz vor einem Weltrekord: „Ja! Los, mach jetzt! Du bist drin! Ich hab‘s doch!“ Er versucht mit Gewalt, meinen Kopf durch die Ärmelöffnung des Ponchos zu drücken. Wieder brüllt er, mittlerweile ebenfalls lachend: „Hier!“ er klopft mir auf dem Kopf rum. „Komm doch hier durch! Was machst Du denn? Ich sehe Dich doch!“ Ich krümme mich vor Lachen und bin nicht in der Lage auch nur ein Wort zu sagen. Hoffentlich sieht uns niemand. Irgendwann hat dieser Spuk ein Ende und mein Poncho sitzt endlich, wie es sich gehört.
Ich will nun Ruddi in das Notfallnetz nehmen, aber er ist nirgends zu sehen. Hermann hat aus dem Augenwinkel mitbekommen, wie er sich ins Gebüsch gerettet hat, als das Schauspiel losging. Ich konnte ja nichts sehen, ich war ja in meinem Poncho-Zelt. Der Hagel pickt auf der Haut und nur mit Engelszungen kann ich meinen Hund aus seinem Versteck locken. Ich verstehe ihn ja, aber unter meinem Cape ist er doch ganz sicher! Ich kann gar nicht aufhören zu lachen, weil ich diese Situation - wie ich es oft mache - mal wieder wie ein Theaterstück über die eigene Schulter beobachte. Das Wetter beruhigt sich in dem Moment wieder als alles gerichtet ist und Matsch-Ruddi glücklich an meiner Brust ruht. Na, da lohnt sich heute Abend die Handwäsche aber! „Ich glaub, ich hab mir das Shirt versaut.“
Ich lasse meinen Kleinen erst mal den Schock überwinden und trage ihn ein bisschen. Jetzt laufen wir ein gutes Stück die Nationalstraße entlang. Hier werde ich besonders schnell. Hermann wundert sich nicht weniger über mein Tempo als ich selbst. Ich habe echt Respekt vor den vorbeirasenden Autos und LKW. Ich muss hier weg! Dann erreichen wir, kurz vor dem nächsten heftigen Hagelschauer, einen Rastplatz. Eben war es schon stürmisch, aber jetzt haben wir einen Orkan der mich fast aus den Wanderschuhen bläst. Wir haben Glück! Auf dem Rastplatz ist eine Bushaltestelle mit Überdachung. Hier finden wir zumindest ein bisschen Schutz vor den Naturgewalten. Der Hagel verteilt sich gnadenlos überall. Immer mehr Pilger wollen sich unterstellen. Wo kommen die bloß so plötzlich her? Auf dem Weg haben wir jedenfalls keinen getroffen. Unglaublich! Und ich weiß jetzt warum ich eben so rasant unterwegs war.
Wir können schon sehen, wo es gleich weitergeht. Ich staune nicht schlecht. Es geht immer noch steiler. „Da komm ich nie rauf‘, denke ich und werde sehr andächtig. Als es nur noch regnet - der Sturm und Hagel weiter gezogen sind - gehen wir ehrfurchtsvoll diese Steigung an. Schritt für Schritt kommen wir Meter für Meter höher. Hermann muss immer noch alle 50 Meter stehen bleiben und auf seine Stöcke gestützt nach Luft schnappen. Er hat früher mal 50 bis 60 Zigaretten am Tag geraucht. Das rächt sich jetzt. Seit sechs Jahren ist er Nichtraucher, aber das Bergauf-Laufen fällt ihm richtig schwer. Wir wundern uns darüber, dass Teilstücke des Wegs mit rot-weißem Band abgesperrt sind. Bei genauem Hinsehen, erkennen wir den Grund dafür: Der Verlauf des Pfades wurde verlegt, weil auch hier die Gefahr besteht, dass der Hang wegrutscht.
Vor lauter Anspannung vergesse ich, dass ich den steilen Hang eigentlich nicht hochkomme. Und es geht doch! Was man alles kann, wenn man es einfach macht, ohne darüber nachzudenken, beeindruckt mich. Ich dachte mein Leben lang, ich könnte zwar bergab gehen, aber nicht bergauf. Tja, nun wurde ich eines Besseren belehrt und bin stolz auf mich. Der unvermeidbare Abstieg ist etwas leichter und führt über recht gute Wege, die sogar teilweise geteert sind.
Jede Stadt, auf die die vielen Hügel unterwegs die Sicht freigeben, lässt in uns die Hoffnung aufkeimen, dass es endlich Pamplona sein muss. Da wollen wir ja heute hin, nicht zuletzt weil dort Hermanns Rucksack wartet. Zwei oder drei Mal lassen wir uns blenden. Es ist ein hilfloses Gefühl, wenn man einer Stadt die man erblickt hat, immer näher kommt, daran glaubt, dass da das Ende der Etappe naht und dann die gelben Camino-Pfeile einen nur außen herumführen. Dann sieht man sie aus den Augenwinkeln, man läuft daran vorbei, und schon ist sie hinter einem Hügel wieder verschwunden.
Aber jetzt!!! Endlich! Jetzt führt der asphaltierte Weg direkt auf den Ort zu. Ich sehe auch schon die Wegweiser. „Da ist Pamplona! Endlich, wir sind in Pamplona!“ rufe ich freudig erregt in den Wald hinein. Wir holen tief Luft und setzen beschwingt unseren Weg fort. Wir freuen uns auf ein Essen, auf einen Rotwein oder ein Bier und auf ein schönes Zimmer mit einer Dusche.