47. Connor
Starkey. Er hätte sich gleich denken können, dass es Starkey war. Die Zahl der Toten, die nach dem Absturz im Saltonsee gemeldet wurde, passte nicht zu der Zahl derer, die geflohen waren. Connor war dumm genug, anzunehmen, dass Starkey unter den Toten oder abgetaucht war, dass er sich mit seinem kleinen Storchen-Prinzentum zufriedengab. Während sich Connor bereit macht, Unas Wohnung zu verlassen und seine Reise nach Ohio fortzusetzen, sieht er die Berichte über den Überfall auf das MoonCrater Ernte-Camp, die auf allen Sendern laufen.
»Soll das heißen, du kennst den Kerl?«, fragt Lev.
»Das ist der, der unseren Fluchtflieger geklaut hat«, erklärt Connor. »Du hast das Flugzeug doch auf dem Friedhof starten sehen, oder? Er hat alle Storche mitgenommen und alle anderen den JuPos ausgeliefert.«
»Sympathischer Typ.«
»Genau. Ich war so ein Idiot. Ich habe erst gemerkt, wie durchgeknallt der ist, als es schon zu spät war.«
Die vorsätzlichen Lynchmorde in MoonCrater tragen Starkeys Handschrift, und die Spur, die er in den Sand zieht, wächst sich zu einem Graben aus. Fünf Angestellte gehenkt und eine sechste am Leben gelassen, damit sie davon berichten kann. Die Medien blasen Starkey zu einem Giganten auf, der mit dem einen Meter fünfundsechzig kleinen Idioten nichts zu tun hat. Connor mag es kaum zugeben, doch ihm wird klar, dass sie jetzt in einem Boot sitzen. Sie sind beide Kultfiguren, abgetaucht im Untergrund, von den einen gehasst, von den anderen verehrt. Diffamiert und glorifiziert. Er wäre nicht überrascht, wenn plötzlich T-Shirts mit ihrer beider Konterfei auftauchen würden. Als wären sie, nur weil sie beide auf der Flucht sind, auch automatisch Waffenbrüder.
Starkey behauptet, für die Storche zu sprechen, doch bei flüchtigen Wandlern machen die Leute keine Unterschiede. Für die Öffentlichkeit ist Starkey die fanatische Stimme aller Wandler – und das ist ein Riesenproblem. Während sich Starkeys Graben im Sand mit Blut füllt, wächst die Angst vor den Wandlern und macht alles zunichte, wofür Connor gekämpft hat.
Auf dem Friedhof machte Connor den Yolos klar, wie wichtig es ist, einen klaren Kopf zu behalten und den Verstand einzusetzen. »Die denken, wir sind gewalttätig und müssten deshalb umgewandelt werden«, beschwor er sie. »Wir müssen der Welt beweisen, dass das nicht stimmt.«
Doch es braucht nur Starkey und fünf umgestoßene Stühle, um alles zu zerstören, wofür sich Connor eingesetzt hat.
Er macht den Fernseher aus. Die Augen tun ihm weh von den Bildern. »Starkey hört sicher nicht so bald damit auf«, sagt er. »Das wird nur noch schlimmer.«
»Das bedeutet, dass es in diesem Krieg jetzt drei Seiten gibt«, erwidert Lev. Connor gesteht sich ein, dass er recht hat.
»Wenn also die eine Seite von Hass getrieben wird und die zweite von Furcht, was treibt uns an?«
»Hoffnung?«, schlägt Lev vor.
Connor schüttelt frustriert den Kopf. »Hoffnung allein bringt uns nicht weiter. Wir müssen nach Akron und in Erfahrung bringen, was Sonia weiß.«
Da sagt jemand: »Sonia wer?«
Es ist Cam, der aus dem Badezimmer kommt. Er war im Keller eingeschlossen, doch Una muss ihn für einen Toilettengang nach oben geschickt haben, wie üblich. Connor spürt Wut in sich aufsteigen, weniger auf Cam als auf sich selbst, weil er gleich zwei wichtige Informationen preisgegeben hat: das nächste Ziel und einen Namen.
»Das geht dich verdammt nochmal gar nichts an!«, blafft Connor.
Cam hebt die Augenbrauen, so dass sich das Netz der Nähte auf seiner Stirn zusammenzieht. »Heiße Spur«, sagt Cam. »Diese Sonia muss wichtig für dich sein, wenn du so reagierst.«
Geplant war, Cam in Unas Keller einzusperren, bis Lev und Connor zu weit weg waren, als dass er ihre Spur noch finden könnte. So hätte er zwar gewusst, wo sie gewesen sind, nicht aber, wo sie hinwollen, und er hätte sie nicht an seine Erschaffer verraten können. Denn trotz seiner Beteuerungen, dass er sich gegen das Proaktive Bürgerforum gewendet hat, gibt es dafür keinen Beweis.
Doch nun hat Cam einen Namen und weiß auch, in welche Stadt sie wollen. Wenn er tatsächlich zum Proaktiven Bürgerforum zurückkehrt, werden sie nicht lange brauchen, um herauszufinden, dass diese Sonia die seit langem vermisste Frau ihres totgeschwiegenen Gründers ist.
Connor muss einsehen, dass sich dadurch alles ändert und ihr Leben unendlich viel komplizierter geworden ist.