12. Risa
Sie kann nicht fassen, in welche Lage sie sich gebracht hat.
Obwohl alles dagegensprach, hatte sie so lange überlebt. Und jetzt würde sie dank ihrer eigenen Blödheit sterben.
Sie macht ihre Arroganz dafür verantwortlich. Sie war so sicher gewesen, dass sie zu schlau und zu umsichtig war, um Teilepiraten in die Hände zu fallen, als ob sie irgendwie auf einer höheren Stufe stünde.
Ein baufälliger Stall auf einer verlassenen Farm in Cheyenne, Wyoming. Sie hatte dort während eines Gewitters Schutz vor dem Regen gesucht. In einer Box stand ein Regal mit Lebensmitteln.
Wie blöd kann man sein! Was haben Lebensmittel in einem verlassenen Stall verloren? Wenn sie nachgedacht hätte, wäre sie weggelaufen, hätte es riskiert, vom Blitz getroffen zu werden. Aber sie war müde und hungrig gewesen. Und deshalb unachtsam. Sie griff nach einer Tüte Chips, trat auf einen Stolperdraht und ein federunterstütztes Stahlkabel schlang sich um ihr Handgelenk. Sie war gefangen wie ein Kaninchen. Sie versuchte, sich loszureißen, aber der Draht war so verknotet, dass er sich umso enger zusammenzog, je mehr sie daran zerrte.
Der Teilepirat hatte leichtsinnigerweise verschiedene Farmwerkzeuge in ihrer Reichweite stehen gelassen, aber keines eignete sich dazu, einen Stahldraht durchzuschneiden. Nachdem Risa eine Stunde lang gekämpft hatte, wurde ihr klar, dass sie nur abwarten konnte – und wilde Tiere beneiden, die so klug waren, ihre eigenen Gliedmaßen durchzunagen, um sich aus Fallen zu befreien.
Das war gestern Abend gewesen. Als jetzt der Morgen dämmert, muss Risa sich nach einer schlaflosen Nacht einer neuen Hölle stellen. Eine Stunde nach Sonnenaufgang kommt der Teilepirat – ein Mann mittleren Alters mit einer schlecht ausgeführten Haartransplantation. Sein jungenhafter blonder Haarschopf lässt ihn nicht jugendlicher aussehen, sondern gruselig. Er führt fast einen Freudentanz auf, als er sieht, dass die Falle ihren Zweck erfüllt hat.
»Ist schon seit Monaten da und war immer leer«, sagt er zu Risa. »Ich wollte sie schon aufgeben, aber was lange währt, wird endlich gut.«
In Risa kocht es, und sie denkt an Connor. Wenn sie gestern Abend nur ein bisschen mehr wie er gewesen wäre! Connor wäre niemals so blöd und würde einem Idioten in die Falle tappen.
Dieser Typ ist offensichtlich ein Amateur, aber solange er Ware hat, werden sich die Schwarzmarkthändler nicht von ihm abwenden. Er erkennt sie nicht. Das ist gut. Für die Berühmt-Berüchtigten wird auf dem Schwarzmarkt mehr bezahlt – und sie will nicht, dass dieser Mann kriegt, was sie wert ist. Das setzt natürlich voraus, dass er so weit überhaupt kommt. Risa hatte schließlich die ganze Nacht Zeit, um sich einen Plan auszudenken.
»Wenn ich dich verkaufe, kann ich mir die Banken vom Hals schaffen«, erzählt er vergnügt. »Oder mir wenigstens ein anständiges Auto zulegen.«
»Du musst mich losmachen, bevor du mich verkaufen kannst.«
»Allerdings, das muss ich!«
Er schaut sie ein bisschen zu lange an und grinst dabei ein bisschen zu breit, so dass es Risa in den Sinn kommt, der Verkauf auf dem Schwarzmarkt könnte erst am Ende der von ihm geplanten Aktivitäten stehen. Aber egal, wie seine Pläne aussehen, er ist ein Typ, bei dem alles ordentlich sein muss. Er geht in der Box umher und räumt das Chaos auf, das Risa bei ihren gescheiterten Fluchtversuchen angerichtet hat.
