Samstag, 10. Mai 2008

Santa Catalina de Somoza (50 Einw.), 997 m üdM, Provinz León

26. Etappe bis Manjarín, 21 km

Ich traue mich gar nicht aus dem Fenster zu sehen. Die Geräusche, die von draußen zu mir dringen sind mir sehr bekannt und ich will das nicht hören. Es regnet immer noch. Ich kuschel mich noch ein bisschen tiefer in meine Bettdecke und die Verführung einfach mal einen Tag im Bett zu bleiben ist sehr groß. Bei genauerem Hinhören, fällt mir hingegen sehr angenehm auf, dass der Sturm sich verzogen hat. Nur Regen? Weiter nichts? Na gut, dann steh ich doch auf! Seichter Mai-Regen macht ja bekanntlich schön.

Zum Frühstück haben sich wahrscheinlich komplett alle zur gleichen Zeit verabredet. Das Lokal ist brechendvoll. Ruddi hat den Tarnumhang übergeworfen und weilt an meiner Brust. El Ganso ist nur vier Kilometer entfernt. Bis dahin werde ich es wohl ohne Frühstück überleben. Entschlossen bezahle ich mein Zimmer und verabschiede mich mit einem Zwinkern und „Gracias por todo“ von meinem Salvador (Retter).

Im großen Torbogen draußen vor der Tür stehen jede Menge Rucksäcke rum. Die Pilgerkollegen sind alle total aufgeregt. Was ist denn bloß los? Sie schnattern wie die Gänse auf der Wiese kurz vor dem Weihnachtsfest. Es scheint Bedrohliches auf uns zuzukommen. Bevor ich mich hier anstecke, mach ich mich lieber auf den Weg. Wenn es ernst wäre, hätte mich der hilfsbereite Wirt mit Sicherheit gewarnt. Ich quetsche mich mit meinem Rucksack auf dem Rücken und Ruddi unterm Poncho - also viel Volumen -durch die Menge. Niemand nimmt mich wirklich wahr. Ich schnappe immer wieder auf dass es eine Unverschämtheit von „ganz oben“ ist, die Himmelsschleusen nicht für heute geschlossen zu halten. Ja, meine lieben Freunde, mein Statement dazu würde lauten: „Finde den Mut Dinge zu ändern, die Du ändern kannst. Finde die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die Du nicht ändern kannst. Sei weise, zwischen diesen beiden zu unterscheiden.“ In diesem Fall müsst ihr nicht besonders weise sein!

Ich gebe zu: Es ist deutlich mehr, als ein erfrischender Mai-Regen und die Temperatur dürfte auch ein bisschen höher sein. Aber die ganze Aufregung bringt einen schließlich nicht weiter und so verlasse ich unbemerkt die Pilgerkolonie. Ich muss lachen, als ich - endlich mit viel Platz um mich herum - im Regen stehend die Kulisse von außen betrachte. Amüsiert rufe ich ihnen ein „buen camino, amigos“ zu. Aber das dringt nicht zu ihnen durch.

Einige Meter weiter mach ich mich fünf Kilo leichter und setze Ruddi vor mir ab. Wie von der Tarantel gestochen läuft er los. Der hat schon meine Gedanken gelesen und weiß, dass er gleich wieder in das „böse“ Regencape einziehen soll. Auf einer Bank am Ortsrand ist es dann soweit. Ich krame das Ding raus und... Perrito ist nun wirklich unsichtbar. Ich kann ihn nirgends entdecken. Lachen oder heulen? Ich will zumindest versuchen, ihn zur Vernunft zu bringen, wenn ich noch eine Chance habe und er mich jetzt nicht für immer verlassen hat. Aber so eine Quälerei wie gestern, kommt auch für mich nicht mehr in Frage.

