50. Lev

Er schenkt Connor am Morgen reinen Wein ein, wenige Stunden bevor Pivane sie zu dem Auto am Nordtor bringen soll. Lev hat gedacht, Connor würde zornig werden, aber er reagiert ganz anders. Zuerst jedenfalls. Aus seinem Gesicht spricht Mitleid, und das findet Lev noch schlimmer als Zorn.

»Aber die wollen dich hier nicht haben, Lev. Was immer du dir da in den Kopf gesetzt hast, du musst es vergessen. Die wollen dich nicht.«

Das ist nur die halbe Wahrheit, aber es tut trotzdem weh. »Das macht nichts«, sagt Lev. »Es zählt, was ich will, nicht was sie wollen.«

»Dann willst du also einfach hier untertauchen? So tun, als wärst du einer aus dem Glücksvolk, ein einfaches Leben im Reservat führen?«

»Ich glaube, dass ich hier etwas bewirken kann.«

»Wie denn? Indem du mit Pivane jagen gehst und die Kaninchenpopulation verkleinerst?« Nun bricht sich Connors Zorn doch noch Bahn, und seine Stimme wird lauter. Gut. Damit kommt Lev besser zurecht.

»Die müssen anfangen, auf Stimmen von außen zu hören. Ich kann so eine Stimme sein!«, erklärt er Connor.

»Wenn du dich nur selbst hören könntest! Dass du nach allem, was du durchgemacht hast, immer noch so naiv bist!«

Nun ist es an Lev, wütend zu werden. »Du bist es doch, der glaubt, eine alte Frau könnte die Welt verändern. Wenn sich hier jemand was vormacht, dann du!«

Darauf weiß Connor nichts zu sagen, vielleicht, weil Lev recht hat.

»Du kannst doch nicht einfach wegsehen«, sagt Connor schließlich, »gerade jetzt, wo sie dabei sind, das U-17-Gesetz zu kippen.«

»Glaubst du wirklich, dass du oder ich daran etwas ändern können?«

»Ja!«, brüllt Connor. »Glaube ich. Und ich werde es tun. Oder sterben.«

»Dann brauchst du meine Hilfe nicht. Ich wäre dir nur ein Klotz am Bein. Lass mich hier etwas Nützliches tun, statt dir immer nur hinterherzutrotten.«

Connors Gesichtsausdruck wird härter. »Gut. Mach verdammt noch mal, was du willst. Ist mir doch egal.« Was offensichtlich nicht stimmt. Dann wirft er Lev noch ein Kärtchen zu, das dieser mit Mühe auffängt.

»Was ist das?«

»Schau es dir an. Das sollte deine neue Identität sein, wenn wir das Reservat verlassen haben.«

Es ist ein gefälschter Arápache-Ausweis, mit einem unscharfen Bild. Er weiß gar nicht, wann das Foto gemacht wurde. Der Name auf dem Ausweis lautet »Mahpee Kinkajou« – Kinkajou, Wickelbär. Lev muss lächeln. »Gefällt mir«, sagt er. »Ich glaube, ich behalte meine neue Identität. Was für einen Namen haben sie dir gegeben?«

Connor sieht seinen Ausweis an. »Bees-Neb Hebííte. Elina sagt, das bedeutet ›gestohlener Hai‹.« Beim Blick auf seinen Arm öffnet er die Faust.

»Danke, dass du mich auf dem Friedhof gerettet hast«, sagt er zu Lev. Seine Wut verfliegt, und er findet sich widerstrebend mit der neuen Situation ab, vielleicht sogar mit ungewolltem Respekt vor Levs Entscheidung. »Und danke, dass du mich vor den Teilepiraten gerettet hast. Wenn du nicht gewesen wärst, hätten die mich mittlerweile wahrscheinlich in alle Welt verteilt.«

Lev zuckt die Schultern. »Das ist doch nicht der Rede wert. Das war nicht schwer.« Sie wissen beide, dass das nicht stimmt.