»Du warst ganz schön fleißig letzte Nacht«, sagt er. »Hoffe, du hast dich jetzt erst mal abreagiert.«
Risa beginnt, ihn zu verhöhnen. Sie weiß, womit sie diesen Mann in Rage bringen kann. Für den Anfang genügen ein paar leichte Seitenhiebe. Ein paar Beleidigungen seiner Intelligenz.
»Ich zerstöre diesen Traum nur ungern«, sagt sie, »aber auf dem Schwarzmarkt arbeitet niemand mit einem Trottel zusammen. Ich meine, du musst wenigstens lesen können, wenn du einen Vertrag unterschreiben willst.«
»Sehr witzig.«
»Im Ernst, vielleicht hättest du zusammen mit den Haaren auch ein bisschen Hirn nehmen sollen.«
Er lacht nur in sich hinein. »Beschimpf mich, so viel du willst, Puppe. Das wird rein gar nichts ändern.«
Risa dachte, sie könnte diesen Mann unmöglich noch mehr verabscheuen … Aber dass er sie »Puppe« nennt, eröffnet eine ganz neue Ebene des Hasses. Sie startet ihre nächste Angriffsrunde, diesmal gegen seine Familie. Seinen Genpool. Seine Mutter.
»Haben sie die Kuh eigentlich geschlachtet, die dich geboren hat, oder ist sie eines natürlichen Todes gestorben?«
Er räumt weiterhin auf, aber er ist jetzt abgelenkt. Ihre Bemerkung wurmt ihn. »Halt die Klappe. Ich muss mir von einer dreckigen Wandlerschlampe nicht so eine Scheiße anhören!«
Gut. Soll er sie beschimpfen. Je wütender er wird, desto besser für sie. Jetzt feuert sie ihre letzte Salve ab, eine Reihe grausamer Behauptungen über seinen Körperbau, über echte Unzulänglichkeiten. Wenigstens einige von ihnen müssen zutreffen, denn er läuft rot an und rastet aus.
»Wenn ich mit dir fertig bin«, knurrt er, »bist du nicht mehr so viel wert wie jetzt. Das ist sicher!«
Mit ausgestreckten Händen macht er einen Satz auf sie zu. Aber in dem Augenblick hebt Risa die Mistgabel hoch, die sie im Heu verborgen hatte. Mehr muss sie gar nicht tun: nur das Ding hochhalten. Sein Gewicht und der Schwung erledigen den Rest.
Der Amateurteilepirat spießt sich auf und weicht dann zurück. Die Mistgabel bleibt in ihm stecken.
»Was hast du mir da angetan! Was hast du getan!«
Die Mistgabel schwingt wie ein Anhängsel an seiner Brust hin und her, während er schreit und flucht. Er verliert sehr viel Blut und wird rasch schwächer, daher weiß Risa, dass ein wichtiges Organ verletzt wurde. Nach weniger als zehn Sekunden bricht er an der gegenüberliegenden Wand zusammen und stirbt mit offenen Augen. Er starrt sie nicht direkt an, sondern schaut ein bisschen zu ihrer Linken, als ob er in seinen letzten Augenblicken über ihrer Schulter einen Engel gesehen hätte oder den Satan oder was auch immer ein Mann wie er sieht, wenn er stirbt.
Risa hält sich für einen mitfühlenden Menschen, aber wegen dieses Mannes hat sie keine Gewissensbisse. Allerdings empfindet sie zunehmend ein Gefühl des Bedauerns. Ihre Hand ist immer noch in der Drahtschlinge gefangen, und der einzige Mensch, der weiß, dass sie hier ist, liegt jetzt tot am andern Ende der Box.
Und Risa kann es nicht fassen, in welche Situation sie sich gebracht hat. Schon wieder.
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Sie fragen, wer ich bin? Ja, manchmal frag ich mich das auch. Mein Name ist Cyrus Finch. Aber ich heiße auch Tyler Walker. Zumindest ein Achtel von mir. So ist das, wenn man einem die grauen Zellen mit denen eines anderen aufmöbelt, kapiert, Mann? Jetzt bin ich nicht ich oder er, aber auch weniger als wir beide. Weniger als ganz.