Ich halte Ausschau nach ihm. Wo steckt der denn nur? Das gibt es doch gar nicht! Ich lasse die Leckerchen-Tüte kreisen, aber auch das bringt nichts. Kein Hund in Sicht. Das zeigt mir deutlich, wie schlimm das Regencape für ihn sein muss. Leckerchen haben eine unglaubliche Anziehungskraft. Wenn die nicht ziehen, wird es ernst. Ich rauche eine Zigarette und versuche ruhig zu bleiben. Immer noch kein Lebenszeichen. Plötzlich erscheint ein ortsansässiger Hund auf der Bildfläche und dann, das Unfassbare: Ruddi kommt unter der Bank vor, auf der ich die ganze Zeit sitze und unterhält sich - in sicherem Abstand zu mir - angeregt und fröhlich mit seinem Artgenossen. Manchmal ist er ein Satansbraten.

Als sein neuer Kumpel wieder los muss, lasse ich die Leckerlis wieder kreisen. Ruddi scheint für einen Moment vergessen zu haben, worum es eigentlich geht und kommt tatsächlich zu mir. Vielleicht hat ihm aber auch der Kollege ins Gewissen geredet und er ist einfach zur Vernunft gekommen. Er lässt sich jedenfalls ohne großen Widerstand das Cape überziehen und setzt sich vor mir auf die nasse Wiese. Dafür kriegt er natürlich eine Menge Lob und Extra-Lecker.

Na also, geht doch! Endlich kann die heutige Etappe beginnen. Gut gelaunt setze ich mich in Bewegung. Sicherheitshalber schau ich nach ungefähr dreißig Metern nach meinem Hund und glaube es nicht: Er ist wieder zum Steiff-Tier geworden. „Komm jetzt, Ruddi! Stell Dich nicht so an!“ Das war zu viel! Er heult in den höchsten Tönen. Ab und zu kommt ein Pilger vorbei. Sie halten alle meinem Schnurzel die Stange.

Eine Frau sagt kopfschüttelnd: „Ein Hund braucht keinen Regenmantel, der hat sein Fell und wird auch nicht krank.“ So eine Frechheit! Wenn die wüsste wie wütend mich meine Verzweiflung gerade macht! Ich halte lieber meinen Mund, will ja nicht ausfallend werden. Aber die Gedanken sind frei: „Und du hast einen Regenponcho! Warum hast Du eben im Torbogen lamentiert? Hast Du etwa auch kein warmes Wohnzimmer zur Erholung in deinem Rucksack?“ Boah, ich könnte...! Ungefähr sechs, sieben Leute machen mich von der Seite an. So langsam muss ich es als Zeichen von oben werten und habe endlich ein Einsehen. Ein Blitzgedanke rüttelt mich endgültig auf und mir ist klar: Die Frau hat, ohne es zu wissen, haargenau meine wahre Einstellung zum Thema „Kleidung für Hunde“ deutlich gemacht. Sie hat mich quasi nur daran erinnert. Wäre sie noch in Hörweite, würde ich mich bedanken.

Ich befreie das Häufchen Elend auf der Wiese von dem Stressauslöser, packe das Ding in die allerhinterste Ecke meines Rucksacks und verspreche Ruddi, es nie wieder rauszuholen. Endlich können wir wie gewohnt harmonisch und glücklich - trotz Regen - unseren Weg fortsetzen. Ich will keinen Gedanken mehr daran verschwenden und vertraue meinem Vierbeiner. Er hat hier in Spanien schon tausendmal seinen guten Instinkt bewiesen und den hat er mit Sicherheit auch für seine Gesundheit. Basta!

Ohne Sturm ist Regen gar nicht so schlimm und wir gehen ganz gemütlich die gleiche ruhige Landstraße entlang wie gestern. Gegen elf Uhr erreichen wir El Ganso. Von den 50 Einwohnern ist bei dem Wetter nichts zu sehen. Ein Schriftzug weist daraufhin, dass ich mich vor einem „Lokal“ befinde. Endlich bekomme ich einen Café con leche. Durch einen Plastikvorhang betrete ich eine... ja, wie soll ich das Ding bezeichnen? Ich nenne es mal Scheune! Lehmboden, Biertischgarnituren, provisorische Theke, viele biertrinkende Pilger und der entsprechende Lärmpegel. Außerdem ist es kalt und knüselig. Ich setze mich zu der Meute, beschließe aber, hier nichts mit Milch zu trinken, wer weiß... Bei einer Cola bin ich bemüht, mich einzugliedern. Das will aber nicht so recht gelingen. Ich bin nicht in Party-Stimmung. Obwohl der nächste Ort sieben Kilometer weit weg ist, verlasse ich schon nach einigen Minuten diesen an Jahrmarkt erinnernden Platz.

