Donnerstag, 17.April 2008

Roncesvalles (50 Einwohner), 960 m ÜdM, Navarreser Pyrenäen

3. Etappe bis Zubiri, 21,8 km

Als ich wach werde, habe ich das Gefühl, mich hätte eins der Pferde von gestern getreten. Ich bin zwar nur 160 Zentimeter groß, aber wenn die komplett wehtun, ist das ne Menge. Mal überlegen, wie komme ich am besten in Gang? Ach ja, ich habe doch das Gel gegen Muskelschmerz dabei. Das einzige „Medikament“ in meinem Rucksack. Ich reibe meine Beine damit ein und glaube fest daran, dass es sofort wirkt. Funktioniert immer - auch ohne Gel!

Ruddi ist voller Tatendrang, nachdem er sein Frühstück vertilgt hat. Meine sieben Sachen habe ich schnell eingepackt und wir gehen runter zum Frühstück. Das heißt, ich gehe - Ruddi wird von mir in seiner Tasche getragen. Ein bisschen Geduld muss er noch aufbringen, bis er sich frei bewegen kann. Bis jetzt hat ihn niemand der Hotelangestellten entdeckt. Dabei soll es auch bleiben. Die Nacht ist zwar rum - was kann schon passieren? Aber man soll „schlafende Hunde“ ja bekanntlich nicht wecken.

Gegen 8.30 Uhr treffe ich im noblen Frühstücksraum des Hotels Hermann. Er erzählt von seiner Nacht in dem riesigen 120-Betten-Saal im Kloster: „Einerseits beneide ich Dich um das Hotelzimmer, das Du für Dich alleine hattest, andererseits war die Nacht ein einmaliges Erlebnis. In dem riesigen Saal des mittelalterlichen Klosters herrscht eine besondere Atmosphäre. Eben wurden wir durch Orgelmusik geweckt. Auch wenn in der Nacht mit bestimmt 100 Personen keine wirkliche Ruhe aufkam, muss man das mal erlebt haben“, berichtet er.

„Jede Nacht brauche ich die Geräusche, die so viele Menschen machen, allerdings auch nicht. Ich werde wohl ebenfalls ab und zu in einer Pension übernachten.“

Gut gestärkt - es gab sogar Käse zum Brot - machen wir uns gegen 9.30 Uhr auf den Weg. Hermann hat seinen Rucksack nach Zubiri vorgeschickt. Dahin müssen wir also heute auf jeden Fall laufen, egal was passiert. Seine Schultern sind lädiert. Trotzdem will er Ruddi in der Hundetasche, die man auch auf dem Rücken tragen kann, transportieren, weil es fürchterlich regnet. Ich halte das nicht für nötig. Zuhause läuft mein Hund, wenn es so auskommt, notgedrungen durch den Regen. Ich habe Schnurzel vor acht Jahren, als wir uns kennen gelernt haben versprochen, ihn, soweit es mir möglich ist, Hund sein zu lassen. Das bedeutet für mich unter anderem:

1. So oft wie nur möglich ohne Leine laufen.

2. Er bekommt Hundefutter - kein Menschenessen! Okay, ab und zu mal einen kleinen Rest.

3. Solange er sich zivilisiert benimmt, hat er viele Treffen mit seinen Kumpels.

4. Ich werde ihm niemals einen Regenmantel anziehen - er hat ja schließlich seinen ureigenen Regen- und Wetterschutz als Hund.

Und wie durch ein Wunder hat er es bis heute überlebt - ist noch nicht einmal krank gewesen. Hermann besteht allerdings darauf, dass das hier eine andere Situation ist: „Der Hund ist mit uns acht bis neun Stunden am Tag unterwegs. Außerdem ist es ziemlich kalt hier oben. Ruddi kommt nicht nach einer Stunde nach Hause ins warme Wohnzimmer auf die Couch zum Trocknen. Wenn er krank wird, kannst Du den Camino vergessen“. Von der Seite habe ich das noch nicht betrachtet und muss ihm recht geben. Ich setze allerdings entgegen, dass das seiner Schulter nicht gut tut und ich meinen Vierbeiner unter dem Poncho in seinem Notfallnetz tragen will. So bleibt er auch trocken und warm.

