41. Connor

Stünde Connor Camus Comprix unter anderen Umständen gegenüber, würde er ihn aus vollem Herzen hassen. Connor hat allen Grund dazu. Zum einen ist Cam der Liebling des Proaktiven Bürgerforums. Er ist der leuchtende Stern all jener, die die Umwandlung als natürlichen und vertretbaren Bestandteil der Zivilisation befürworten. Dazu kommt, und das ist für Connor noch wichtiger, Cams Verbindung zu Risa. Risa wurde zwar erpresst, bei ihm zu bleiben, doch wenn sich Connor die beiden nur zusammen vorstellt, ballt sich seine Hand so fest zur Faust, dass ihm die Fingernägel schmerzhaft in die Handfläche schneiden. Connors Eifersucht und Rolands Wut laufen in dieser starken Hand zusammen. Nein, Connor und Cam können nur erbitterte Feinde sein.

Doch die Umstände ihrer ersten Begegnung geben Connor unerwartet und unerwünscht Gelegenheit zum Nachdenken.

Alles beginnt mit Una.

Es ist der achte Tag, an dem sich Connor, Lev und Grace in ihrer kleinen Wohnung verstecken. Nach der Nachricht, dass Connor ein Ernte-Camp in Nevada überfallen hat, sind die Hopi, wie Chal sie wissen lässt, nicht allzu wild darauf, ihm vorgetäuschtes Asyl zu gewähren. Obwohl die Anschuldigung am nächsten Tag in den Nachrichten zurückgenommen wird, muss Chal weiter Überzeugungsarbeit leisten. Das bedeutet, dass sie noch wer weiß wie lange im Reservat festsitzen.

Connor hat schon im Haus der Tashi’nes einen Lagerkoller bekommen, doch bei Una kommt er sich vor wie damals im Transportcontainer auf dem Flug zum Friedhof. Sogar Grace, die immer etwas findet, mit dem sie sich beschäftigen kann, fragt mit der Ausdauer eines Kindes, das im Auto alle fünf Minuten »Sind wir bald da?« kräht, ob sie nicht aus dem Haus gehen und etwas tun kann.

»Nur einen Spaziergang. Vielleicht ein bisschen einkaufen. Biiiiiitte?«

Nur Lev scheint das alles völlig kalt zu lassen, was Connor erst recht auf die Palme bringt.

»Wie kannst du den ganzen Tag dasitzen und nichts tun?«

»Ich tue nicht nichts«, erwidert Lev. Er hält ein altes, in Leder gebundenes Buch hoch, das er ständig bei sich hat. »Ich lerne die Arápache-Sprache. Sie ist sehr schön.«

»Manchmal würde ich dir am liebsten eine kleben, Lev.«

»Du hast ihn doch schon mit dem Auto angefahren«, wirft Grace vom Nebenzimmer aus ein. Connor antwortet mit einem Knurren, das ihm immerhin ein bisschen Erleichterung verschafft. Pivane würde es vermutlich damit erklären, dass er mit seinem Tiergeist in Verbindung getreten ist.

»Vergiss nicht, dass ich ein Jahr lang unter Hausarrest stand«, erklärt Lev. »Ich bin das Eingesperrtsein gewöhnt.«

Una ist die meiste Zeit unten in ihrem Laden und bedient Kunden oder baut in der Werkstatt neue Instrumente. Das Jaulen des Bohrers und das leise Klopfen von Hammer und Stechbeitel ist den dreien mittlerweile vertraut. Erst wenn die Geräusche aufhören, fragt sich Connor, was sie eigentlich treibt.

Vor zwei Tagen und dann noch einmal gestern hörte Connor Una den Laden abschließen, und als er durch die Jalousie spähte, sah er sie weggehen. Er hätte sich wohl nichts dabei gedacht, wenn sie nicht in der einen Hand eine Gitarre und in der anderen ein Waffenfutteral aus Leder getragen hätte. Bei dem Gedanken daran, wo sie mit einer Gitarre und einem Gewehr wohl hinwollte, fiel Connor nichts Gutes ein.

»Una hat mit sich selbst zu tun«, ist alles, was Lev dazu zu sagen hat.