Einige Pilger gehen direkt nebenan in ein Haus. Ich frage nach und erfahre, dass das eine Bar ist. Da wäre ich alleine nicht drauf gekommen. Ich schließe mich ihnen an und werde sehr angenehm überrascht. Durch einen privaten Flur gelange ich in ein großes, gemütlich eingerichtetes Wohnzimmer, das auch uns Pilgern zur Verfügung steht. Hier wird geheizt und regelmäßig sauber gemacht. Es gibt eine Theke, ungefähr einen Meterfünfzig lang, an der ein Schild befestigt ist auf dem steht: Santiago 240 km. Ich werde sehr andächtig. Das ist ja nur noch ein Katzensprung bis zum Ziel. Wahnsinn!

Die Wirtin ist gut drauf und macht mir mit viel Liebe einen außergewöhnlich guten, besonders großen Café con leche. Ein Deutscher, so um die fünfzig, setzt sich zu mir an den Tisch und erzählt, dass er jedes Jahr in diese Gegend kommt um für vier Wochen ins Kloster zu gehen. Auf diese Idee kam er, während er „seinen“ Camino Francés gelaufen ist. Seitdem ist der Klosteraufenthalt für ihn die allerbeste Möglichkeit, zu sich zu kommen und Kraft zu tanken. Er lässt sich während dieser vier Wochen komplett und mit allem Drum und Dran auf dieses Leben ein. Er hat meinen vollen Respekt, aber zum jetzigen Zeitpunkt könnte ich mir das für mich nicht vorstellen. Ich erfreue mich auf dem Jakobsweg jeden Tag aufs Neue an den unterschiedlichsten Menschen und Situationen - wenn auch manchmal erst im Nachhinein.

Gerade als ich mich verabschieden will, lerne ich die Mutter der Wirtin kennen. Diese ungefähr einen Meterfünfzig kleine Frau, hält einen Schlüssel in der Hand, der so groß ist, als passte er in ein Kathedralen-Tor. Fasziniert frage ich sie, welche Tür sie mit solch einem Schlüssel aufschließt. Entgeistert und überrascht darüber, wie ich so eine Frage stellen kann, schaut sie mich an und sagt lachend: „Mi puerta de entrada, qué más (meine Haustür, was sonst)?“ Tja, mit dem kleinen Handtäschchen kann diese Frau nicht zum Dinner in die City fahren - soviel steht fest.

Also, ich will nicht falsch verstanden werden, aber die Häuser in El Ganso sind so klein und dieser Schlüssel ist so groß... Allerdings sind die „teitadas (mit Stroh bedeckte Häuser)“ auch vorrömischen Ursprungs und dieser Schlüssel ist mit Sicherheit viele, viele Jahre alt und möglicherweise vielleicht sogar sehr, sehr wertvoll. Wer weiß!?

Ein Blick zurück in das Örtchen macht mir nochmal deutlich, dass es sich nicht gerade um eine reiche Gegend handelt. Früher war die Maragatería, mit ihrer ganz eigenen Architektur und Kultur, als Gebiet der Maultiertreiber bekannt. Die Dörfchen hatte man teilweise schon aufgegeben. Durch den Jakobsweg jedoch haben sie eine rettende Einnahmequelle gefunden. Hier findet man sicher keine Millionäre. Es zählen andere Werte. Die beiden Frauen zum Beispiel betreiben mit viel Herzblut ihre kleine Bar und genießen den Kontakt zur großen, weiten Welt in Form der Pilger, die immer spannende Geschichten zu erzählen haben - oder blöde Fragen stellen.

Um 12.15 Uhr ziehe ich los Richtung Rabanal del Camino. Der stetige Anstieg in die Montes de León ist nicht mehr zu übersehen. Während Santa Catalina noch auf 997 Metern über dem Meeresspiegel liegt, werden es nach den nächsten sieben Kilometern in Rabanal del Camino schon 1149 Meter sein.

