Gleicher Tag (insgesamt 84 km gelaufen)
Uterga (158 Einwohner), 493 m üdM
Priv. Herberge m. Doppelzimmern, 20 Euro/Pers. ohne Frühstück
Kurz nach 21 Uhr erreichen wir Uterga und der erste Gasthof gehört uns. Es ist eine private Herberge, die von außen aussieht wie eine gemütliche Pension. An der Eingangstür springt mir das No- perro-Schild ins Auge. Na gut! Meinen Poncho habe ich noch an und Ruddi ist blitzschnell darunter verschwunden. Mit dem Hund vor meiner Brust, sehe ich aus, als wäre ich eine Matrone. Die Leute, die hier sitzen, gucken mich etwas befremdet an. Die fragen sich bestimmt: „Wie ist denn die dicke Frau bloß über den Berg gekommen?“ Die Blicke ignorierend gehe ich zielstrebig an die Theke und frage: „Tiene una habitación doble libre? (Haben Sie ein freies Doppelzimmer?)“ Der „guten alten Schule“ nach müsste Hermann diese Frage stellen, aber der spricht überhaupt kein Spanisch. Also muss ich mit meinen „Brocken“ ran. Die Señora hat noch ein Zimmer frei und gibt uns zu verstehen, dass, wenn wir noch etwas zu essen haben wollten, wir das sofort machen müssten, weil die Küche in ein paar Minuten schließt. Super! Und jetzt? Mit Ruddi unterm Poncho kann ich ja wohl nicht essen. Das würde auffallen. Also bestellen wir schon mal und lassen uns flugs das Zimmer zeigen.
Es müsste verboten sein, Pilger unterm Dach auf der dritten Etage unterzubringen. Zumindest wenn es keinen Aufzug gibt. Ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe, die Treppen hochzugehen. Wahrscheinlich war es mein Hund unterm Poncho, der mich angefeuert hat. Die Herbergsmutter hat nichts gemerkt. Gott sei Dank. Der nächste Ort wäre fast drei Kilometer weit weg. Ganz davon abgesehen, dass mein Körper streiken würde, käme ich dort viel zu spät an, um noch ein Zimmer anzumieten.
Ruddi ist wie gewohnt mucksmäuschenstill und regungslos unter meinem Poncho bis wir alleine sind. Dieser Hund ist ne Wucht! Die Wirtin verschwindet auch ganz schnell wieder aus unserer schnuckeligen, sehr kleinen, aber gemütlichen Unterkunft und bittet uns eindringlich, so schnell wie möglich runterzukommen, damit das Mittagessen serviert werden kann. Zackig packe ich Ruddi’s nagelneue Tasche aus dem Rucksack, lege seine Decke hinein und schwupp - liegt er auch schon drin. Ich glaube, er hat sich seit Pamplona darauf gefreut.
Wir ziehen die dreckigen Schuhe aus und quälen uns Stufe für Stufe die Treppe wieder runter. Unsere Knie wollen sich nur noch minimal beugen. Wenn man es positiv ausdrücken möchte, kann man als Zuschauer den Eindruck gewinnen, es kämen unbewegliche Muskelprotze hier herunter gestiegen. Bei jedem Schritt abwärts schwankt der Oberkörper extrem weit nach links oder rechts und der Fußwechsel erfolgt mit einem winzig kleinen beherzten Hüpfer. Auch wenn’s wehtut, aber ohne Essen würden wir beide die Nacht nicht überleben.
Ein Mann und eine Frau halten sich noch in der Bar auf. Sie sind deutsche Pilger. Wir setzen uns an den Tisch neben ihnen und dann stellen sie die böse Frage: „Warst Du nicht eben mit einem Hund unterwegs? Wo ist der denn jetzt?“ Ich kann vor Schreck und Entsetzen nur Zischlaute von mir geben: „Pscht, schschsch. Der ist in der Tasche und keiner darf es wissen!“ Die verstehen meine Aufregung nicht: „Warum nicht?“ „Weil hier Hunde verboten sind.“ Sie staunen über meinen Mut und die Zuversicht, dass er sich ruhig verhält, und dann steht auch schon das Essen vor uns. Wir fallen darüber her, als hätten wir seit Tagen nichts mehr bekommen.
Beunruhigt beobachte ich, dass jetzt die Herbergsmutter die Tür nach draußen abschließt. Tja, da muss Ruddi wohl oder übel bis morgenfrüh durchhalten. Aber das dürfte kein Problem sein, wir waren erst nach 21 Uhr hier. Hermann eröffnet mir nach dem Essen, dass er morgens früher losgehen möchte. Er denkt an sechs Uhr. Das ist mir viel zu früh und wir beschließen, dass wir getrennt laufen werden. Ich habe den Gedanken schon ein, zweimal gehabt, dass ich ursprünglich vorhatte, den Jakobsweg alleine zu gehen. Das schließt ja nicht aus, dass man sich in den Bars oder abends beim Essen trifft.
Wir erledigen noch die Formalitäten und lassen uns den Stempel in den Pilgerausweis drücken, bevor wir den „Aufstieg“ zu unserem Zimmer wagen. Da entdecke ich doch tatsächlich auf der Theke diese blauen Kunststoffarmbänder mit den gelben Pfeilen drauf, die Mary und Lynn tragen. Natürlich kaufe ich mir eins, lege es überglücklich an und fühle mich sofort mit den beiden eng verbunden. Wie es ihnen wohl geht? Wo mögen sie heute gelandet sein?
Anmerkung: Ich habe im Januar 2010 meinen Mädchennamen wieder angenommen. 2008 hieß ich noch Birgit Abitz, wie meinen Pilger-Dokumenten zu entnehmen ist.