Connor vermutet jedoch, dass mehr dahintersteckt.

Als sie diesem Nachmittag wieder weggeht, beschließt Connor, ihr zu folgen. Lev bittet ihn noch, sie doch einfach in Ruhe zu lassen. »Wir sollten dankbar sein, dass sie uns hier unterkriechen lässt. Du machst dich nicht gerade beliebt, wenn du dich in alles einmischst.«

Doch Connor hat keine Zeit, sich mit ihm herumzustreiten, sonst entwischt ihm Una womöglich. Er drängt sich an Lev vorbei, geht hinunter in den Laden und hinaus auf die Straße, wo er sie gerade noch um eine Ecke biegen sieht. Es sind Leute unterwegs, doch da Connor einen Arápache-Hut aus Wolle trägt, den er in Unas Schrank gefunden hat, achtet niemand auf ihn. Außerdem nimmt Una kleine Gassen, in denen nicht viel los ist. Obwohl sie ihre Flinte in einem Futteral hat, kann doch jeder sehen, was es ist. Da sie ruhige Seitenstraßen wählt, vermutet Connor, dass sie nicht angesprochen werden will.

Am Rand der Stadt wartet Una, bis weder Autos noch Fußgänger auf der Straße zu sehen sind. Dann biegt sie in einen schmalen Pfad ab, der in den Wald führt. Connor folgt ihr mit einigem Abstand.

Connor sieht Una im dichten Wald zwar nicht, kann jedoch ihren Fußspuren folgen, denn der Boden ist vom morgendlichen Regen durchweicht. Sie muss diesen Pfad in den letzten Tagen immer wieder genommen haben. Nach ein paar hundert Metern kommt Connor zu einem Gebäude, wenn man es überhaupt so nennen kann. Es hat die merkwürdige Form eines Iglus, besteht aber aus Lehm und Stein. Aus dem Innern hört er zwei Stimmen. Eine gehört Una, die andere ist männlich und Connor unbekannt.

Sein erster Gedanke ist, dass sich Una heimlich mit einem Liebhaber verabredet hat und er die beiden besser allein lassen sollte. Doch der Streit, der in der Hütte tobt, klingt nicht nach einer Kabbelei unter Liebenden.

»Nein, das mache ich nicht!«, hört er die männliche Stimme rufen. »Jetzt nicht und nie wieder!«

»Dann bleibst du hier und musst sterben«, sagt Una.

»Dann ist es eben so!«

Die Hütte hat keine Fenster, aber die Kuppel ist löchrig. Vorsichtig und leise klettert Connor die gewölbte Oberfläche aus Stein und Lehm hinauf, bis er durch eine Lücke ins Innere spähen kann. Sein erster Eindruck bringt eine Saite in ihm zum Klingen wie bei einem Instrument. Er sieht einen jungen Mann, etwa in seinem Alter, dessen Haar sonderbar viele verschiedene Farbtöne und Haarstrukturen aufweist. Er ist an einem Pfosten festgebunden und zerrt an seinen Fesseln. Dem Geruch und seinem Anblick nach zu urteilen, ist er schon eine Weile hier, in dieser hilflosen, hoffnungslosen Situation, in der er sogar seine Notdurft in die eigenen Kleider verrichten musste.

Connor versetzt sich unwillkürlich in seine Lage. Der Gefangene da bin ich. Ich sitze in Argents Keller fest. Ich versuche verzweifelt, zu fliehen. Ich bin drauf und dran, die Hoffnung zu verlieren. Sein Mitgefühl ist so stark, dass es alles überdeckt, was da unten sonst noch in der Luft liegt.

Doch Una ist nicht Argent, ruft sich Connor in Erinnerung. Sie muss andere Motive haben. Aber welche sind das? Connor wartet und beobachtet und hofft, einen Hinweis zu erhalten.

»Entweder du lässt mich gehen oder du tötest mich«, sagt ihr Gefangener. »Bitte entscheide dich, damit das hier ein Ende hat!«

Una reagiert mit einer simplen Frage. »Wie heiße ich?«

»Ich habe dir doch gesagt, ich weiß es nicht! Ich wusste es gestern nicht, ich weiß es heute nicht, und ich werde es morgen auch nicht wissen!«

»Aber vielleicht erinnert dich heute die Musik daran.«

Dann löst Una seine Fesseln. Er versucht nicht einmal, wegzulaufen – er weiß wohl, dass es nichts bringt. Stattdessen schluchzt er und lässt die Arme schlaff herabhängen. In diese schlaffen Arme legt Una das Instrument, das sie mitgebracht hat.