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Finanziert von der Tyler-Walker-Stiftung
Da der Teilepirat nicht vorgehabt hatte, zu sterben, hatte er die Stalltür offen gelassen. In der Nacht kommt ein Kojote zu Besuch. Als Risa ihn zum ersten Mal sieht, schreit sie ihn an, bewirft ihn mit Heu und schwingt drohend eine Gartenhacke. Die Hacke trifft den Kojoten so heftig an der Schnauze, dass er jaulend verschwindet. Risa kennt sich mit wilden Tieren nicht aus und hat keine Ahnung von ihrem Wesen oder ihren Gewohnheiten. Sie weiß, dass Kojoten Fleischfresser sind, aber sie ist sich nicht sicher, ob sie allein jagen oder in Rudeln. Wenn er zusammen mit seinen räudigen Brüdern zurückkommt, ist sie geliefert.
Eine Stunde später kommt er zurück. Allein. Er interessiert sich nur insoweit für sie, als er wissen will, ob sie ihn immer noch mit etwas bewirft. Aber das spielt keine Rolle mehr, denn in ihrer Reichweite gibt es nichts mehr, das sie werfen könnte. Sie schreit ihn an, aber er beachtet sie nicht, sondern konzentriert sich ganz auf den Teilepiraten, der in keiner Weise Widerstand leistet.
Der Kojote frisst einen Teil des Mannes, der in der Sommerhitze bereits zu verwesen beginnt, als Abendessen. Risa weiß, dass der Geruch noch schlimmer werden wird, bis in ein oder zwei Tagen der Geruch ihres eigenen Fleisches hinzukommt. Vielleicht ist der Kojote ja auch schlau genug und denkt sich, dass sie ebenfalls demnächst sterben wird. Was den Kojoten betrifft, ist die Verlängerung ihres Lebens besser als ein Kühlschrank. Das Tier kann ganz geruhsam immer wieder von dem Teilepiraten fressen, denn es weiß ja, dass frisches Fleisch auf ihn wartet.
Den Kojoten fressen zu sehen, macht sie schließlich dem Grauen gegenüber unempfindlicher. Sie hat das Gefühl, als würde sie aus sicherer Entfernung beobachten, was hier geschieht, und macht sich nutzlose Gedanken darüber, wer grausamer ist, der Mensch oder die Natur. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass es der Mensch sein muss. Die Natur kennt keine Reue, aber sie ist auch nicht niederträchtig. Pflanzen nehmen mit demselben lebensbejahenden Bedürfnis das Licht der Sonne auf und geben Sauerstoff ab, wie ein Tiger sich über ein Kleinkind hermacht. Oder ein Aasfresser einen Idioten verschlingt.
In der Morgendämmerung verschwindet der Kojote. Langsam fordert der Flüssigkeitsmangel seinen Tribut von Risa, und sie hofft, dass der Durst sie umbringt, bevor der Kojote sie lebend vorfindet, aber zu schwach, um sich gegen seine Angriffe zu wehren. Immer wieder verliert sie das Bewusstsein, und vor ihrem inneren Auge spult sich ihr Leben ab.
Die aufblitzenden Bilder aus ihrem Leben sind aber keineswegs vollständig. Und sie nehmen auch keine Rücksicht auf ihre Erinnerungen. Sie sind so zufällig wie der Stoff, aus dem die Träume sind, nur ein bisschen mehr verbunden mit dem, was einmal war.
Der Streit in der Cafeteria
Sie ist sieben Jahre alt und streitet mit einem anderen Mädchen, das behauptet, Risa habe ihre Kleider gestohlen. Das ist lächerlich, denn alle im staatlichen Waisenhaus tragen die gleiche einfache und zweckmäßige Uniform. Risa ist zu diesem Zeitpunkt noch zu jung, um zu wissen, dass es nicht um Klamotten geht, sondern um Macht. Um sozialen Rang. Das Mädchen ist größer als sie und gemeiner, aber als es sie auf den Boden drückt, stößt Risa ihr die Finger in die Augen, dreht sie auf den Rücken und spuckt ihr ins Gesicht. Wie du mir, so ich dir. Das Mädchen schreit Zeter und Mordio, als die Lehrer sie trennen. Es behauptet, Risa hätte angefangen und würde unfair kämpfen. Aber Erwachsenen ist es egal, wer angefangen hat, wenn es nur aufhört. In ihren Augen kämpfen alle staatlichen Waisen unfair. Die Kids dagegen sehen das ganz anders. Für sie ist entscheidend, dass Risa gewonnen hat. Danach fängt kaum noch jemand Streit mit ihr an. Das andere Mädchen dagegen wird von seinen Altersgenossen nicht in Ruhe gelassen.