Hermann erwidert: „Die sechs Kilo machen mir nichts aus. Mein Rucksack wiegt siebzehn.“ Ich denke: „17 Kilo? Ob der meine Münchner Mädels kennt?“ Na ja, da will ich in diesem Moment nicht näher drauf eingehen. Ich verleihe meiner Dankbarkeit Ausdruck. Da Ruddi Wasser hasst, springt er gerne wieder in sein rettendes Hundehäuschen und fühlt sich bestimmt wie ein Prinz in einer Sänfte.

Wir verlassen das Hotel, überqueren die Landstraße und stehen vor einem riesigen Hinweisschild für Autofahrer. Ich bin davon überzeugt, dass es da steht, um Pilger zu erschrecken: SANTIAGO DE COMPOSTELA 790 KM. Na, das geht doch noch - vorne steht keine Acht. Gott sei Dank setzt mein Gehirn diese Information nicht wirklich um. Damit wäre ich dann auch überfordert. Ich bekomme nur die Mitteilung aus meinem Kopf: „Du hast noch 34 bis 35 Tage Zeit. Lauf täglich so um die 22 Kilometer, dann bist Du am 20. oder 21. Mai am Ziel.“ Na toll! Die ersten beiden Etappen waren zusammen nur 25 Kilometer. Also muss ich den Durchschnitt erhöhen. „Bleib ruhig. Es sind die ersten Tage. Irgendwann kommen leichter zu bewältigende Streckenabschnitte. Zur richtigen Zeit holst Du das wieder rein“, flüstert mir meine innere Stimme zu. „Du hattest Dir doch fest vorgenommen, diese außergewöhnliche körperliche Anstrengung langsam angehen zu lassen, um Deinem Körper die Chance zu geben, sich an das Gehen und das Gewicht des Rucksacks gewöhnen zu können.“

Also, weiter geht’s! Auf einem Trampelpfad neben der Landstraße beginnen wir die heutige Etappe. Es gilt, fast 22 Kilometer zu gehen. Wir sind noch sehr ungeübt im „Camino-Wegweiser-Lesen“ und verlaufen uns zuerst einmal. Der Weg wird zusehends schlechter, wir gehen immer wieder durch das Gebüsch, weil der Pfad so schlammig ist, dass man ihn nicht benutzen kann. Ich hätte besser ein Buschmesser in den Rucksack gepackt. Jetzt schlittern wir auch noch über eine glitschige Wiese, steigen über kleine Abgrenzungen zwischen den Feldern oder Weiden, passieren ein Tor, das wir sorgfältig wieder verschließen und sind nun auf einem breiten Weg gelandet, der uns Hoffnung gibt. Dieser Weg symbolisiert endlich wieder Zivilisation. Es bleibt das Gefühl, sich verlaufen zu haben.

Wir wundern uns über die Aussicht auf einen kleinen Ort mit großen, alten Gebäuden. Das nächste Dorf ist laut Wanderführer drei Kilometer entfernt, soweit sind wir noch gar nicht gelaufen! Langsam dämmert es uns: Das darf doch nicht wahr sein! Wir haben einen tollen Blick auf das jetzt wieder vor uns liegende Roncesvalles. Wir haben also einen Rundgang gemacht. Ist zwar schön anzusehen, aber nicht das, was wir erreichen wollten.

Wir gehen den beschwerlichen Weg nur äußerlich entspannt zurück und stoßen nach zirka insgesamt drei Kilometern zusätzlich endlich auf den Camino Francés. Durch die Eichen- und Buchenwälder lässt es sich angenehm laufen. Von sehr starkem Regen begleitet erreichen wir nach gut zehn statt sieben Kilometern den kleinen Ort Espinal. Auf dem „richtigen Weg“ entdeckt man immer wieder Hinweise in Gelb oder (noch) Weiß-Rot.

Wir sind erschöpft und suchen eine auf Plakaten angepriesene Bar auf, die allerdings etwas abseits vom Camino liegt. Drinnen sitzen vier Spanierinnen am Tisch. Wir stolpern mit einem fröhlichen „Hola“ an den Tisch neben ihnen. Sie grüßen freundlich zurück und lassen sich nicht weiter beim Mittagessen und ihrer angeregten Unterhaltung stören.