»Tu es«, sagt sie. Ihr Ton ist jetzt sanft, sie streichelt seine Hände und legt sie auf die Gitarre. »Hauch ihr Leben ein. Du kannst es. Du hast es immer gekonnt.«

»Das war nicht ich«, entgegnet er flehend.

Una geht ein paar Schritte zurück und setzt sich ihm gegenüber hin. Sie nimmt die Flinte aus der Tasche und legt sie sich auf den Schoß. »Ich sagte, tu es.«

Ihr Gefangener beginnt widerstrebend, zu spielen. Traurige Klänge erfüllen den Raum, hallen an den Wänden wider, die gesamte Hütte wird zum Resonanzkörper der Gitarre. Connor spürt die Schallwellen in seiner Brust.

Die Musik ist wunderschön. Unas Gefangener ist ein wahrer Meister des Instruments. Er schluchzt nicht mehr. Nun ist es Una, die weint. Sie hält sich den Bauch, als habe sie große Schmerzen. Ihr Schluchzen wächst sich zu einem Wehklagen aus, das mit der Musik harmoniert wie ein Trauergesang.

Da, als Connor ein Stückchen zur Seite rutscht, löst sich am Rand des Lochs ein Steinchen und fällt zu Boden.

Sofort springt Una auf, bringt die Flinte in Anschlag und zielt durch das Loch in der Kuppel auf Connor.

Connor zieht sich instinktiv zurück, verliert das Gleichgewicht, rutscht rücklings über die Außenschale des Gebäudes und schlägt mit dem Rücken auf dem harten Boden auf. Einen Moment lang bleibt ihm die Luft weg. Als er aufzustehen versucht, ist Una schon da und der Gewehrlauf nur Zentimeter von seiner Nase entfernt.

»Wage es nicht, dich zu bewegen!«

Connor erstarrt, fürchtet, dass sie ihn wirklich abknallt, wenn er sich rührt. Da wittert Unas Gefangener seine Chance und rennt in den Wald.

»Hííko!«, flucht sie und rennt hinterher. Connor springt auf und folgt ihr. Den Ausgang dieses kleinen Psychodramas will er sich nicht entgehen lassen.

Als sie ihren fliehenden Gefangenen einholt, lässt Una die Flinte fallen, wirft sich von hinten auf ihn und bringt ihn zu Boden. Ihre langen Haare hängen über den beiden wie ein schwarzes Leichentuch, während sie aufeinander eindreschen. Connor erkennt, dass er der lachende Dritte ist. Er hebt Unas Flinte auf und zielt auf die beiden.

»Aufstehen! Beide! Sofort!«

Als sie nicht auf ihn hören, schießt er in die Luft.

Nun hat er ihre Aufmerksamkeit. Sie stellen den Kampf ein und stehen auf. Erst jetzt merkt Connor, dass das Gesicht des Jungen irgendwie merkwürdig ist.

»Was zum Teufel soll das?«, will Connor wissen.

»Das geht dich nichts an!«, faucht Una. »Gib mir mein Gewehr!«

»Eine Kugel kannst du gern haben!« Connor zielt weiter mit der Waffe auf sie, lässt aber den Blick zu ihrem Gefangenen wandern. Der merkwürdige Flickenteppich in seinem Gesicht, ineinander übergehende Hauttöne, die sich in den wechselnden Schattierungen und Strukturen des Haars fortsetzen, das ist unnatürlich, kommt Connor aber bekannt vor.

Auf einmal weiß er, wer das ist. Er hat ihn in den Medien doch schon so oft gesehen, ist ihm in seinen Albträumen begegnet. Das ist dieser widerliche Verbundmensch! Ein Blitzen in den gestohlenen Augen verrät ihm, dass das Erkennen beiderseitig ist.