Ein Übungsraum
Sie ist zwölf und spielt in einem kleinen, mit Akustikplatten verkleideten Raum des Staatlichen Waisenhauses Nummer 23 in Ohio Klavier. Das Klavier ist verstimmt, aber sie ist daran gewöhnt. Risa spielt das Barockstück ohne Fehler. Im Publikum sitzen körperlose Gesichter und hören trotz der Leidenschaft, mit der sie spielt, versteinert und ohne jede Gefühlsregung zu. Diesmal macht sie alles richtig. Erst als es vier Jahre später darauf ankommt, versagt sie.
Der Bus zum Ernte-Camp
Nach einem Verwaltungsbeschluss begegnet man Budgetkürzungen am besten damit, dass man ein Zehntel der Teenager in einem Waisenhaus umwandelt. Man nennt das Gesundschrumpfen. Wegen der Pannen und Fehler bei Risas entscheidendem Vorspiel gehört sie zu diesen zehn Prozent. Neben ihr im Bus sitzt ein blasser Junge namens Samson Ward. Ein merkwürdiger Name für einen so dürren Kerl, aber da alle staatlichen Waisen per Gesetz den Nachnamen Ward bekommen, sind die Vornamen zwar nicht einzigartig, aber meistens ziemlich ungewöhnlich und oft sogar ironisch, denn sie werden nicht von liebenden Eltern ausgesucht, sondern von Bürokraten. Von Leuten, die es vielleicht witzig finden, einem kränkelnden Frühchen den Namen »Samson« zu geben.
»Ich wäre lieber teilweise bedeutend als vollkommen nutzlos«, sagt Samson. Wie sie im Nachhinein entdeckte, war er heimlich in sie verknallt, was sich aber erst in der Person von Camus Comprix offenbarte. Cam hatte nämlich den Teil von Samsons Gehirn bekommen, der für Algebra zuständig war und offenbar auch für seine Phantasien über unerreichbare Mädchen. Samson war sehr gut in Mathe, aber nicht gut genug, um den unglücklichen zehn Prozent zu entgehen.
In die Sterne schauen
Risa und Cam liegen auf einer grasbewachsenen Klippe auf einer Hawaii-Insel, einer ehemaligen Leprakolonie. Cam benennt die Sterne und Sternbilder, und sein Akzent klingt auf einmal nach Neuengland, weil er den Teil der Person in seinem Kopf benutzt, die alles über Sterne weiß. Cam liebt sie. Zuerst verachtete sie ihn. Dann ertrug sie ihn. Dann lernte sie das Individuum schätzen, zu dem er sich entwickelte, den Geist, der sich jenseits der Summe seiner Teile Bahn brach. Sie weiß jedoch, dass sie seine Gefühle nie erwidern wird. Wie könnte sie, wenn sie Connor immer noch so liebt?
Connor
Monate vor diesem Abend auf Molokai: Sie sitzt in der Wüste von Arizona im Schatten eines Tarnkappenbombers im Rollstuhl, und er massiert ihr die Beine. Sie spürt ihre Beine nicht. Sie weiß nicht, dass sie schon in wenigen Monaten ein neues Rückgrat bekommen wird, so dass sie wieder gehen kann. In diesem Moment weiß sie nur, dass Connor nicht so bei ihr ist, wie sie es sich wünscht. Er ist in Gedanken zu sehr mit seinen Aufgaben beschäftigt. Zu beschäftigt mit den vielen Jugendlichen, die er auf dem Flugzeug-Friedhof versteckt und beschützt.