Die letzten Kilometer bis zu diesem Ort führen die Fußpilger von der Landstraße weg durch ein Waldgebiet, das abgezäunt ist. Ich erinnere mich mit einem mulmigen Gefühl an den Hinweis meines Reiseführers, dass hier noch Wölfe leben. Da ich keine abgerissenen Körperteile finde, beschließe ich, ganz ruhig zu bleiben. Ruddi läuft ja auch entspannt vor mir her. Der Himmel hat seine Schleusen übrigens immer noch nicht geschlossen. Es ist sehr anstrengend diesen Weg durch die ursprüngliche Natur zu bewältigen. Er ist überaus uneben, steinig und schlammig. Das ist wohl der Grund dafür, weshalb Radpilger auf der Landstraße weiterfahren sollen. Nach langer Zeit erfordert das Gehen wieder meine volle Konzentration.

Glücklich und zufrieden, ohne auch nur einen Wolf heulen gehört zu haben, spaziere ich in eine Bar. Die Stimmung ist großartig, alle Tische sind besetzt. Ich wähle einen freien Stuhl und lasse mich nach zustimmenden Blicken bei vier Pilgerkollegen, die ich vorher noch nie gesehen habe, nieder. Schnell komme ich mit einem der beiden Pärchen ins Gespräch. Mir fällt auf, dass das andere Paar sehr still und zurückhaltend ist. Sie sind ungefähr dreißig Jahre alt und schauen mich ab und zu verstohlen an. Was mögen die denn bloß haben? Stimmt was nicht mit mir? Bin ich nicht schick genug? Oder ist die Hundedecke nicht sauber genug? Ich weiß es nicht! Am besten ignorieren.

Mir fällt auf, dass sich die meisten etwas zu essen bestellt haben und gönne mir tatsächlich eine Portion Fritten mit Mayo. Heimatgefühl! Super Idee, die sind richtig lecker! Ganz versunken in diesen außergewöhnlichen Snack, von dem Ruddi ab und zu auch ein Stückchen unter dem Tisch findet, nehme ich nur am Rande war, dass das gesprächigere Pärchen sich verabschiedet. Ich weiß nicht warum, aber jetzt tauen die beiden Jüngeren von einem Moment auf den anderen auf. Ich frage nicht und sie äußern sich nicht über ihre Beweggründe, sich bis eben so zurückgehalten zu haben. Fakt ist, dass wir nun eine überaus angenehme und anregende Unterhaltung mit allseitigem Interesse aneinander führen. Sie heißen Thomas und Gabi und sind mit die liebenswürdigsten Menschen, die ich auf diesem Weg kennengelernt habe.

Obwohl Thomas und Gabi mich inständig bitten, es ihnen nachzumachen und bei dem Wetter hier im Ort zu übernachten, setze ich meinen Dickschädel ein weiteres Mal durch und mache mich auf den Weg in die Berge. Die Warnung, dass es sehr neblig sein wird und der Camino ab jetzt auch gefährlich werden kann, will ich nicht an mich herankommen lassen. Ich bin durch die Pyrenäen gelaufen, da werde ich das hier wohl auch noch schaffen.

Die nächsten 5,6 Kilometer beinhalten 300 Höhenmeter. Da ist Kraxeln angesagt. Viele tausend Minischritte, damit es überhaupt weitergeht. Auf Fahr- und Fußwegen geht es gnadenlos im Nebel durch Matsch und Schlamm den Berg hinauf. Die Landstraße, an der es sich so schön laufen ließ, kreuze ich ab und zu. Jedes Mal überlege ich, ob es wohl besser wäre, ihr zu folgen, aber mein Reiseführer zeigt mir an, dass das ein großer Umweg wäre. Schnurzel ist wider Erwarten erstaunlich fröhlich im Regen unterwegs. Vor der Bekanntschaft mit dem Regencape hätte er sich schon lange eine Unterstellmöglichkeit gesucht.