»Du bist das! Du bist der Flüchtling aus Akron!« Und dann: »Wo ist sie? Ist sie hier? Bring mich zu ihr!«

Connor weiß in diesem Moment nur, dass das alles zu viel für ihn ist. Wenn er jetzt versucht, dieses Durcheinander zu sortieren, macht er unweigerlich einen entscheidenden Fehler, einer der beiden schnappt sich das Gewehr, und jemand ist am Ende tot – womöglich er selbst.

»Wir machen jetzt Folgendes«, sagt er und zwingt sich, ruhig zu sprechen, ohne jedoch die Waffe zu senken. »Wir gehen alle zurück in dieses komische Iglu.«

»Schwitzhütte«, schnaubt Una.

»Gut. Wie auch immer. Wir gehen zurück, setzen uns auf unseren Hintern und schwitzen das Ganze aus, bis ich zufrieden bin. Kapiert?«

Una starrt ihn an und stürmt dann zurück zur Schwitzhütte. Der Kerl bewegt sich nicht so schnell. Connor stupst ihn mit der Flinte an. »Los«, sagt er. »Oder ich verwandle dich wieder in den Bohneneintopf, aus dem du gemacht wurdest.«

Der Gefangene wirft ihm aus seinen gestohlenen Augen einen herablassenden Blick zu und macht sich dann auf den Weg in die Hütte.

Connor kennt seinen Namen, doch ihn damit anzusprechen, hieße nach Connors Geschmack, ihm allzu viel Menschlichkeit zuzugestehen. In Connors Augen ist er ein Bausatz aus Wandlerteilen, sonst nichts. Als sie in der Hütte sitzen, wollen die beiden Connor zunächst nichts erzählen. Sie scheinen es ihm übelzunehmen, dass er sie bei dem düsteren Tanz, den sie da aufgeführt haben, gestört hat.

»Er hat also Wils Hände«, hilft ihnen Connor auf die Sprünge. So viel hat er begriffen. »Fangen wir doch damit an.«

Una erzählt ihm von Wils Entführung, soweit Lev und Pivane sie ihr geschildert haben. Die Familie Tashi’ne hat nie erfahren, was mit ihrem Sohn geschehen ist. Das war auch nicht zu erwarten: Kids, die von Teilepiraten entführt werden, tauchen selten in Ernte-Camps auf, sie werden Stück für Stück auf dem Schwarzmarkt verkauft. Doch offenbar war Wil Tashi’ne eine Ausnahme. Connor kann nur ahnen, wie schmerzhaft es für Una sein muss, zu wissen, dass diese Kreatur die Hände des Jungen hat, den sie liebte, dass Wils Talent buchstäblich in sein Gehirn eingewoben wurde. Er ist begabt, hat ein musikalisches Gedächtnis, aber keine Erinnerung an sie. Das würde wohl jeden in den Wahnsinn treiben – aber ihn wie ein Tier einzusperren?

»Was hast du dir nur dabei gedacht, Una?«

»Una!« Der Teiletyp grinst triumphierend. »Sie heißt Una!«

»Schnauze, Bohneneintopf«, sagt Connor. »Ich rede nicht mit dir.«

»Ich konnte nicht klar denken«, gibt Una leise zu. Sie starrt auf den Lehmboden der Schwitzhütte. »Kann ich immer noch nicht.« Statt über den Teiletypen redet sie wieder über Wil. Dass er all ihre Gitarren stimmte und ausprobierte, ehe sie verkauft wurden. »Er hat seine Seele in die Musik gelegt. Ich hatte immer das Gefühl, dass ein kleines bisschen von ihm noch im Instrument widerhallte, wenn er mit dem Spielen fertig war. Als er weg war, waren die Gitarren nie wieder so wie vorher. Wenn sie jetzt jemand spielt, ist es nur Musik.«

»Und da hast du dir gedacht, du könntest aus unserem Freund hier einen Gitarrensklaven machen?«

Una starrt ihn böse an, scheint aber nicht die Kraft für echte Gegenwehr zu haben. Sie senkt den Blick.

Connor spricht den Teiletypen an, der ihn mit seinem Blick durchbohrt. Connor festigt den Griff um die Flinte auf seinem Schoß.