Die Regenkleidung, die wir abgelegt haben, hinterlässt kleine Pfützen auf dem Boden. Hermann besorgt uns „Café con leche“ - das ist übrigens köstlicher Milchkaffee - und wir lachen uns darüber kaputt, wie abgerissen wir beide aussehen. Ruddi bewegt sich unruhig in seiner Tasche und ich beschließe, trotz des Gerüchts „die Spanier mögen keine Hunde und lassen sie nirgendwo rein“, ihn einfach mal zu zeigen. Ich kann und will ihn nicht fast sechs Wochen lang verstecken. Vielleicht sind die Spanier gar nicht so zu den Hunden, wie man immer wieder hört. Hermann ist der gleichen Meinung wie ich. Wer kann diesem Kleinen schon widerstehen?

Obwohl er schon acht Jahre alt ist, sieht er auf den ersten Blick immer noch wie ein Welpe aus und so wird er gewöhnlich auch empfangen. Es dauert eine Weile, bis die Frauen und der Wirt ihn überhaupt wahrnehmen. Die Spannung steigt. Sie erschrecken sich, die ein oder andere will im ersten Moment vom Stuhl aufspringen, vor dem Fünf-Kilo-Kampfhund flüchten. Dann kommen sie zu sich und sind geschlossen der Meinung: „Qué bonito (wie süß!).“ Er hat durch seinen Hunde-Charme mal wieder gewonnen.

Viel zu lange bleiben wir in dieser gemütlichen Bar und trinken einige Cafés con leche. Die Hoffnung, dass es aufhört zu regnen, müssen wir aufgeben. Also powern wir uns gegenseitig und setzen uns in Bewegung. Hermann ist der Meinung, dass wir geradeaus Weitergehen müssen, mein Orientierungssinn schlüge lieber den Weg nach links in den Ortskern ein. Mein Begleiter ist sich jedoch hundertprozentig sicher, dass er recht hat und ich folge ihm — entscheide mich also gegen mein Bauchgefühl. Wir hetzen eine viel befahrene, schnurgerade Landstraße hinunter und wieder hinauf. Ich habe Angst, von einem LKW oder Bus gestreift zu werden. Die fahren hier mit Sicherheit schneller, als die Polizei erlaubt. Als wir in einer Einmündung kurz stehen bleiben, entdecken wir auf der anderen Straßenseite einen Trampelpfad. Wir klettern über die Leitplanke und können nun gefahrlos in angemessenem Tempo unseren Weg fortsetzen.

Nach annähernd zwei Kilometern können wir immer noch keinen gelben Pfeil entdecken, der uns die Sicherheit geben würde, auf dem offiziellen Camino unterwegs zu sein. Ich glaube ja schon deshalb nicht daran, weil ich bereits die zweite Parkbank gesehen habe. Bänke hat es bis jetzt nicht auf dem Camino gegeben. Pilger sollen laufen, wenn sie sitzen wollen, muss ein dicker Stein oder Ähnliches reichen. Ein Brunnenrand wird auch sehr gerne genommen. Hermann wird jetzt ebenfalls so langsam unruhig: „Bleib hier mal stehen. Ich laufe ein Stückchen weiter und guck mal wo die Straße hinführt.“ „Oh, nein! Bitte nicht schon wieder!“ denke ich. Er kommt mit schlechten Nachrichten zurück: „Hier geht es nach Frankreich.“ „Wie Frankreich? Da kommen wir doch her!“ Meine innere Stimme lacht sich kaputt: „Hab ich Dir doch gesagt.“ Feierlich und gleichsam resolut erkläre ich: „Mein Orientierungssinn ist besser als Deiner, also verlasse ich mich von jetzt an auch auf ihn - ob Du dann mitgehst, ist natürlich Deine Entscheidung.“ Es hört auf zu regnen, Ruddi darf und will nun endlich mal selber laufen, nicht zuletzt deshalb, weil es in der Tasche ein bisschen nass geworden ist. Wir setzen unseren Weg einträchtig fort. Durch unsere Unachtsamkeit kommen wir heute auf knappe 27 Kilometer. Ich sage nur: „Gelbe Pfeile suchen und alles ist gut.“

Nach einer halben Stunde schüttet es wieder. Ruddi hüpft erneut liebend gerne in seine schützende Behausung auf dem Rücken meines Weggefährten, trotz der feuchten Wände. Dann wird’s richtig spannend. Der Camino fordert uns wieder heraus. Nach einem aufsteigenden Weg, geht es im Wald durch „ausgetrocknete“ Bachläufe fast senkrecht wieder runter, dann rauf, nochmal runter... und das scheint vorerst kein Ende zu nehmen. Auch diese Etappe wäre ohne Wanderstöcke nicht durchführbar. Wenn man hier ausrutscht, sieht man garantiert „alt“ aus.

