49. Connor

Connor hat Cam fest am Arm gepackt und führt ihn die Treppe hinunter. Una hat sich in ihre Arbeit geflüchtet: Sie baut in der Werkstatt hinter dem Laden eine neue Gitarre.

»Du hast ihn nach oben geschickt, ohne uns zu warnen!«

Una blickt ohne großes Interesse von ihrer Arbeit auf, so, als wären sie schon gar nicht mehr da. »Ich habe ihn nur aufs Klo geschickt. Er war ja nicht gerade auf der Flucht.«

Connor gibt sich nicht die Mühe, ihr zu erklären, warum er so wütend ist. Er geht mit Cam, der sich nicht einmal wehrt, weiter in den Keller.

»Also«, sagt Cam mit einer Lässigkeit, die Connor reizt. »Jemand hat Sonia in Akron erwähnt.«

Connor lässt ihn los. »Wir können dafür sorgen, dass dich die Arápache als Feind ihrer Sippe einsperren, dann kannst du für den Rest deines elenden Lebens hier im Gefängnis verrotten.«

»Vielleicht«, sagt Cam. »Aber nicht ohne Prozess. Und alles, was ich denen sage, kommt in die öffentlichen Archive.«

Connor wendet sich mit geballten Fäusten und knurrend vor Zorn von ihm ab. Als er sich wieder umdreht, schwingt Rolands Arm durch die Luft und trifft Cam am Kinn. Cam geht zu Boden und fällt über einen klapprigen Holzstuhl. Connor macht sich bereit, noch einmal zuzuschlagen. Doch dann fällt sein Blick auf den Arm, und er sieht dem Hai in die Augen. Cam zu schlagen, mag ihn befriedigen, aber es ist nicht sonderlich hilfreich. Wenn er es zulässt, dass Rolands Muskelerinnerung die Regie übernimmt, verliert Connor mehr als nur die Beherrschung. Im Grunde verliert er einen Teil seiner Seele.

»Hör auf«, sagt er zu dem Hai. Widerstrebend entspannen sich die Muskeln von Rolands Faust. Cam ist hier der Gefangene, nicht Connor. Er darf nicht vergessen, dass er immer noch Herr der Lage ist. Egal, wie geschwächt er sich fühlt. Er stellt den Stuhl wieder auf, tritt einen Schritt zurück und schluckt seine Wut hinunter. »Setz dich«, sagt er zu Cam.

Cam rappelt sich vom staubigen Boden auf, zieht sich auf den Stuhl und reibt sich das Kinn. »Der aufgepflanzte Arm da hat ganz eigene Begabungen, was? Ist das Auge auch von jemand anderem? Damit bist du mir schon zwei Schritte näher.«

Cam will ihn zur Weißglut bringen, doch darauf fällt Connor nicht herein. Er konzentriert sich auf das, was unmittelbar ansteht.

»Du hast nichts als einen Namen und eine Stadt«, sagt Connor, so ruhig wie möglich. »Das ist mehr, als du wissen sollst, aber auch wenn du es den Leuten sagst, die dich gemacht haben, wird das nichts ändern. Und Sonia ist sowieso nur ein Codename.«

»Aha, ein Codename.«

»Natürlich.« Connor zuckt mit den Schultern, als wäre es das Natürlichste der Welt. »Du glaubst doch nicht etwa, ich wäre so dämlich, einen echten Namen zu sagen, wenn jeder mithören kann.«

Cam grinst ihn spöttisch an. »Klar doch«, sagt er. »Ich glaube, in meinem rechten Frontallappen ist ein Stückchen Gehirn, das auf Blödsinn anspringt, und da leuchtet gerade ein rotes Lämpchen.«

»Glaub, was du willst«, sagt Connor, dem nichts anderes übrigbleibt, als bei seiner Geschichte zu bleiben. »Una wird dich weiter im Keller einsperren, solange ihr danach ist, und wenn sie dich gehen lässt – wenn sie dich gehen lässt –, kannst du dem Proaktiven Bürgerforum sagen, was du willst. Sie werden uns trotzdem nicht finden.«

»Warum bist du eigentlich so felsenfest davon überzeugt, dass ich zu denen zurückkrieche? Ich habe dir doch gesagt, dass ich sie genauso hasse wie du.«

»Soll ich wirklich glauben, du beißt die Hand, die dich geschaffen hat?«, erwidert Connor. »Ja, für Risa würdest du es vielleicht tun, aber für mich bestimmt nicht. So, wie ich das sehe, gehst du zu denen zurück, und sie nehmen dich mit offenen Armen wieder auf. Die Rückkehr des verlorenen Sohns.«

Da stellt Cam eine Frage, die Connor lange zu denken geben wird. »Würdest du zu den Leuten zurückgehen, die dich umwandeln lassen wollten?«

Die Frage bringt Connor völlig aus dem Konzept. »W… was hat das denn damit zu tun?«

»Mich aus Wandlern zu erschaffen, war genauso schrecklich wie die Wandler umzuwandeln«, erwidert Cam. »Ich kann es nicht ändern, dass ich hier bin, aber ich schulde den Leuten, die mich gemacht haben, gar nichts. Ich werde meine Schöpfer bedenkenlos vernichten, wenn ich kann. Ich habe gehofft, Risa würde mir helfen. Aber da sie nicht da ist, sieht es ganz danach aus, als müsste ich mich mit dir zusammentun.«

Obwohl Connor ihm nicht traut, haben seine Worte eine tiefe und unauslöschliche Wirkung auf ihn. Cams Schmerz ist echt. Der Wunsch, seine Macher zu zerstören, ist echt.

»Beweise es«, sagt Connor. »Überzeuge mich davon, dass du sie wirklich vernichten willst.«

»Wenn ich es tue, nimmst du mich dann mit?«

Connor ist klar, dass ihm ohnehin kaum etwas anderes übrigbleibt, aber er spielt diese Karte noch nicht aus. »Ich werde darüber nachdenken.«

Cam sieht Connor schweigend in die Augen. Dann sagt er: »P, S, M, H, Y, A, R, E, H, N, L, R, A.«

»Was?«

»Das war ein dreizehnstelliger Benutzername für die öffentliche Cloud. Das Passwort ist ein Anagramm von Risa Ward. Das wirst du schon selber herausfinden müssen.«

»Warum sollte es mich interessieren, was in der Cloud gespeichert ist?«

»Es wird dich interessieren, wenn du es siehst.«

Connor sieht sich in dem unordentlichen Keller um und findet zwischen dem Gerümpel auf einem der Tische einen Block und einen Stift. Er wirft Cam beides zu. »Schreib das auf. Nicht jedem von uns wurde ein fotografisches Gedächtnis in den Kopf genäht. Und ich errate keine Passwörter, also schreib das auch auf.«

Cam wirft ihm einen spöttischen Blick zu, kommt aber seiner Bitte nach. Als er fertig ist, reißt Connor den Zettel vom Block und steckt ihn sich in die Tasche. Dann schließt er Cam im Keller ein und kehrt in Unas Wohnung zurück.

»Ich habe beschlossen, Cam mitzunehmen«, sagt er zu Lev und Grace, die beide nicht besonders überrascht wirken.