»Warum bist du hier?«, fragt Connor. »Woher wusstest du, dass du herkommen musstest?«

»Ich habe genügend von Wil Tashi’nes Gedächtnis, um zu wissen, dass dein Freund, der Klatscher, sich hier verstecken würde«, sagt er. »Und ich glaube, du weißt, warum ich hier bin. Wegen Risa.«

Dass er ihren Namen aus seinem Mund hören muss, bringt Connors Blut zum Kochen. Sie hasst dich, will er sagen. Sie will nichts mit dir zu tun haben. Niemals. Aber dann sieht und riecht er die uringetränkte Hose seines Gegenübers und denkt an seine eigene Gefangenschaft in Argents Keller. Mitleid ist das Letzte, was Connor jetzt verspüren will, aber es ist trotzdem da und verwässert seinen Hass. Dem Kerl quillt die Verzweiflung aus allen Nähten, und obwohl Connor dieser Kreatur liebend gern weh tun würde, bringt er es nicht über sich.

»Du willst sie wohl erpressen, bei dir zu bleiben, wie das letzte Mal?«

»Das war nicht ich! Das war das Proaktive Bürgerforum.«

»Und du willst sie zu ihnen zurückbringen.«

»Nein! Ich bin hier, um ihr zu helfen, du Idiot.«

Connor findet das nicht sonderlich lustig. »Vorsichtig, Bohneneintopf. Ich bin der mit der Flinte.«

»Du vergeudest deine Zeit«, wirft Una ein. »Mit dem kannst du nicht vernünftig reden. Das ist kein Mensch. Der ist nicht mal am Leben.«

»Je pense, donc je suis«, sagt der Teiletyp.

Connor kann kein Französisch, doch die Worte erkennt er.

»Nur weil du denkst, bist du noch lange nicht. Computer denken angeblich auch, aber die machen nur, was man ihnen sagt. Wenn die Eingabe Mist ist, ist das Ergebnis auch Mist. Und bei dir kommt jede Menge Mist raus.«

Der andere senkt den Blick. Seine Augen blitzen. »Du hast doch keine Ahnung.«

Connor merkt, dass er ihn mit dem großen Thema des Lebens getroffen hat. Mit der Existenz. Wieder überkommt ihn ungewolltes Mitleid.

»Wandler sind per Gesetz auch nicht am Leben«, sagt Connor und nimmt dem anderen die Worte aus dem Mund. »Sobald die Umwandlungsverfügung unterzeichnet ist, ist ein Wandler nach dem Gesetz nur noch ein Haufen Teile. So wie du.«

Der Teiletyp hebt den Blick und sieht ihn an. Eine einzelne Träne fällt auf sein Knie und wird von der Jeans verschluckt. »Worauf willst du hinaus?«

»Ich will darauf hinaus, dass ich das schon verstehe. Ob du ein Haufen Teile bist oder ein Sack Müll oder eine vollwertige Persönlichkeit, hat nichts damit zu tun, was Una oder ich oder jemand anders denkt. Also tu uns den Gefallen und hör auf, ein Problem daraus zu machen.«

Der andere nickt und senkt wieder den Blick. »Blaue Fee«, sagt er.

»Siehst du!«, faucht Una. »Der ist doch wie ein Computer – er spuckt total unlogischen Quatsch aus.«

Doch Connor trifft völlig überraschend die Erkenntnis.

»Tut mir leid, Pinocchio, aber Risa ist nicht deine Blaue Fee. Sie kann dich nicht in einen richtigen Jungen verwandeln.«

Der andere sieht ihn an und grinst. Connor empfindet sein Grinsen als entwaffnend und packt die Flinte noch etwas fester. So leicht lässt er sich nicht überrumpeln.

»Woher weißt du, dass sie es nicht schon längst gemacht hat?«

»Sie ist ziemlich erstaunlich, aber so erstaunlich auch wieder nicht«, sagt Connor. »Wenn du Magie brauchst, wende dich an Una. Die Arápache haben damit mehr am Hut als wir.«

Una sieht ihn böse an. »Ich muss mir von einem hergelaufenen Wandler keine Beleidigungen anhören.«

»Ich habe es ernst gemeint«, erwidert Connor. »Aber ich kann dich auch gern beleidigen, wenn dir das lieber ist.«

Una fixiert ihn wortlos, ehe sie den Blick wieder senkt.