Mein ganzer Körper schmerzt. Jeder Schritt erfordert die volle Konzentration. Wir kommen nur Meter für Meter voran. „Nicht denken, weitermachen“, meldet sich meine innere Stimme wieder, „das haben andere vor Dir auch geschafft. Halte die Steine im Auge und prüfe, ob sie festliegen, bevor Du drauf trittst.“ Wenn man sich hier umschauen möchte, muss man stehen bleiben, damit man nicht stürzt. Wir unterhalten uns nicht mehr. Jeder ist mit sich selbst beschäftigt.

Irgendwie gleicht dieser Weg meinem momentanen Leben zu Hause: Ich weiß nicht so recht, wie ich es angehen soll. Einerseits ist es scheinbar einfach, so, wie dieser Camino Francés auf Fotos wirkt. Andererseits liegen unverhofft Steine im Weg oder ich habe das Gefühl, mir würden Knüppel vor die Füße geworfen. Manchmal denke ich, mir zieht einer den Boden unter den Füßen weg und ich weiß nicht, wie ich das umgehen kann, ohne so unendlich viel Kraft aufzuwenden. Wird der nächste Schritt der richtige sein? Bringt er mich - ohne Umwege - weiter, oder fall ich auf die Nase? Nur nicht zurückblicken! Was hinter mir liegt, habe ich ja schon bewältigt. Aber auch nicht zu weit nach vorne gucken, dann stolpere ich über das, was direkt vor mir liegt. Der Regen macht mich nur nass, wenn ich mich nicht vor ihm schütze. Und der Schutz ist lediglich ein dünner, flatternder, knallroter Poncho. Von weitem schon zu erkennen, dass ich nicht immer so aussehe, sondern mich notgedrungen in meinem „Schneckenhaus“ verstecke, damit ich nicht nass (gemacht) werde. Ich habe, Gott sei Dank, immer jemanden hinter mir, der mich im Notfall auffängt. Hier ist es Hermann, zuhause ist es meine Familie.

Ruddi zeigt mir durch seine Unbeschwertheit und Lust am Leben, dass ich das Loslassen praktizieren sollte, einfach im Hier und Jetzt Spaß haben. Wenn mal was Negatives passiert, knurrt und schimpft er lautstark. In der nächsten Sekunde lässt dieser kleine Hund den Ärger einfach wieder los und geht fröhlich weiter seinen Weg, als wäre nichts gewesen. Vergangenheit oder Zukunft kennen Tiere nicht - sie tragen nichts nach und haben niemals Angst vor dem was kommen könnte. Mir fallen die Worte „hab Sonne im Herzen“ ein. Meine Erfahrungen haben mir schon tausende Male gezeigt: Mit einem sonnigen Gemüt ist das Leben ganz leicht und alles funktioniert wie durch Zauberhand. Ich bin gleichfalls davon überzeugt, dass sich diese heutige Etappe bei Sonnenschein ganz anders darstellt - gemütlicher, gefahrloser, wärmer, schöner und unterhaltsamer. Und warum müssen wir uns durch den Schlamm quälen? Weil unsere Gedanken noch verschlammt sind?

Die Wegverhältnisse bleiben so. Diese Etappe scheint kein Ende zu nehmen. Die Schuhe sind durch den angesammelten Matsch doppelt so schwer wie ihr ursprüngliches Gewicht beim Kauf. Damals habe ich mich für die etwas dünnere Sohle entschieden, damit sie nicht so viel wiegen. Seit Oktober letzten Jahres habe ich sie täglich eingelaufen. Das danken mir meine Füße, seit wir in Saint Jean Pied de Port losgelaufen sind. Wir drei gehören zusammen: Meine beiden Schuhe und ich. Sie trotzen selbst dem stärksten Regen und schlimmsten Dreck.