Der Friedhof
Nomen est omen. Seine Bewohner wurden gewaltsam vertrieben. Die Jugendlichen wurden entweder getötet oder zur Umwandlung – zur »Komplettzerteilung«, wie es bürokratisch so schön heißt – in Ernte-Camps geschafft. Und wo steckt Connor? Er muss davongekommen sein, denn wenn er gefasst oder getötet worden wäre, hätte die Jugendbehörde in den Medien großes Aufhebens davon gemacht. Das wäre der Todesstoß für die Anti-Umwandlungs-Front gewesen, die inzwischen so wirkungsvoll ist wie eine Fliegenklatsche gegen einen Drachen.
Im Stall wird es wieder Abend. Der Kojote kommt zurück, diesmal mit einem Kameraden, der sich an dem Festmahl beteiligt. Risa schreit, damit sie nicht schwach erscheint und um sie daran zu erinnern, dass immer noch Kraft in ihr steckt, auch wenn sie rasch schwindet. Die Tiere kümmern sich nicht um sie. Stattdessen ziehen und zerren sie grausam am Körper des toten Mannes. Dabei fällt Risa etwas auf: Von der Stelle, wo sie festgebunden ist, war sie, egal, wie sehr sie sich streckte, immer noch über einen halben Meter von dem toten Mann entfernt.
Aber die Kojoten haben ihn von der Wand weggezogen.
Mit aller Energie, die sie noch aufbringen kann, reckt sie sich über den Boden zu ihm hin. Als sie den linken Arm ausstreckt, schafft sie es, ihren Zeigefinger in den Aufschlag seiner Hose einzuhaken.
Langsam zieht sie ihn näher, aber als er sich bewegt, bemerkten die Kojoten, dass ihr morgiges Mahl eine Bedrohung für ihr heutiges geworden ist. Mit gebleckten Zähnen knurren sie sie an. Doch sie zieht weiter. Eines der Tiere geht zum Angriff über und beißt sie in den Arm. Sie schreit auf und greift zu ihrem alten Trick, ihm die Finger ins Auge zu bohren. Das Tier ist verletzt genug, um seinen Griff zu lockern, und Risa hat Zeit, den toten Mann noch ein Stück näher zu ziehen. Gerade als sie den Rand seiner Hosentasche erreicht, springt der andere Kojote sie an. Ihr bleibt nur eine Sekunde. Sie greift in die Tasche des Toten und hofft, dass das Glück einmal auf ihrer Seite ist: Sie findet, was sie gesucht hat, genau in dem Augenblick, als der zweite Kojote nach ihrem Oberarm schnappt. Doch jetzt ist der Schmerz zweitrangig. Denn sie hat sein Telefon.
Risa weicht in eine Ecke der Box zurück. Die Kojoten bellen und knurren wütende Warnungen. Sie richtet sich mit zitternden Beinen auf, und die beiden Tiere weichen eingeschüchtert von ihrer Größe zurück. Bald werden sie merken, dass dieser Gegner nicht mehr kämpfen kann, und dann werden sie ihr das Gleiche antun wie dem Teilepiraten. Ihre Zeit ist begrenzt.
Sie schaut auf das Telefon und stellt fest, dass der Akku fast leer ist. Ihr Leben hängt also an den unberechenbaren Launen einer Lithiumbatterie.
Wen ruft ein Flüchtling an? Niemand, den sie persönlich kennt, würde einen solchen Anruf annehmen, und wenn sie die Notfallnummer wählt, wird sie direkt in eine Welt gerettet, die schlimmer ist als der Tod. Aber eine Nummer kennt sie. Dieser Nummer kann sie wahrscheinlich vertrauen, auch wenn sie sie nie zuvor angerufen hat. Sie wählt. Der Akku hält für ein Klingeln … ein zweites Klingeln. Dann meldet sich ein Mann am anderen Ende der Leitung.
»Tyler-Walker-Stiftung. Was kann ich für Sie tun?«
Ein tiefer Seufzer der Erleichterung. »Hier ist Risa Ward«, sagt sie. Und dann spricht sie die drei Worte aus, die sie am meisten hasst. »Ich brauche Hilfe.«