»Du hast behauptet, du willst Risa helfen«, sagt Connor zu ihrem Gefangenen. »Wie?«

»Das ist etwas zwischen ihr und mir.«

»Falsch«, sagt Connor. »Ich bin zwischen dir und ihr. Du redest mit mir oder gar nicht.«

Sein Gegenüber kocht vor Wut und stößt Luft durch die Nase wie ein Drache, der gleich Feuer spuckt. Dann gibt er nach. »Ich kann ihr helfen, das Proaktive Bürgerforum zu vernichten. Ich habe alle Beweise, die sie braucht. Aber ich werde sie nur ihr mitteilen.«

Er scheint es ernst zu meinen, doch Connor hat sich schon öfter in anderen getäuscht. Einen entscheidenden Fehler hat er begangen, als er Starkey vertraute. So etwas darf ihm nicht noch mal passieren. »Du erwartest, dass ich dir das glaube? Warum solltest du die vernichten, die dich gemacht haben?«

»Ich habe meine Gründe.«

»Willst du es ihm nicht sagen?« Una geht so langsam die Geduld aus. »Oder willst du ihn noch den ganzen Tag zappeln lassen?«

»Mir was sagen?« Der Teiletyp sieht vom einen zum andern.

Connor dachte, es würde ihm Befriedigung verschaffen, dem Typen seine Hoffnungen zu nehmen, aber jetzt fühlt er sich nur leer. »Tut mir leid, dich zu enttäuschen, Bohneneintopf, aber Risa ist nicht hier.«

Die Verzweiflung in den Augen des Teiletypen ist so tief wie bei jedem richtigen Menschen. Connor fragt sich, ob die Blaue Fee ihm vielleicht doch einen Besuch abgestattet hat.

»Aber … aber … in den Nachrichten hieß es, sie ist mit dir unterwegs!«

»Ja, ja, in den Nachrichten hieß es auch, ich hätte ein Ernte-Camp in Nevada überfallen. Gerade du müsstest doch wissen, dass man den Medien nicht trauen kann.«

»Wo ist sie dann?«

»Ich weiß es nicht«, erwidert Connor und fügt hinzu: »Und selbst wenn ich es wüsste, würde ich es dir nicht sagen.«

Der Teiletyp springt wütend auf. »Du lügst!«

Connor steht im gleichen Moment auf, in dem sich der andere auf ihn stürzen will. Als Connor die Waffe auf seine Brust richtet, hält er in der Bewegung inne.

»Gib mir nur einen Grund, Bohneneintopf!«

»Hör auf, mich so zu nennen!«

»Er sagt die Wahrheit«, wirft Una ein. »Es sind nur er, Lev und ein etwas minderbemitteltes Mädchen da. Risa Ward war nicht dabei, als sie hier auftauchten.«

Connor findet, das ist mehr, als der Typ wissen muss, aber nun scheint er die Wahrheit zu akzeptieren. Er sinkt zu Boden und legt den Kopf in die Hände.

»Sisyphos«, murmelt er. Connor versucht nicht einmal, den Sinn dahinter zu begreifen.

»Dir ist bestimmt klar, dass ich dich nicht gehen lassen kann. Ich kann nicht riskieren, dass du den Behörden verrätst, wo wir sind.«

»Ich fessle ihn wieder«, sagt Una. »In die alte Schwitzhütte kommt sowieso nie jemand.«

»Nein«, sagt Connor. »Das machen wir auch nicht. Wir nehmen ihn mit zu uns.«

»Ich will ihn da aber nicht haben!«

»So ein Pech aber auch.« Connor mustert die beiden, und als er den Eindruck hat, dass sie einigermaßen friedlich sind, sichert er das Gewehr. »Wir gehen jetzt zu Unas Haus zurück wie drei gute alte Freunde, die vom Jagen kommen. Ist das klar?«

Beide willigen widerstrebend ein.