Endlich in Foncebadón angekommen, bin ich fix und fertig und beschließe, hier zu übernachten. Es gießt nun wieder in Strömen und der Sturm ist mindestens so stark wie gestern. Aber auf 1439 Metern ist es dazu auch noch bitterkalt. Ich muss schnellstens über den Berg, so warme Klamotten habe ich gar nicht dabei. Wenn es morgen nicht besser ist, muss ich alles anziehen, was mein Rucksack so hergibt.

Es ist fast ein Wunder, dass ich in diesem 50-Seelen-Örtchen überhaupt jemanden treffe. Aber zwei Pilgerinnen, die aus der Kirche kommen, geben mir den Tipp, mich da mal vorzustellen. Die Kirche hat eine Herberge in einem Seitenflügel. Ich klettere also die Treppe zum Nebeneingang hinauf und öffne die Tür. Nun stehe ich in einem winzigen, dafür umso höheren Raum. Ein Ofen wurde angefeuert. Dieses Feuer verbreitet eine unglaublich wohlige Wärme. Mein Blick fällt in eine Kammer, in der Etagenbetten stehen. Zwei Pilgerinnen bauen sich vor mir auf und verlangen per Handzeichen von mir, meinen Hund draußen zu lassen. Ich reagiere auf diese ungeheure Forderung, indem ich Ruddi’s Taschenbett hervorzaubere, ihn hineinsetze und den Reißverschluss zuziehe. Sie lassen mich jetzt zwar Platz nehmen, sehen aber immer noch nicht begeistert aus. Sie machen mir unmissverständlich klar, dass Hunde auf keinen Fall in eine Kirche gehören und jagen mir Angst vor dem Herbergsvater ein, der jeden Moment kommen soll und absolut keine Hunde duldet.

Sie machen sich auf dem Ofen ein paar Scheiben Weißbrot heiß und ich giere danach. Das geröstete Brot verströmt einen köstlichen Duft. Mir fällt auf, dass ich heute außer den Fritten noch gar nichts zu mir genommen habe und dem Hungertod plötzlich sehr nahe bin. Ich freu mich schon darauf, eine dieser Scheiben zu essen.

Und dann geschieht etwas für mich Unfassbares: Die beiden Frauen denken gar nicht daran, mir eine Scheibe abzugeben. Sie sitzen direkt vor mir, sehen mich aber nicht mehr und unterhalten sich mit vollem Mund aufgeregt in einer Sprache, die ich nicht kenne. Ich mache einen langen Hals und gebe ein paar Geräusche von mir, vielleicht haben sie mich ja auch nur vergessen. Genervt sehen sie mich kurz an und sagen mir damit, dass sie ihre Ruhe haben wollen. Ich bin geschockt. Und das in einer Kirche!

Damit nicht genug: Der von mir heiß ersehnte Hospitalero ist nur gesprächsbereit, wenn die Hundetasche draußen steht. Die Damen haben ihn natürlich sofort darauf hingewiesen, dass sich in der unscheinbaren Tasche ein Hund befindet. Wie sind die denn hier drauf? Was ist mit der Nächstenliebe? Klar, die ist angeblich vorhanden. Für mich ja, aber unter keinen Umständen für meinen Hund. Die von mir erwähnten Außentemperaturen, die Ruddi nicht überleben würde in der Nacht, beeindrucken den Mann nicht. Ein Blick in die Hundetasche ebenfalls nicht. Er geht mit mir raus in den strömenden Regen und peitschenden Sturm und zeigt mir hinter einem Gitter, am Fuße einer Statue ein „geschütztes Plätzchen“ wo mein Kleiner übernachten könnte. Der muss doch jetzt endlich anfangen zu lachen, mich in den Arm nehmen und mir sagen, dass das nur ein Scherz war und er uns natürlich beide einlässt. Aber das passiert nicht.

Völlig aus der Fassung verlasse ich den christlichen Ort, lasse Ruddi aus dem Sack und schleiche um die Häuser. Tatsächlich finde ich ganz in der Nähe ein Hotel. Na endlich! Ich bin begeistert! An der Bar bestelle ich mir meinen wohlverdienten und dringend nötigen Café con leche. Obwohl die hier alle Hände voll zu tun haben - mindestens 40 Pilger klopfen mit Messern und Gabeln auf die Tische - werde ich sehr freundlich und zuvorkommend bedient. Also gibt es auch in Foncebadón herzliche Menschen.