Ich muss lachen, als ich mich an den Kauf dieser knöchelhohen Wanderstiefel erinnere. Zwei, drei Stunden bin ich in dem riesengroßen Geschäft mitten in Köln mit diesen Schuhen Treppen rauf und runter gegangen, über Teststrecken mit dicken Steinen und Neigungen gestolpert und um der Wirklichkeit ganz nah zu kommen, habe ich sogar einen zehn Kilo schweren Rucksack auf meinen Rücken geschnallt. Die hätten da einen Film drehen können: Schweißgebadet vom vielen Schuhe-Anprobieren, die Frisur verrutscht, die Handtasche lieblos um den Hals baumelnd, durch die ungewohnten Kilos auf den Schultern, ein bisschen außer Atem und stark nach vorne gebeugt, eine ausladende Plastiktüte in der linken Hand, Ruddi hocherhobenen Hauptes an der Leine in der rechten Hand und auf der Suche nach einem Schlafsack „wandere“ ich lächelnd - immer die „Contenance“ wahrend - durch das volle Geschäft. Die behaupten zwar hier, dass das die meisten Kunden so machen, aber ich sehe keinen anderen Verrückten. „Egal! Hauptsache meine Ausrüstung und ich passen zusammen, wenn das große Abenteuer beginnt“, dachte ich. Letzten Endes hat sich das bewährt. Bei allen Anstrengungen - die Realität sieht ja doch ein bisschen anders aus - bin ich mit meiner Ausrüstung mehr als zufrieden.

Erst gegen 16 Uhr beginnen Hermann, Ruddi und ich den Aufstieg zum Alto de Erro. Ich weiß nicht, wie ich die noch verbleibenden fast neun Kilometer bis Zubiri schaffen soll. Mir tut wirklich alles unglaublich weh. „Soweit meine Füße mich eben tragen“, hatte ich vor Antritt der Reise geschworen, aber jetzt weiß ich, dass das nicht hinhaut. Hier ist weit und breit nichts, außer einer wunderschönen Landschaft. Aber um ein Bett, eine Dusche und Essbares zu bekommen, muss ich weiterlaufen. Also entschuldige ich mich bei meinem Körper für das nicht einzuhaltende Versprechen und wir stolpern weiter durch Bachläufe und tiefen Schlamm. Diese Füße da unten empfangen keine Infos mehr aus meinem Hirn. Die platschen nur noch bei jedem Schritt auf den Boden - fast einer Ente gleich.

Ich glaube, irgendwann hat mein Körper beschlossen, in Trance weiterzugehen, um nichts mehr spüren zu müssen. Ich nehme gar nicht wahr, dass wir teilweise auf sehr, sehr schmalen Pfaden unterwegs sind, an deren linken Seite der Berg steil nach oben weist und an der rechten der Abgrund lauert. Nebeneinander kann man hier aus Platzmangel nicht laufen. Ruddi und ich gehen also hintereinander vor Hermann an einem dieser ungesicherten Abhänge auf aufgeweichten Wegen. Ich bin mir der Gefahr nicht bewusst, bis Hermann mich leise anspricht: „Halte Dich besser weiter links, ich trau dem Braten nicht. Es hat so viel geregnet, dass der Pfad wegrutschen kann.“ Erst jetzt nehme ich wieder meine Umgebung wahr und bekomme es im ersten Augenblick mit der Angst zu tun.

Was für ein Glück, dass wir zusammen unterwegs sind! Ich bin wieder bei vollem Bewusstsein, konzentriere mich auch hier, wo keine Steine im Weg liegen, auf jeden Schritt und danke meinem „persönlichen Bergführer“ von ganzem Herzen. Wir erklimmen den Alto de Erro unbeschadet und kommen auch heil durch den Wald wieder runter.

Kurz bevor ich weinend zusammenbreche, sehen wir durch die Bäume hindurch Zubiri. Ich dachte schon wir wären daran vorbeigelaufen. Es ist fast 21 Uhr als wir endlich den Ort erreichen. 27 Kilometer sind eindeutig zu viel in der dritten Etappe. Hoffentlich bekomme ich zu dieser Uhrzeit noch ein Zimmer. Erschwerend kommen das „Landstreicher-Outfit“ und der inzwischen ebenfalls nasse und dreckige Ruddi hinzu. Ich werde ihn „schmuggeln“. Hoffentlich bleibt er ruhig in seiner Tasche, die sich langsam aber sicher in einen Swimmingpool verwandelt.

5 1/2 Wochen
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