27. Starkey

Mason Starkey weiß, dass er ein Held ist, und zwar ohne den geringsten Zweifel. Die vielen Leben, die er gerettet hat, beweisen es. Dieser Beweis umgibt ihn: Seine Storche, die alle wie von Zauberhand aus der Todeszone des Flugzeugfriedhofs verschwunden sind und durch Schlauheit und gutplatzierte Taschenspielertricks noch leben. Aber das ist erst der Anfang. Der Grundstein für etwas Großartiges ist gelegt, auch für seine persönliche Bedeutung, die er mehr als verdient. Ein großes Schicksal wartet auf ihn, und in Kürze wird er seinen ersten Ausflug ins Rampenlicht der Öffentlichkeit machen und Geschichte schreiben.

»Egret Academy.« Die sympathische Frau liest das Logo auf Starkeys waldgrünem T-Shirt laut vor, während er die Gästeanmeldung unterzeichnet. »Ist das eine Konfessionsschule?«

»Nicht konfessionsgebunden«, antwortet Starkey. »Ich bin der Gruppenleiter.«

Sie lächelt ihn an und glaubt ihm aufs Wort. Warum auch nicht? Seine adrette, gepflegte Erscheinung und die blonden Haare strahlen Ehrlichkeit und Integrität aus.

»Ist die Schule hier in Lake Tahoe?«

»Reno«, antwortet er, ohne zu zögern.

»Schade. Ich suche nämlich eine gute Schule für meine Kinder. Eine mit den richtigen moralischen Werten.«

Starkey schenkt ihr ein gewinnendes Lächeln. Er kennt die Namen ihrer Kinder und ihre private Adresse. Nicht dass er diese Information diesmal brauchen würde, aber sie haben sich als solide Schutzmaßnahme für die Storche herausgestellt.

Diesmal sind sie nicht auf einem Campingplatz, sondern in einer teuren Ferienhaussiedlung. Die Egret Academy hat für die folgenden vier Tage alle zehn Häuschen gemietet. Das ist teuer, aber Jeevan hat es geschafft, noch mehr Geld von den elterlichen Konten der Storche abzuzapfen – mehr als genug, um für vier Tage Luxus zu bezahlen … und im Hinblick darauf, was als Nächstes kommt, verdienen seine Storche das.

Während die Storche, alle in ihren neuen Egret Academy-Shirts, ihre neue Umgebung selbst erkunden, wird Starkey von der Frau persönlich herumgeführt.

»Der Speisesaal ist hier links – Sie bereiten Ihr Essen natürlich selbst zu, aber die Küche ist mit Koch- und Essgeschirr und allem, was Sie benötigen, voll ausgestattet. Der Tennisplatz und der Pool sind oben auf dem Hügel. Kommen Sie, ich zeige Ihnen das Clubhaus. Wir haben Fernsehen in Kinoqualität, eine klassische Spielhalle und sogar eine Bowlingbahn.«

»Und eine Verbindung zur Cloud?«, fragt Starkey. »Wir brauchen eine schnelle Verbindung zur öffentlichen Cloud.«

»Das ist doch selbstverständlich.«

BROSCHÜRE

Seit über zwanzig Jahren führt die Egret Academy Wissen und Persönlichkeit zusammen, damit ihre Studierenden die Führungskräfte der Zukunft werden können. Unser solides akademisches Programm bietet Kenntnisse aus den verschiedensten Wissensbereichen an und vermittelt Bildung durch experimentelle, praktische Erfahrung. An der Egret Academy bekommt jeder Studierende eine einzigartige und persönliche Ausbildung.

Durch geistige Exerzitien und Bildungsreisen bringen wir unsere Studierenden mit der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft in Berührung – und zwar in einem fürsorglichen Umfeld, das zu Selbständigkeit anspornt ebenso wie zu Vertrauen und Kameradschaft unter den Studierenden.

Wir legen großen Wert auf die Übernahme von persönlicher und sozialer Verantwortung. In unserem Führungskräfteprogramm für Gleichaltrige organisieren und leiten unsere Gruppenleiter Ausflüge für bis zu hundert Studierende. Durch die Verbindung von traditioneller Bildung mit besonderen Programmen, Projekten und Aktivitäten bringt unsere Fakultät hochgebildete, vielseitige und ethisch verantwortliche Studierende hervor, die die Fähigkeit und das Selbstbewusstsein besitzen, es mit der Welt aufzunehmen!

»Diesmal hast du dich wirklich selbst übertroffen, Mason. Es ist phantastisch hier.« Bam späht über Starkeys Schulter auf den Computerbildschirm, an dem er und Jeevan ihre Strategie entwerfen. »Ich meine, eine Bowlingbahn? Ich kann mich nicht mal dran erinnern, wann ich das letzte Mal beim Bowling war.«

Starkey ärgert sich über die Störung, versucht es aber nicht zu zeigen. »Freu dich dran, solange du es kannst.« Das holt sie auf den Boden der Tatsachen zurück.

»Wann erzählen wir den anderen von dem ganzen Plan?«

»Morgen«, antwortet er. »Dann haben sie Zeit, sich vorzubereiten.«

Das neuerliche Gepolter umfallender Bowlingkegel von der andern Seite des Clubhauses zerrt an Starkeys Nerven. Das Clubhaus ist ein einziger großer Raum. Im Augenblick wäre er viel lieber ungestört.

»Schieb ein paar Kugeln für mich«, schlägt er Bam vor. »Ich würde ja, aber …«, er hält seine steife Hand hoch, »ich kegle mit links.« Das stimmt zwar nicht, aber es bringt sie dazu, sie allein zu lassen.

Auf dem Bildschirm flimmert der Schaltplan des Ernte-Camps ›Cold Springs‹ nördlich von Reno. »Ich glaube, ich weiß jetzt, wie wir die Kommunikationstechnik lahmlegen«, sagt Jeevan. »Aber ich brauche ein paar Kids, die mir helfen. Und zwar schlaue.«

»Such dir für dein Team aus, wen immer du willst«, sagt Starkey. »Und alles, was du brauchst. Lass es mich einfach wissen.«

Jeevan nickt, erscheint aber wie immer nervös und unruhig. Er kann einfach nicht entspannen und mit dem Strom schwimmen.

»Ich habe über die Zeit danach nachgedacht«, sagt er, »und dass wir uns nach Cold Springs nicht mehr in der Öffentlichkeit bewegen können. Überhaupt nicht.«

»Dann zeig mir ein paar Möglichkeiten auf.«

Jeevan tippt ein paarmal auf den Bildschirm, schließt mit einer Wischbewegung verschiedene Fenster und öffnet dann eine Karte mit blinkenden Punkten. »Ich habe ein paar Möglichkeiten eingegrenzt.«

Starkey klopft ihm mit seiner gesunden Hand auf die Schulter. »Ausgezeichnet! Such uns ein neues Zuhause, Jeevan. Ich hab vollstes Vertrauen zu dir.«

Was nur dazu führt, dass Jeevan sich unbehaglich windet.

Als Starkey durch das Clubhaus schlendert, geht ihm der Lärm der Storche, die ihren Spaß haben, auf einmal nicht mehr auf die Nerven, sondern bestätigt ihn darin, was er für sie erreicht hat. Auch wenn das nur ein lahmer Abklatsch dessen ist, was er für ihre Zukunft geplant hat.

Ja, Mason Starkey ist ein Held. Und in einigen wenigen Tagen wird die ganze Welt es wissen.