Dann wendet sich Connor an Unas Gefangenen. »Ich weiß nicht, ob du Respekt verdienst, aber von mir sollst du ihn bekommen.« Und obwohl es ihm schwerfällt, sagt er: »Soll ich dich Camus nennen?«

»Cam«, antwortet er.

»In Ordnung, Cam. Ich bin Connor, aber das weißt du ja schon. Ich würde ja sagen: ›Freut mich, dich kennenzulernen‹, aber ich mag nicht lügen.«

Cam nickt. »Ich weiß deine Ehrlichkeit zu schätzen«, sagt er. »Das beruht auf Gegenseitigkeit.«

 

Als sie wieder in den Laden kommen, ist Pivane dort. Connor hört seine tiefe Stimme im Gespräch mit Lev.

»Er darf nichts von Cam wissen«, sagt Una. »Die Tashi’nes dürfen das mit Wils Händen nie erfahren. Es würde sie völlig fertigmachen.«

Schlimmer als dich?, liegt es Connor auf der Zunge, doch stattdessen sagt er: »Verstehe.«

Una schickt Cam in den Keller. Er ist zu müde und erledigt, um zu widersprechen.

»Ich warte hier und passe auf, dass er nicht abhaut«, sagt Una. »Kann ich bitte meine Flinte wiederhaben?« Und als Connor zögert, sagt sie: »Pivane hat bestimmt eine Menge Fragen, wenn er dich mit der Flinte hereinkommen sieht.«

Widerstrebend gibt Connor ihr das Gewehr, allerdings erst, nachdem er die Munition herausgenommen hat.

Una lehnt die Waffe gegen die Wand, greift in die Tasche, holt Patronen heraus und zeigt sie Connor trotzig. Doch statt die Waffe zu laden, steckt sie die Munition wieder ein und setzt sich auf den Hocker neben der Kellertür. »Geh hoch und bring in Erfahrung, warum Pivane hier ist.«

Connor lässt sich nicht gern Befehle erteilen, versteht aber Unas Bedürfnis, die Lage wieder in den Griff zu bekommen, zumal in ihrem eigenen Haus. Er geht die Treppe hoch und lässt Una zu Cams Bewachung zurück.

»Will ich wissen, warum du draußen warst?«, fragt Pivane, kaum dass Connor durch die Tür kommt.

»Wahrscheinlich nicht«, erwidert Connor nur und wirft Lev einen warnenden Blick zu. Er will sicher wissen, was geschehen ist, ist aber klug genug, nicht vor Pivane zu fragen.

Grace strahlt über das ganze Gesicht. »Die Hopis haben die JuPos im Sack! Schau dir das an!« Sie dreht die Lautstärke des Fernsehers hoch. Auf einer Pressekonferenz will ein Sprecher der Hopi Gerüchte, nach denen sein Stamm dem Flüchtling aus Akron Asyl gewährt »weder bestätigen noch bestreiten«. Die Journalisten scheinen allerdings jede Menge Anhaltspunkte zu haben. Ein verwackelter Film zeigt, wie jemand im Dunkeln in ein Verwaltungsgebäude der Hopi gebracht wird. Ein »Insider« soll den Medien gesteckt haben, dass der Flüchtling aus Akron dort ist. Es sieht so aus, als hätte Chal doch noch gezaubert.

»So was kann mein Bruder gut«, sagt Pivane. »Der könnte selbst einen Stein melken.«

»Meine Idee!«, ruft ihm Grace in Erinnerung. »Lenkt die JuPos ab, habe ich gesagt.«

»Ja, das stimmt, Grace.«

Sie umarmt Connor, weil er ihr zugestimmt hat.

»Jetzt, da die Behörden abgelenkt sind«, sagt Pivane, »ist es an der Zeit, dass ihr hier wegkommt. Elina kümmert sich darum, dass ein Auto an der Raststätte vor dem Nordtor steht. Ich bringe euch morgen hin. Danach seid ihr auf euch gestellt.«

Connor hat im Reservat niemandem gesagt, wo er hinwill, und hofft, dass auch Lev seinen Mund gehalten hat. Sie sind zwar unter Freunden, doch je weniger Leute Bescheid wissen, desto leichter können sie verschwinden. Es gibt da nur noch ein kleines Problem. Was sollen sie jetzt mit Cam machen?