Zu schnell ist dieser Traum ausgeträumt. Sie haben Ruddi lediglich zunächst übersehen. „Hier werden keine Hunde geduldet und außerdem ist kein Zimmer mehr frei.“ Diese Nachricht wird mir knapp und eiskalt überbracht. Nur schwer kann ich die Tränen zurückhalten und mein Entsetzen verbergen. „Was? Leute, guckt mal auf die Uhr. Es ist halb sieben! Vier Kilometer im dichten Nebel und Unwetter den Berg rauf und auch wieder ein Stück runter schaffe ich heute nicht mehr. Seht mich doch mal an. Ich bin völlig am Ende! Ihr werdet doch irgendwo in diesem großen Haus ein Eckchen haben, in dem ich übernachten kann - mit einer Tasche neben mir, in der ein Fünf-Kilo-Hund tief und fest schläft.“ Das sind meine wirren Gedanken, ich spreche das nicht aus. Ein Pilger kommt zu mir und fragt was los ist. Tränen rollen unaufhaltsam über mein Gesicht.

Er schnappt sich entrüstet die Wirtin und spricht auf Spanisch mit ihr über mein Dilemma. Sie lässt sich nicht erweichen, betont, dass sie kein einziges Bett mehr frei hat. Er kommt zu mir zurück, tröstet mich so gut er kann und plötzlich hat er die Idee: „Ich gebe Dir mein Zimmer. Ich schlafe in meinem Schlafsack hier im Restaurant, da hinten auf der Bank.“ Das bekommt die Señora mit und bittet mich mit einem Blick auf Ruddi, sofort zu gehen. Sie lässt mich nicht mehr aus den Augen. Der Pilger, der mir seine Hilfe angeboten hat, wird böse und setzt sich lautstark für mich ein. Bevor das hier eskaliert, ziehe ich den Rückzug vor. Ich bedanke mich bei ihm. Er will nicht, dass ich gehe, aber ich sollte keine Zeit mehr verlieren. Es wird immer später und es steht fest: In Foncebadón finde ich zum allerersten Mal, nach 550 Kilometern auf dem Jakobsweg, keine Unterkunft - nicht mal eine Ecke in einem Durchgangszimmer!

Heulend vor Wut verlasse ich das Dorf. Käme jetzt ein zähnefletschender Wolf auf mich zugerannt, würde ich ihn ohne mit der Wimper zu zucken mit der bloßen Hand umhauen. Und er würde für lange Zeit liegenbleiben! Schon Dreiviertelstunde später stehe ich vor dem berühmten Cruz de Ferro, an dessen Fuß jeder Pilger zumindest einen Stein ablegt, und habe überhaupt keinen Kopf dafür. Es ist mir gerade völlig egal, was um mich herum steht oder passiert. Dabei war ich so gespannt auf die symbolträchtigste Wegmarkierung des Caminos. Ich bekomme mich nicht in den Griff, zwinge mich aber dazu, wenigstens über den Steinberg zu laufen, der durch die Steine der unzähligen Pilger seit Jahrhunderten täglich größer wird. Das ist anstrengend und während ich hier auch noch Gefahr laufe, zu stürzen, berührt mich das uralte Monument kein bisschen. Ich will nur weg, weit weg von Foncebadón.

Noch zwei Kilometer, dann erreiche ich Manjarín. Hier gibt es eine Herberge, aber will und darf ich da übernachten? El Acebo ist von dort aus nochmal sieben Kilometer weit entfernt und ich müsste einen steilen Berg in der Dunkelheit hinunterlaufen. In meiner momentanen Verfassung ginge das selbst bei Sonnenschein nicht. Wenn ich stürze und mich verletze, findet man mich garantiert frühestens morgen und dazu noch als Eisblock. Das wäre unverantwortlich.

5 1/2 Wochen
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